Anmerkungen zu Roselies (Teil 2)

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In einer Untersuchung über der Rolle der Kirche im ersten Weltkrieg [1] fand der Theologe und Historiker Dietrich Küssner Hinweise in deutschen Quellen, dass im kleinen belgischen Ort Roselies an der Sambre im August 1914 Kriegsverbrechen von den deutschen Truppen begangen worden sein könnten.

Für Braunschweig hat das besondere Bedeutung, da der Ort am 22. August 1914 von Soldaten des Braunschweigischen Infanterie-Regiments 92 erobert worden war. Vor Beginn des 2. Weltkrieges wurde dann eine Kaserne im Osten der Stadt nach dem Ort benannt. Nachdem das Kasernenareal in ein Wohngebiet umgewandelt worden war, blieb der Name „Roselies“ erhalten. Er lebt in Braunschweig fort.

Küssner wurde wegen seines Hinweises auf mögliche deutsche Kriegsverbrechen in Roselies angegriffen. Sie seien nicht nachgewiesen. Im umfassenden Standardwerk von John Horne und Alan Kramer zu den deutschen Kriegsverbrechen beim Einmarsch in Belgien [2] käme Roselies nicht vor, obwohl die genauen, detaillierten und vollständigen belgischen Quellen über Kriegs­verbrechen der Deutschen in Belgien in das Werk von Horne/Kramer eingearbeitet seien. Kriegs­verbrechen, die dort nicht vermerkt seien, könne es folglich kaum gegeben haben.

Das Braunschweigische Landesmuseum suchte im Rahmen einer Ausstellung zum Beginn des 1. Weltkriegs in einer Quellendarstellung Aufklärung (Wulf Otte und Ole Zimmermann). Es sei zwar ungewöhnlich, wenn es einen nach deutschen Quellen namentlich genannten Täter gäbe – Leutnant von Wrangell habe etwa 15 Zivilisten erschießen lassen – nicht aber die vom Täter begangene Tat. Man habe aber keine Belege in den maßgeblichen belgischen Quellen für diesen schwersten Vorwurf eines mutmaßlichen Kriegsverbrechens des 92er Infanterie-Regiments, woraus dann die Schlussfolgerung gezogen wurde, dass die Erschießung dieser Zivilisten in Roselies (Stand vom 11.12.2014) „als sehr unwahrscheinlich anzusehen“ sei.

Im Folgenden sollen nun neben zusätzlichen deutschen auch die einschlägigen belgischen Berichte berücksichtigt werden, die Kriegsverbrechen der Braunschweigischen 92er Infanterie am 22. August 1914 festhalten. In unserer letzten Einlassung zum Thema vom 7. Januar 2015 hatten wir entschei­dende Quellen schon aufgeführt und weitere Ausführungen angekündigt. Die sollen nun doch noch in einer gewissen trockenen Systematisierung folgen; von Plünderungen, vergleichsweise weniger erhebliche Kriegsverbrechen, bis hin zur Hinrichtung von Zivilisten. Die These, dass es in der Schlacht von Roselies und in dem Ort keine Kriegsverbrechen gegeben hat, lässt sich nach Allem schwer aufrecht erhalten.

1) Plünderungen
„Die Plünderung ist ausdrücklich untersagt“ heißt es Artikel 47 der Haager Landkriegsordnung von 1907 [3]; – soweit Plünderungen nicht der Deckung unmittelbaren Bedarfs von Invasoren dienen. In Kriegszusammenhängen sind Plünderungen eher Regel als Ausnahme. Auch in Roselies wurde geplündert. Angesichts des Kampfgeschehens in Roselies werden die Plünderungen in den Berichten des Infanterieregiments 92 aber eher zur Nebensächlichkeit. Andernorts finden sich ausführlichere Ausführungen dazu. Zwei Beispiele aus einer Regimentsgeschichte aber auch zu Roselies:

Aus diesem Hause holten wir verschiedene Flaschen Kognak, die hinter der Barrikade zur Beruhigung der sehr überanstrengten Nerven rund gingen. [4] und: Requirierte Zigarren, Wein pp. wurden untereinander verteilt. [5]

Zur weiteren Veranschaulichung ein Beispiel aus dem Regimentsbericht vom 1/92er Walter Voigt. Einen Tag später, für den 23. August 1914, auf dem Weg von Roselies nach Mettet, berichtet Voigt:

Wir durchsuchten mit Erfolg und mit Streichhölzern die verlassenen, aber reichlich verproviantierten Häuser und brachten Schinken, Wurst, Marmelade, Eier genügend zusammen, so dass wir Heinrich Riechelmann, der sich ebenfalls auf der Suche nach Brot, Speck und Schinken für seinen Zug befand, noch etwas mitgeben konnten. In einem der Häuser lag vor dem Kellereingang ein altes Ehepaar tot, wahrscheinlich von eigenen Granaten getroffen. [6]

Ob es sich um eigene Granaten handelte oder nicht doch um deutsche Soldaten, die das alte Ehepaar töteten, weil es sich einer Plünderung widersetzte, um überlegensnotwendige Vorräte für den nächsten Winter nicht zu verlieren, kann hier dahingestellt bleiben. Auch Voigt gibt nicht vor, es zu wissen. Ähnliche Plünderungen werden auch in Roselies vorgekommen sein.

