Von Reinhard Faudt
Die Story:
Washington, 10.Oktober 1990: Das Menschenrechtskomitee des US-Kongresses tagt. Thema ist eine unglaubliche Zeugenaussage einer jungen Frau aus Kuwait, die sich mit ihrem Vornamen „Nayirah“ vorstellt und unter Tränen folgende grauenhafte Erklärung abgibt: Sie habe als kuwaitische Hilfskrankenschwester im Al-Adnan-Krankenhaus in Kuwait-Stadt gearbeitet und sei Zeugin geworden, wie irakische Soldaten mit Gewehren das Krankenhaus brutal gestürmt, 15 Säuglinge aus Brutkästen genommen und die Kinder auf den kalten Steinboden geworfen hätten, wo sie starben. Die Vorsitzenden des Komitees, John Edward Porter von den Republikanern, und Tom Lantos, Demokratische Partei, baten während der Anhörung um Verständnis dafür, dass Nayirahs wahre Identität verheimlicht werden müsse, um ihre Familie zu schützen. Im Publikum herrscht Fassungslosigkeit, Entsetzen, lähmendes Schweigen. Es gibt keine Nachfragen. Dem brutalen Diktator Saddam Hussein traut man solche Gräuel zu. In der amerikanischen Presse wird seit Wochen darüber berichtet. Es passt perfekt zu den Morden und Folterungen, die er an seinen Gegnern vollziehen lässt. Die gleiche Schilderung wiederholte Nayirah später auch vor dem UN-Sicherheitsrat, unterstützt von einem weiteren Augenzeugen, der sich als Chirurg Dr. Behbehani vorstellte und erklärte, er habe selbst der Bestattung von 40 Neugeborenen beigewohnt, die von den Soldaten umgebracht worden seien. Diese Horrorstory ging viral durch alle Medien, auch Amnesty International verbreitete sie.
Die Enthüllung:
Die Brutkasten-Story hielt sich noch lange in den Medien und wurde von den an der Kriegskoalition beteiligten Staaten zur Legitimation verwendet. Der US-Reporter John Marti ging der Story gründlicher nach, interviewte Krankenhaus-Mitarbeiter und Ärzte und fand niemanden, der die Geschichte bestätigen konnte. Es war dann der Publizist John MacArthur, der die Lügenstory platzen ließ: Die Augenzeugin der Brutkasten-Geschichte entpuppte sich als Tochter des kuwaitischen Botschafters in den USA. Der angebliche Chirurg war lediglich Zahnarzt und zur Zeit des Überfalls gar nicht in Kuwait. Die Geschichte war ein gigantischer Schwindel, eingefädelt von der PR-Agentur Hill&Knowlton, die von Kuwait 12 Millionen Dollar erhalten hatte, um damit den militärischen Beistand der USA zu erringen.
War die US-Regierung daran beteiligt?
Die Brutkasten-Story wurde vom Präsidenten Bush wiederholt propagandistisch ausgeschlachtet und bei der starken medialen Präsenz und der politischen, auch internationalen Bedeutung ist es kaum vorstellbar, dass dieser propagandistische Schwindel ohne Wissen der Regierung funktionieren konnte. Der Journalist Andreas Elter kommt nach seinen Recherchen zu folgender Einschätzung: „Präsident Bush wurde von Fuller (Sicherheitsberater) über jeden einzelnen Schritt unterrichtet. Ob er auch seine persönliche Einwilligung für die BabyGeschichte gab, ist allerdings nicht zu belegen. Was bleibt, ist aber, dass enge personelle Kontakte zwischen der US-Regierung und einer Agentur bestanden, die nachweisbar Lügen in die Welt gesetzt hatte. Dieselbe Agentur wurde im anderen Zusammenhang von der US-Regierung sogar direkt beschäftigt.“ (Elter, Andreas: Die Kriegsverkäufer: Geschichte der US-Propaganda 1917–2005. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. 2005, S. 241)
Was löste die Story aus?