Nach den belgischen Rapports waren es ausgiebige Plünderungen. 160 Häuser seien geplündert [7] worden, dabei auch das Pfarrhaus. Alfred Lemaire berichtet darüber im Detail. [8]

Abgesehen davon, dass es sich um einen nicht erklärten Angriffskrieg einer großflächigen, bevölkerungsreichen Nation gegen ein kleines, neutrales Land handelte, mögen die Plünderungen als mindere Kriegsverbrechen grenzwertig sein. Brot, Speck, Eier dienen dem unmittelbaren täglichen Bedarf – Wein, Zigarren, Kognak nehmen dem besetzten Land zwar Luxus, entziehen ihm aber nicht die Lebensgrundlage …

2.) Brandstiftungen: Niederbrennen von Häusern und Ortschaften
Zu den Kriegsverbrechen gehört das Niederbrennen von Häusern, soweit es nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit Kampfhandlungen steht sondern aus „Rache“ oder etwa als „Strafgericht“ ohne Gerichtsverhandlung erfolgt. Wir hatten in unserer letzten Einlassung schon darauf verwiesen, dass die Zahl der niedergebrannten Häuser in Roselies erheblich ist, auch im Vergleich mit den am schlimmsten vom Krieg und von Kriegsverbrechen betroffenen „Märtyrerorten“. Das Niederbrennen der Ortschaft Roselies war für den deutschen Einmarsch in Belgien kein Einzelfall:

Hellgerötet war der Himmel von brennenden Dörfern, an denen andere deutsche Truppen ein Strafgericht hatten vollziehen müssen [9]

besingt Sobbe im erhabenen Ton homerischer Heldenepik den Eindruck, der sich dem Braunschweigischen Infanterie-Regiment 92 schon beim Überschreiten der belgischen Grenze am 9. August 1914 bot. Seinen „Abschlussbericht“ über die Ereignisse in Roselies schließt Sobbe ähnlich pathetisch:

Wie ein Fanal leuchteten die brennenden und qualmenden Häuser von Roselies in die Nacht hinaus, in denen Hab und Gut der verblendeten Einwohner immer mehr in Staub und Asche versank, die selbst z. T. ihre Tat mit dem Leben gebüßt hatten. Der helle Feuerschein fiel auch durch die Fenster der Kirche, wo Freund und Feind vereint auf ihrem Schmerzenslager ruhten. Auf ihre Leiden und Schmerzen sah aber einer mitleidig herab: der gekreuzigte Heiland. [10]

Nach den Rapports wurden in Roselies 91 Häuser niedergebrannt [11], nach Lemaire sogar 94 [12]. Unterschiedliche Zählungen mögen sich erklären, indem einige Häuser auch durch Artilleriebeschuss in Brand geschossen wurden, die bei der einen Zählung mit eingeschlossen sein mögen, bei der anderen nicht. Einige Häuser wurden auch im Zusammenhang mit der Einnahme des Dorfes niedergebrannt, aus taktisch-strategischen Zweckmäßigkeitserwägungen der Kampfhandlungen, nicht erst aus Rache oder als Strafgericht, nachdem diese von Feinden „gesäubert“ und/oder geplündert war.

Quellenkritik: Widerspruchsfreiheit der Tagebücher
Die Dokumentation des Landesmuseums vom 11.12.2014 hält fest, dass die Einnahme von Roselies in den vorhandenen deutschen Quellen unterschiedlich dargestellt sei. In der Folge seien auch die Gründe für das Niederbrennen des Ortes unterschiedlich dargestellt – Klarheit müsse also noch verschafft werden. Unterschiedliche Darstellungen sind aber nicht grundsätzlich ein Widerspruch, denn unterschiedliche Zeugen mögen in unterschiedlichen Ortslagen während unterschiedlicher Phasen der Auseinandersetzung auch in unterschiedliche Handlungen verwickelt sein und unterschiedliche Wahrnehmungen darüber gemacht haben.

Johannes Neumeyer von der 8. Kompanie unter Hauptmann von Suckow schildert das Niederbrennen von Roselies als Racheakt – was nach internationalen Standards ein Kriegsverbrechen ist, wie Otte/Zimmermann feststellen:

Die Rache war groß. Das ganze Dorf wurde von uns in Brand gesteckt, aber kein Gehöft blieb verschont. [13]

Ein Tagebuchschreiber aus dem 92er Regiment schildert das Niederbrennen von Häusern im nördlichen Teil der Stadt als ein Kampfmittel, um die Gegner aus den Häusern zu vertreiben, was nach den gleichen internationalen Standards kein Kriegsverbrechen wäre, so Otte/Zimmermann:

Das zweite Bataillon war sofort in einen heftigen Straßenkampf verwickelt, alle Häuser mussten gewaltsam erbrochen werden, es entspann sich im Innern derselben ein wütender Kampf mit Kolben und Bajonett und da man mancher Hausbesatzungen nicht habhaft werden konnte, weil die Verteidiger sich auf dem Boden versammelt hatten, so griff man zu dem einzig wirksamen Mittel in solchem Falle, man zündete die Häuser an. [14]

Hier sei nun angemerkt, dass es nicht nur möglich, sondern auch wahrscheinlich ist, dass die unterschiedlichen Berichte beide zutreffen. Es wurden zwar Kriegsverbrechen begangen, auch durch Niederbrennen von Häusern, aber nicht alles, was gemacht wurde, waren im Sinne der Haager Landkriegsordnung Kriegsverbrechen, auch nicht in jedem Einzelfall das Niederbrennen von Häusern, worauf Otte/Zimmermann zu Recht verwiesen.

Einige Ausführungen aus dem Tagebuch des 92ers lassen darauf schließen, dass dessen anonymer Autor dem III., sogenannten Leibbataillion [15] des 92. Regiments angehört. Neben dem 2. Bataillon und dabei besonders der 8. Kompanie dieses Bataillons war vor allem das Leibbatallion direkt an der Eroberung des Dorfes beteiligt:

Die linke Häuserreihe, die erst kurz vorher vom Leib-Batl. geräumt war, war das Ziel der französischen Artillerie. Musketier Pramann, der Bursche vom Leutnant Vollrath, wurde hierbei getötet. [16]

Der Tagebuchschreiber aus dem Leibbataillion berichtet von solchen Räumungen, und es besteht kein Grund daran, an seiner Aussage zu zweifeln, dass im Rahmen dieser Räumungen im Häuserkampf gegen die französischen Sodaten auch einzelne Häuser abgebrannt wurden, wie der Tagebuchschreiber das beschreibt. Nur muss das nicht das alleinige Muster der Brandstiftungen gewesen sein.

Auch das dem Bericht beigefügte Foto einer durchgängigen Reihe ausgebrannter Häuser ist im Tagebuch mit „Strafgericht“ untertitelt. [17]

Häuser wurden jedenfalls auch in anderem Zusammenhang aus anderen Gründen niedergebrannt, eben auch aus Rache, als „Strafgericht“ und auch da gibt es keinen Grund, solche Berichte anzuzweifeln. Als Einzelfall mag das folgende Ereignis zu werten sein, das sich wie das des 92ger Tagebuchschreibers noch aus der Dynamik des Häuserkampfes erklärt. Ein Grund, diesen Bericht anzuzweifeln, ist ebenfalls nicht ersichtlich:

Um die nächste Umgebung zu erhellen, befahl der Hauptmann, das rechte Eckhaus (Gastwirtschaft) in Brand zu stecken. […] Bald erschien der „Rote Hahn“ auf dem Dachfirst, nachdem vorher noch die Fenster eingeschlagen waren, um Luftzug zu erzeugen. Der Platz um die Kirche war nun bald hell erleuchtet. Ordnung trat jetzt wieder ein. [18]

Letztlich ist die genaue Zahl der zur Strafe und aus Rache niedergebrannten Häuser für eine Bewertung nicht entscheidend. Die deutschen Quellen schildern aber die derart motivierte Brandstiftung sehr klar. Wie aus den Regimentsberichten hervorgeht, kam der Befehl dazu von Hauptmann von Suckow, Führer der 8. Kompanie, nachdem der Kampf um Roselies faktisch entschieden war und die französischen Soldaten sich auch aus dem südlichen Teil des Dorfes kampflos zurückgezogen hatten. Wie der zur 8. Kompanie gehörige Johannes Neumeyer berichten auch die Autoren von „8/92 auf dem Vormarsch“:

Der Hauptmann gab den Befehl – wohl auf Grund der Beteiligung der Zivilbevölkerung am Kampfe – sämtliche Häuser in Brand zu stecken. [19]

Hauptmann Hugo von Suckow, Führer der 8. Kompanie des 92er Regiments, wäre demnach auch verantwortlich für das Niederbrennen von Roselies. Sein Sohn Wilhelm, Leutnant in der 6. Kompanie, machte das Foto der ausgebrannten Häuserzeile. Die Schilderung der 8/92 beschreibt die Brandstiftungen am genauesten. Als „teilnehmende Beobachter“ waren die Autoren der 8. Kompanie unmittelbar am Geschehen beteiligt. Von den nach dem Rückzug der französischen Soldaten in den Häusern verbliebenen Zivilisten kam offenbar kein nennenswerter Widerstand:

Beteiligung von Zivilisten an Kampfhandlungen?
Über Hauptmann von Suckow heißt es bei den 8/92ern:

In voller Ruhe erteilte er seine Befehle, obwohl er durch zwei Streifschüsse an beiden Armen verwundet war. Vermutlich hatte er die Schüsse aus einem Jagdgewehr erhalten, die von einem belgischen Zivilisten abgegeben waren. [20]

Ein Grund für die Vermutung wird nicht gegeben. Deutsche Quellen geben nicht den geringsten Hinweis, warum die Streifschüsse ausgerechnet von einem Zivilisten abgegeben sein sollen und nicht von französischen Soldaten, welche die Häuser ja noch besetzt hatten. Bei den im Ort hingerichteten Zivilisten seien angeblich 2 Pistolen und eine Schrotflinte gefunden worden. In den Ausführungen keiner Quelle zu Roselies findet man konkrete Hinweise darauf, dass Zivilisten in die Kämpfe eingegriffen haben. Gegen Tausende gut ausgebildeter deutscher Soldaten schiene das auch Wahnsinn.

Gerechtfertigt wird dann der Befehl zur systematischen Einäscherung des Dorfes auch wiederum mit der nur vermuteten Begründung, dass sich Zivilbevölkerung am Kampf beteiligt hatte. Die Rechtfertigung eines Racheaktes bzw. eines Strafgerichtes über das Dorf baut sich also im Bericht auf doppelten Vermutungen auf, die gerade angesichts der konkreten Schilderungen des Kampfgeschehens nicht plausibel sind. Vermutlich seien es Zivilisten gewesen, die den Hauptmann mit zwei Streifschüssen verwundeten. Und eine solche vermutete Beteiligung von Zivilisten sei vermutlich der Grund für Hauptmann von Suckow gewesen, sämtliche Häuser des Dorfes in Brand zu stecken. Sämtliche Häuser waren es nicht, der in den deutschen Quellen übermittelte Befehl gibt aber dem Willen der Eroberer Ausdruck, das Dorf substantiell zu vernichten.