Der Bericht erschütterte die amerikanische Bevölkerung, die zuvor mehrheitlich gegen einen Kriegseinsatz der US-Armee gegen den Irak unter Saddam Hussein war, so sehr, dass die Stimmung kippte, eine militärische Intervention nun von den meisten Bürgern befürwortet wurde. Der US-Senat entschied danach äußerst knapp zugunsten der vom Präsidenten vorgelegten Kriegsresolution. Einige Senatoren erklärten später, dass die Brutkasten-Story den Ausschlag dafür gegeben hätte.
Die Vorgeschichte:
Am 2.August 1990 setzte Saddam Hussein, bis dahin ein Verbündeter der USA, der einige Jahre zuvor mit US-Unterstützung erfolglos Krieg gegen den Iran geführt und nun gewaltige Schulden hatte, seine Armee Richtung Kuwait in Marsch, um sich in den Besitz der Ölquellen dieses Scheichtums zu bringen. Vorausgegangen waren Streitigkeiten des hoch verschuldeten Landes mit den anderen arabischen Öl-Förderländern um Förderquoten und Preise sowie um Grenzstreitigkeiten mit Kuwait. Vor dem geplanten Überfall auf Kuwait hatte Saddam Hussein die Botschafterin der USA, April Glaspie, zu sich gerufen und mit ihr über den Konflikt mit den arabischen Nachbarn gesprochen. Diese soll vor allem eine Verbesserung der Beziehungen der USA zum Irak angekündigt und gesagt haben: „Wir haben keine Meinung zu den innerarabischen Konflikten wie dem Grenzkonflikt mit Kuwait.“(L.Everest: Oil, Power and Empire. 2004, S.125) Diese Aussage verstand die irakische Führung als Ermunterung. Ramsey Clark, unter Präsident Johnson US-Justizminister, hat die Geschichte in seinem Buch „Wüstensturm“, das die Ergebnisse eines internationalen Tribunals über die Kriegsverbrechen am Golf zusammenfasst, detailliert beschrieben und die Politik von Präsident Bush (sen.) hart kritisiert.(Ramsey Clark, Wüstensturm. US-Kriegsverbrechen am Golf.1993) Danach hintertrieb die US-Regierung die Lösung des Konfliktes durch Verhandlungen, dämonisierte Saddam zum rücksichtslosen Diktator und Nachfolger Hitlers (ebd, S. 61) Die Vorbereitungen des Krieges reichten bis in die siebziger Jahre zurück, als einige Ölstaaten die Verfügungsgewalt über die eigenen Bodenschätze erzwangen. 1973 z.B. begann das Pentagon mit Jährlichen Manövern in der Mojawe-Wüste, US-Strategen erörterten in aller Offenheit eine Invasion der Golfregion und eine Besetzung der Ölfelder (ebd, S. 35).
Der Kriegsverlauf:
Noch am Tag des Einmarschs in Kuwait verurteilte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Invasion und forderte einen „sofortigen und bedingungslosen Rückzug“. Auch die Mehrheit der Staaten der Arabischen Liga verurteilte die Invasion. Am 6. August verhängte der UN-Sicherheitsrat ein Wirtschafts-, Finanz- und Militärembargo gegen den Irak. Mit der Resolution 678 vom 29. November 1990 ermächtigte die UN Mitgliedsstaaten, „alle notwendigen Mittel“ einzusetzen, falls der Irak bis zum 15. Januar 1991 nicht alle vorherigen Resolutionsforderungen, darunter den Abzug aus Kuwait, erfüllen würde. Nach erfolglosen Verhandlungen stimmte der Kongress der USA am 12. Januar für einen Militäreinsatz, der Beginn der Aktion „Desert Storm“ (Wüstensturm). Am 17. Januar 1991 begannen die USA mit massiven Luftangriffen auf Kuwait und Irak, eine internationale Armee von 960 000 Soldaten vertrieben die Iraker aus Kuwait, ein Sturz von Saddam Hussein war allerdings nicht geplant, da man in der Folge einen wachsenden Einfluss des Iran auf die schiitische Bevölkerung befürchtete.