Ganz abgesehen davon, dass es sich so oder so um ein Kriegsverbrechen handeln würde, scheint die Vermutung einer nennenswerten Beteiligung von Zivilisten am Kampf unbegründet. Denn alle getöteten Zivilisten sind sowohl nach den deutschen als auch nach den französischen Quellen hingerichtet worden. Keiner fiel im Kampf. Dagegen sind hunderte französische Soldaten im Kampf getötet worden, viele davon im Ort Roselies:

Auf der Straße sahen wir die ersten Toten der Franzosen und stellten deren Verluste fest. [21]

Dass ausschließlich kämpfende französische Soldaten in den Kämpfen getötet wurden, nicht auch belgische Zivilisten, wenn sie sich denn intensiv am Kampf beteiligt hätten, leuchtet nicht ein. Es wird denn auch kein einziger konkreter Hinweis auf eine direkte Beteiligung von Zivilisten gegeben, obwohl detailliert über das Kampfgeschehen und daraus resultierenden Verwundungen und Todesfällen berichtet wird. Eine intensive Beteiligung von Zivilisten scheint daher eher ausgeschlossen als wahrscheinlich.

Die aus den Häusern mit hochgehobenen Händen herauskommenden Bewohner wurden nach Waffen durchsucht und zurückgeführt. Vielfach wurden die verschlossenen Türen gewaltsam geöffnet. Verstört, mit ängstlichen Mienen und verzerrten Gesichtern liefen die Einwohner des Ortes in den brennenden Straßen zwischen deutschen Soldaten entlang. Die Hitze wurde unerträglich Neben der Flammenglut brannte auch noch die Mittagssonne auf uns. Rauch brachte unsere Augen zum Tränen. Wir sahen aus wie die Mohren. Die Flammen schlugen von einer Straßenseite zur anderen und versperrten der Artillerie die Durchfahrstraße. Daher wurde der Befehl erteilt, das Anstecken der Häuser zu unterlassen. [22]

Von Häuserkampf ist nicht (mehr) die Rede, nachdem die französischen Soldaten das Dorf verlassen und nur Tote und Verletzte zurückgelassen haben.

Es lassen sich mehrere Phasen der Brandstiftungen ausmachen. In der ersten Phase wurden die französischen Soldaten aus den Häusern vertrieben. Wenn das nicht ohne weiteres gelang, wurden auch Häuser angezündet. Für die Mehrzahl der über 90 niedergebrannten Häuser kann das aber kaum gelten, wie die Berichte der 8. Kompanie, die sich für die Brandstiftungen verantwortlich zeigt, nahelegen. Nachdem Kolben und Beile Eingang in die Häuser geschaffen hatten, beschreibt Sobbe Durchsuchung und das Ergebnis – die französischen Soldaten hatten sich aus dem Ort Roselies zurückgezogen.

Bis in die Dächer und Kellerräume wurde eingehend die Durchsuchung vorgenommen. Soldaten wurden nirgends mehr angetroffen. Sie hatten sich vermutlich auf der Rückseite der Häuser enfernt. [23]

Der intensive Häuserkampf fand in der ersten Phase hauptsächlich im nördlichen Teil des Dorfes statt, wobei in dem Zusammenhang auch Häuser niedergebrannt wurden. Das systematische Niederbrennen von Häusern als Strafgericht fand dann in der zweiten Phase statt, vor allem im südlichen Teil des Dorfes, nachdem sich die Franzosen aus dem Dorf zurückgezogen hatten. Danach hätte sich den Deutschen an sich auch die Möglichkeit geboten, Roselies zu verschonen – nachdem dann auch die Zivilisten aus den Häusern getrieben und diese durchsucht und in ca. 160 Fällen geplündert worden waren, gab es keinen Grund mehr, die Häuser auch noch nieder zu brennen.

Verbringung gefangener Zivilisten nach Tergnée
Die aus den Häusern mit hochgehobenen Händen herauskommenden Bewohner wurden, nachdem sie nach Waffen durchsucht worden waren, „zurückgeführt“, heißt es im oben Zitierten. Dies bedeutet hier nach allem nicht, dass sie von den 8/92ern in die Häuser zurückgeführt (-getrieben) und dann mit verbrannt wurden.

„Zurück“ bedeutet hier nach allem in die Richtung, aus der die deutschen Soldaten gekommen waren, d. h. nach Norden an die Sambre, die man gerade überquert hatte. Bei von Sobbe heißt es ähnlich:

Männer, Frauen und Kinder wurden aus den Häusern z. T. mit Gewalt herausgeholt. Letztere ließ man in Richtung Tergnée sich auf den Weg begeben, die Männer wurden in einem Hause weiter rückwärts als Gefangene untergebracht. [24]

Tergnée liegt angrenzend an Roselies südlich der Sambre und der Sambre-Brücke, über welche die 92ger Infanterie nach Roselies kam. Das „zurückgeführt“ ist in einem geographischen Koordinatensystem zu verstehen und bezieht sich entsprechend auf den Ort Tergnée, der nördlich an Roselies angrenzte und über den die deutschen Soldaten gekommen waren. „Weiter rückwärts“ in Tergnee war man dann nah an der Sambre Brücke, wo gefangene Zivilisten versammelt waren. Eine Ansammlung Zivilisten, die „die flehentlichsten und verzweifelsten Gesichter“ machten, beschreibt auch Walter Voigt [25].

3) Geiselnahmen
Neben dem Niederbrennen von Dörfern gehörten auch Geiselnahmen von Zivilisten zum festen Repertoire der deutschen Eroberer:

Sehr zweckmäßig erwies sich die Mitnahme von Geiseln von einem Dorf zum anderen, wodurch Feindseligkeiten der Bewohner vorgebeugt wurde. [26]

schreibt Sobbe. Die Rapports berichten auch für Roselies von einer Geiselnahme [27]. Ein Zivilist namens Lenain wurde als ortskundiger Lotse und als Geisel von Farciennes nach Roselies mitgeführt.

Das Foto [28] mag ein anschauliches Beispiel einer solchen Geiselnahme geben. Auf einem Feldweg sieht man die Spitze des Regiments mit Regimentskommandeur Schollmeyer und seinem Adjudanten von Trotha. Davor eine Vorhut, bestehend aus einem Soldaten zu Pferd und einem zu Fahrrad. Vor ihnen sieht man noch einen Zivilist zu Fuß. Vermutlich eine Geisel.

4.) Hinrichtungen von Zivilisten

a) Hinrichtung einer Einzelperson
Die Geisel auf dem Foto hat vielleicht überlebt. Lenain, der von Farciennes mit nach Roselies genommen wurde, nicht. Am Ortseingang von Roselies wurde er erschossen. Ähnlich wie Lenain war es vor ihm der Geisel Abbé Dossogne widerfahren. Dossogne wurde von Hockai, dem ersten Dorf nach der belgischen Grenze, als Geisel nach Tiegé mitgenommen und vor Tiege erschossen. Und ähnlich war es nach Lenain auch der Geisel Abbé Berlier ergangen. Berlier wurde von Biesme nach Oret mitgenommen und dann vor Oret erschossen.

Auch v. Sobbe berichtet in seiner Regimentsgeschichte von der Hinrichtung einer einzelnen Person in Roselies. Die Gründe für die Hinrichtung sind allerdings andere:

Die 12. Komp. fand einen alten Mann mit der Pistole in der Hand. Schon traf ihn das verdiente Los. [29]

Quellenkritik: die Schreibart v. Sobbes.
Sobbe nimmt insoweit eine Sonderstellung unter den Berichterstattern aus dem 92er Regiment ein, wie er selbst nicht am Krieg teilnahm, er kann also nicht auf eigene Erfahrung, nicht auf unmittelbares Erleben dessen, was er beschreibt, zurückgreifen. Andererseits lässt er aber Berichte aus verschiedenen Kompanien des 92er Regiments in seine Berichte einfließen und versucht, alles in einer umfassenden Regimentsgeschichte zusammenzubringen.

Seine Begründung der Erschießung von Abbé Berlier vor Oret charakterisiert seine Schreibart – auf frühere Ausführungen zu Berlier sei verwiesen. Sobbe verschweigt nicht, dass Abbé Berlier von den 92er-Soldaten erschossen wurde. Er vermerkt dessen Tod wie ein korrekter Buchhalter. Andererseits legt Sobbe die Umstände und Gründe dafür aber so zurecht, dass die Hinrichtung von Berlier aus seiner Sicht gerechtfertigt erscheint.

Berlier sei mit einem Begleiter auf frischer Tat ertappt worden, als er gerade einen deutschen Kameraden in seinem Pfarrhaus bei der Kirche von Oret erschossen habe. Zwei „abgeschossene Pistolen“ habe man dort gefunden, so dass sich die Indizien für ihn zur Evidenz verdichteten, zum unwiderlegbaren Beweis dafür, dass Abbé Berlier und sein Begleiter den deutschen Soldaten ermordet hätten [30]. Insofern ist die Hinrichtung für v. Sobbe die konsequente, gerechtfertigte Folge.

Zwei deutsche Augenzeugenberichte in anderen Regimentsgeschichten [31] und die belgischen Quellen [32] erzählen eine gänzlich andere Geschichte: Berlier wurde von Biesme als Geisel mit nach Oret genommen und dann vor Oret erschossen. Die Tötung des Geistlichen als solche wird von v. Sobbe nicht bestritten. Die Umstände der Hinrichtung von Berlier haben aber kein Korrelat in anderen Berichten. Sie sind offenbar von v. Sobbe frei erfunden, um die Hinrichtung aus seiner Sicht zu legitimieren, in soldatisch ehrenhaftem Licht erscheinen zu lassen.

b) Die Tötung mehrerer Personen einer Gruppe
Zwei weitere Zivilisten werden nach den Rapports auf der Flucht aus dem brennenden Dorf getötet. Sie werden in den Rapports auch namentlich genannt [33]: Dimanche und Fournier. Viele weitere Zivilisten seien in der gleichen Situation verletzt worden. Wenn auf fliehende Zivilisten geschossen wird, dabei zwei getötet und viele verletzt werden, kann man schon von einem Massaker sprechen. Die Vorgänge scheinen in einer solchen Situation auch plausibel. In den Berichten von Augenzeugen aus der 8. Kompanie heißt es:

Verstört, mit ängstlichen Mienen und verzerrten Gesichtern liefen die Einwohner des Ortes in den brennenden Straßen zwischen deutschen Soldaten entlang. [34]

In einer solchen Situation kann es schon einmal zu panischen Fluchtreaktionen einzelner Einwohner kommen. Als weitere Konsequenz kann der Kontrollverlust des Militärs über die fliehenden Einwohner wiederum leicht dazu führen, dass deutsche Soldaten ihnen hinterherschießen, was wiederum verstärkend auf Fluchtreaktionen wirken kann und in der Folge wiederum zu dem Versuch, dies durch mehr oder weniger gezielte Schüsse der Soldaten zu unterbinden.

Auch v. Sobbe fasst einige Tötungen nach einem einheitlichen Muster zusammen. Das Muster Sobbes fällt allerdings anders aus als in den Rapports. Nicht auf der Flucht werden die Zivilisten erschossen, sondern wegen Waffenbesitzes von „Brownings“ und „Schrotflinten“.