Die Kriegsverbrechen:
Obwohl in den Medien stets betont wurde, Zivilisten zu schützen und nur militärische Ziele zu attackieren, war das Gegenteil der Fall. Clark: „Diese Bombardierungen waren eine tödliche, kalt kalkulierte und zutiefst unmoralische Strategie, die den Irak durch die Zerstörung lebenswichtiger Anlagen und Versorgungseinrichtungen in allen Lebensbereichen in die Knie zwingen sollte. Sie sollten ein Schwellenland, eine unabhängige Militärmacht, die über reiche Ölvorkommen verfügte und der eigenen wirtschaftlichen Entwicklung verpflichtet war völlig lähmen. Nach Untersuchungen unserer Kommission starben mehr als 150.000 Zivilisten im Golfkrieg und an seinen Folgen.“ (S. 97) Das Tribunal, das die Kriegsverbrechen dokumentierte, klagte die US-Regierung in 19 Punkten an, z.B. „Die USA setzten sowohl gegen militärische als auch gegen zivile Ziele verbotene Waffen an, die auf Massenvernichtung ausgelegt waren und wahllos Tod zufügten… Nachdem die USA die wirtschaftliche Grundlage des Irak zerstört haben, verlangen sie Reparationen, die den Irak fortlaufend verarmen lassen und seine Bevölkerung Hungersnöten und Epidemien aussetzen. Die USA haben sich durch Gewaltanwendung eine permanente militärische Präsenz am Golf, die Kontrolle der dortigen Ölressourcen und die geopolitische Vorherrschaft auf der arabischen Halbinsel gesichert.“ (S. 276, zit. nach: https://www.friedenskooperative.de/friedensforum/artikel/wuestensturm-von-ramsay-clark#block-nodeblock-16956)
Am 3. April 1991 erklärte Präsident Bush (sen.) den Krieg für beendet. In Kuwait sicherten die USA mit der Eröffnung eines permanenten Militärstützpunkts ihre Präsenz am Golf.
Warum war diese Propaganda so erfolgreich?
- Erfolgversprechende Muster der Kriegspropaganda tauchen in dieser Episode markant auf:
- 1. Die Dämonisierung eines Gegners: Saddam Hussein, der zuvor ein wenn auch unzuverlässiger Verbündeter der USA in der Golfregion war, wird nun in vielen Medien mit Enthüllungsgeschichten von schlimmsten Folterungen und Morden an politischen Gegnern zur Inkarnation des Bösen stilisiert, mit Hitler verglichen, eine bewährte Methode, die heute auch gegenüber Putin verwendet wird. Die Entmenschlichung des Gegners gehört dazu. So wurden Saddams Elitetruppen, die Republikanischen Garden, zu Monstern gemacht. Da schadet es nicht, wenn amerikanische Panzer mit vormontierten Pflügen die in Schützengräben sitzenden irakischen Soldaten unter Wüstensand lebendig begraben haben.
- 2. Angst und Schrecken verbreiten gehört ebenfalls zum Werkzeugkasten der Propaganda: Die schrecklichen Taten der irakischen Soldaten werden in der Brutkasten-Story sehr anschaulich.
- 3.Emotionen wie Entsetzen, Furcht, Mitleid mit den Opfern funktionieren besser als jedes noch so starke rationale Argument. Der zugrunde liegende Konflikt wird auf ein Täter-Opfer-Schema heruntergebrochen und mobilisiert den Hilfe-Impuls, die Zustimmung zum Krieg.
- 4.Die Personalisierung: Man führt Krieg gegen einen bösartigen Diktator, nicht gegen einen Staat. Gern werden der Personalisierung dann wahnhafte, unberechenbare Züge untergemischt. Dann kann man ja gar nicht anders handeln, als in den Krieg zu ziehen. All diese Merkmale tauchten auch in den Medien der 90er Jahre bei uns auf. Und formten das Meinungsbild vieler.
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