Einige verdächtige Gesellen, bei denen man Schrotflinten und Brownings fand, wurden erbarmungslos ins Jenseits befördert. [35]

Während sich das, nennen wir es ruhig: Massaker der wehrlosen Zivilisten nach den glaubwürdigen belgischen Berichten in der chaotischen Situation auch als Reflexhandlungen in der Folge von Desorganisation und Disziplinlosigkeit der 8. Kompanie im Eifer der Plünderungen und Brandstiftungen verstehen lässt, handelt es sich bei Sobbes Beschreibung um eine kaltblütige Hinrichtung, zumal nirgendwo auch nur Indizien aufscheinen, dass solche Waffen auch eingesetzt wurden. Hinrichtungen als solche an Zivilisten werden von v. Sobbe wiederum eingeräumt. Erklärt werden sie von ihm nach einem Standardmuster, das den Erschießungen nicht ihre Verwerflichkeit als Kriegsverbrechen nehmen kann. So wie die Umstände der Hinrichtungen von den Rapports geschildert werden, scheinen sie plausibler und leichter verständlich als die kaltblütig verhängten Hinrichtungen.

c) „Etwa 15 Schuldige“ werden erschossen.

Männer, Frauen und Kinder wurden aus den Häusern z. T. mit Gewalt herausgeholt. Letztere ließ man in Richtung Tergnée sich auf den Weg begeben, die Männer wurden in einem Hause weiter rückwärts als Gefangene untergebracht. Etwa 15 Schuldige ließ Lt. Baron Wrangell im Morgengrauen erschießen. [36]

Gefangene Zivilisten wurden in Tergnée festgehalten. Tergnée ist nicht mit dem südlich angrenzenden Roselies als Verwaltungseinheit verbunden. Aus welchen historischen Gründen auch immer gehört es zum auf der anderen Seite der Sambre gelegenen Farciennes. Weil in Farciennes am 22. August 1914 mehr als 10 Zivilisten getötet wurden, ist Farciennes auch in die Liste der Kriegsverbrechen mit getöteten Zivilisten von Horne/Kramer aufgenommen [37]. Die deutschen Einheiten, die die Verbrechen begangen haben, sind von den Autoren allerdings als „unbekannt“ vermerkt. Wir wissen das inzwischen besser: mehr als die Hälfte der in Farciennes nach Horne/Kramer am 22. August 1914 getöteten 20 Zivilisten sind vom 3. Leibbatallion des Braunschweigischen 92ger Regiments getötet.

In den Rapports wird diese in Braunschweig meist- „umstrittene Wahrheit“ Sobbes vergleichsweise detailliert geschildert [38], auch wenn nicht „etwa 15“ (Sobbe), sondern genau vierzehn Zivilisten gegen 2 Uhr morgens zur Hinrichtung abgeholt wurden, nachdem sie auf der Farm „Grandson“ in Tergnée eingesperrt waren.

Demnach ließ dann ein Offizier – nicht hoch zu Ross, aber doch mit Sporen – 28 Soldaten antreten, um die 14 Zivilisten hinzurichten. Vermutlich war es Baron von Wrangell. Ganz auszuschließen ist nicht, dass Wrangell, der wenige Stunden später im Gefecht erschossen wurde und in der Folge nicht mehr befürchten musste, einmal für ein Kriegsverbrechen zur Rechenschaft gezogen zu werden, die Verantwortung für die Tat von einem verantwortlichen Kameraden zu dessen eigener Entlastung fälschlich zugeschrieben wurde.

Auf französisch habe der Offizier eine Kollektivstrafe ausgesprochen: „Man hat auf uns geschossen, ihr werdet erschossen“ (l’on a tiré sur nous, vous allez être fusillés).

Die 28 Füsiliere schossen schlecht. Nur zehn Zivilisten wurden tödlich getroffen, vier überlebten verwundet, was bedeutet, dass diese vier gleich doppelt, von je zwei Soldaten verfehlt wurden. Hochgerechnet ergibt das eine statistische Trefferquote von unter 50 Prozent. Scharfschützen des Leibbataillions, die französische Soldaten aus 300 bis 400 m sicher trafen, hatten hier aus wenigen Metern zum Großteil ihr Ziel, d. h. einen Todesschuss, verfehlt.

Denkmal für die im ersten Weltkrieg getöteten Zivilisten von Farciennes – Mehr als die Hälfte der hier am 22. August auch nach Horne/Kramer getöteten Zivilisten wurden auf der gegenüberliegenden Seite der Sambre während der Schlacht von Roselies von Soldaten des 92er Infanterie-Regiments hingerichtet. Zehn wurden bei der Farm Grandson von 28 Schützen auf Befehl von Baron v. Wrangell erschossen. Ein weiteres Opfer, eine Geisel, wurde von Farciennes mit nach Roselies genommen und dort erschossen.

d) Tötung verwundeter französischer Soldaten
Drei Augenzeugen in den Rapports schildern, wie sie sahen, dass wehrlose verwundete französische Soldaten von Deutschen getötet wurden, nachdem die Schlacht schon entschieden war. Die Ausführungen sind detailliert und erscheinen glaubwürdig – sie kommen von namentlich genannten Zeugen: Bürgermeister Sevrau [39], Théophile Naman und Florent Kaisin [40].

Auch hierzu gibt es noch eine apologetische Einlassung von v. Sobbe. Nach Sobbe trug sich ein solcher Vorfall zu,

als die 9. Komp. auf dem Wege zum Essenempfang in Gruppenkolonne marschierte. Da fiel plötzlich ein Schuss und verletzte einen Mann schwer. Ein verwundeter Franzose hatte auf ihn geschossen. Ein Kolbenschlag setzte seinem Leben ein Ende. [41]

Letztlich bestätigt Sobbe damit die Tatsache, dass in Roselies verwundete französische Soldaten getötet wurden. Die Sobbesche Begründung rechtfertigt dann im Weiteren auch diese Tat, ist aber damit nicht glaubwürdig. In einer zu Gunsten der Deutschen entschiedenen, befriedeten Situation soll ein verwundeter französischer Soldat noch auf deutsche Soldaten geschossen haben, die zur Essensausgabe marschierten. Selbst wenn vergessen wurde, dem französischen Soldaten die Waffen abzunehmen, ist ein solcher Situationsablauf nicht plausibel. In der Regel vergreift sich Macht an der Ohnmacht, nicht umgekehrt – wie die plausible belgische Quelle das auch schildert.

e) die Hinrichtung von Abbé Pollart
Der einzige Hinweis in französischen und belgischen Quellen auf getötete belgische Zivilisten bei der Einnahme von Roselies sei der Tod von Joseph Pollart, schreiben Otte/Zimmermann in ihrer Kurzdokumentation (Stand 11.12.2014). Das stimmt so zwar nicht, aber der Tod von Pollart wird zumindest am ausführlichsten geschildert. In den Rapports findet sich ein Absatz über seine Hinrichtung [42], Alfred Lemaire gibt ihr ein eigenes Kapitel [43].

Namentlich erwähnt als ein Hauptverantwortlicher für die Hinrichtung ist Kurt von Bültzingslöwen, Medizinal-Offizier vom 77ger Infanterie-Regiment [44]. Wie Hauptmann von Losch von den 92er Infanteristen für „Atrocités de Biesmes“ wird von Bültzingslöwen für „Atrocités de Roselies“ als Kriegsverbrecher gesucht, mit Adresse: Brühlstraße 11, Hannover. [45]. In den Regimentsgeschichten der 92er Infanterie findet die Hinrichtung Pollarts entsprechend keine Erwähnung. Da sie schon in Richtung der französischen Grenze weitergezogen waren, erlebten sie die folgenden Ereignisse in Roselies nicht mehr mit.

Fazit:
Die Schilderungen von Kriegsverbrechen in den deutschen Quellen (Regimentsgeschichten, Tagebücher, Briefe) werden im Wesentlichen von den belgischen Dokumenten bestätigt. In den deutschen Quellen fallen allerdings auch Namen von Verantwortlichen, die die Belgier nicht kannten. Die Kompanieführer von Wrangell (Hinrichtung von zehn und versuchte Hinrichtung von vier weiteren Zivilisten) und von Suckow (Niederbrennen eines Dorfes) starben allerdings schon 1914 und 1915, so dass sie wegen ihrer Taten nach dem Krieg sowieso nicht mehr hätten zur Rechenschaft gezogen werden können.
 

…. ein Massaker? – Begriffsklärung
der aus dem Französischen übernommene Begriff deckt sich in Herkunft und Bedeutung mit dem deutschen Begriff „metzeln“ [46] oder „metzgen“ [47]. Er beschreibt das Töten (Schlachten) und Zerlegen/Zerteilen von Tieren und Menschen. Zwei Bedeutungskomponenten seien hervorgehoben.

1) Eine Asymmetrie der Macht. Getötet und zerlegt wird ein wehrloses Lebewesen, dass keine Mittel zum Widerstand hat.
2) Zwar kann man auch Einzelwesen „massakrieren“, niedermetzeln, wenn man vom Massaker, vom Gemetzel spricht, geht es doch immer auch um eine erhebliche Anzahl.

In Roselies wurde nun an ein und demselben Tag:

  • auf wehrlose Zivilisten geschossen, die aus einem von schwer bewaffneten Soldaten geplünderten und niedergebrannten Dorf flohen. Auch wenn „nur“ eine Frau und ein Mann tödlich getroffen und viele dabei „nur“ verletzt worden seien, kann man den Vorfall auch für sich allein genommen schon als „Massaker“ bezeichnen. Es handelt sich vielleicht um ein kleines Massaker, es ist aber auch nicht falsch, es als ein solches zu bezeichnen.
  • Drei wehrlose verwundete französische Soldaten, die sich noch regten, wurden – zum Teil sogar mit der Axt – so traktiert, dass sie sich nicht mehr regten.
  • Eine wehrlose zivile Geisel wurde am Ortseingang erschossen – wobei offen ist, ob sie dieseits oder jenseits der Ortsgrenze von Roselies erschossen wurde.
  • Vor der Ortsgrenze, in Tergnée, am Weg von der Sambre-Brücke nach Roselies, wurden 14 wehrlose Zivilisten von 28 Soldaten hingerichtet, wobei 4 verwundet überlebten. Der deutschen Soldaten sollte man gedenken, die diese 4 Verwundeten, nachdem sie 12 Stunden hilflos am Ort der Hinrichtung gelegen hatten, nicht massakrierten, sondern sie auf ein Feld schleppten und dort ablegten, so dass sie immerhin überleben konnten. Die Belgier haben ein großes Herz. Es sollte vielleicht auch uns Deutsche einmal beschämen.

Wir haben in vorhergehenden Beiträgen im Zusammenhang mit den Ereignissen nicht von einem „Massaker“ gesprochen, würden das auch in der Zukunft nicht unbedingt machen. Wie oben begründet, halten wir es aber auch nicht für falsch. Die Diskussion darum ist sinnvoll, soweit sie dazu beiträgt, die Ereignisse trennscharf zu fassen. Das Insistieren auf dem einen oder dem anderen – Massaker oder nicht Massaker – ist nur noch ein Streit um Worte und und läuft in der Sache leer.

Joseph Pollart ist ein Fall für sich. Er wurde einen Tag später in Roselies erschossen, nachdem die Schlacht nicht nur entschieden, sondern auch beendet war. Das 92er Regiment war da schon weitergezogen in Richtung Mettet. Zu den Vorkommnissen in Mettet und Umgebung ausführlich und detailliert die Seite von Dany Bastin: Mettet14-18.

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Endnoten:

1] „Mit Gott? – Für Kaiser, Volk und Vaterland“ Vortrag am 19. März 2014 in der Akademie von Dietrich Kuessner (http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/gesch/mit_gott.pdf)

2] Horne, John und Alan Kramer, Deutsche Kriegsgreuel 1914 – Die umstrittene Wahrheit. Hamburg: Hamburger Edition, 2004. (übers. Udo Rennert)

3] zitiert nach Horne/Kramer, S. 654.

4] Vereinigung ehemaliger 8/92 (Hrsg.), 8/92 auf dem Vormarsch 1914 und die ersten Stellungskämpfe. Erlebnisse von Kriegsanfang bis zum Abtransport nach Russland Ende April 1915. Braunschweig, 1929. S. 18.

5] Verein. ehem. 8/92, S. 22.

6] Voigt, Walter, Mit 1/92 auf dem Vormarsch durch Belgien und Frankreich – Kriegserlebnisse aus den August- u. Septembertagen 1914. Braunschweig: Appelhans, 1924. S. 47.

7] Rapports sur les Attentats Commis par les Troupes Allemandes Pendant L’Invasion et L’Occupation de la Belgique. Premier Volume, Tome II. Bruxelles/Liege, 1923. S. 210.

8] Lemaire, Alfred, L’Invasion Allemande au Pays de Charleroi. 3. Aufl., Bruxelles/Louvain, 1930. S. 142.

9] von Sobbe, Friedrich, Geschichte des Braunschweigischen Infanterie-Regiments Nr. 92 im Weltkriege 1914-1918. Berlin: Wilhelm Kolk, 1919. S. 27.

10] v. Sobbe, IR 92, S. 57.

11] Rapports, Tome II, S. 210, 694.

12] Lemaire, S. 158.

13] Neumeyer, Johannes, ediert als „Aus dem Tagebuch eines Vermissten“ in: Die Braunschweiger im Weltkriege – Vaterländisches Kriegsgedenkbuch. Braunschweig: Appelhans, 1920. Heft 2, S. 59 ff. Hier: S. 60.

14] „Aus dem Tagebuch eines 92ers.“ in: Die Braunschweiger im Weltkriege. Heft 1. S. 22-26. Hier: S. 25.

15] Der Autor des „Tagebuchs eines 92ers“ schreibt „vom schwarzen, nunmehr feldgrauen Regiment“ (S. 22), was darauf hindeutet dass er sich der Tradition des schwarzen Herzogs verbunden fühlte, was besonders für das Leibbataillion galt, welches sich auch als besonders gut ausgebildete Elite-Truppe verstand: „Sobald es hell wurde, waren außerhalb des Dorfes französische Schützen an ihren roten Hosen deutlich erkennbar. Sie wurden von einzelnen Scharfschützen der 9. Kompanie, die von der Dachluke eines Hauses, selbst unbemerkt feuerten, auf 3 bis 400 m nacheinander abgeschossen.“ (S. 25-26) Die 9. Kompanie gehörte zum Leibbataillion. Ihr Kompanie-Führer, Hauptmann von Losch, stand auf der belgischen Auslieferungsliste für Kriegsverbrechen, allerdings nicht für Taten in Roselies, sondern im ca. 15 km südlich gelegenen Biesme. Der Tagebuchschreiber berichtet auch: „Offizierspatrouillen unter Führung der Leutnants von Neindorff und Korfes schlichen sich in der Nacht in die Stadt“ Huy. (S. 22) Die Leutnants kamen aus der 10. bzw. der 11. Kompanie, die ebenfalls zum Leibregiment gehörten. Solch Detailwissen aus dem Bataillon lässt darauf schließen, dass der Tagebuchschreiber dem III. Leibbataillion angehörte. Im Übrigen gehörten die 12. Kompanie, die nach Sobbe (S. 45) einen alten Mann in Roselies hinrichtete, weil sie ihn „mit der Pistole in der Hand“ fand, ebenso zum Leibbatallion wie die Maschinengewehrkompanie von Leutnant Baron Wrangell, der nach Sobbe (S. 46) 15 Zivilisten hinrichten ließ. Es gibt zu denken, wenn schon im ersten Weltkrieg sich militärische Elite durch besondere Brutalität, durch Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung auszeichnete. Möglich, dass es sich beim Tagebuchschreiber, dem neben Detailwissen über das Leibbatallion auch Stabswissen über die Gesamtsituation der Schlacht an der Sambre eignet, etwa um den Adjudanten des Bataillons handeln könnte, Leutnant von Eschwege. Das dem Tagebuch beigefügte Gemälde des Weimarer Kunstprofessors Elmar von Eschwege über den Straßenkampf in Roselies weist große Ähnlichkeit mit dem dörflichen Ambiente des Ortes und vor allem mit dem Kirchturm auf, was auf gute Kommunikation zwischen Regiment und Kunstmaler schließen lässt.

 

16] Verein. ehem. 8/92, S. 19.

17] Tagebuch eines 92ers, S. 22.

18] Verein. ehem. 8/92, S. 18.

19] Verein. ehem. 8/92, S. 21.

20] Verein. ehem. 8/92, S. 20.

21] Verein. ehem. 8,92, S. 21

22] Verein. ehem. 8/92, S. 21.

23] v. Sobbe, IR 92, S. 45.

24] v. Sobbe, IR 92, S. 45-46.

25] Voigt, Mit 1/92 auf dem Vormarsch, S. 39.

26] v. Sobbe, IR 92, S. 28.

27] Rapports, Tome II, S. 211.

28] Voigt, Walter, Mit 1/92 auf dem Vormarsch, S. 50.

29] v. Sobbe, IR 92, S. 45.

30] v. Sobbe, IR 92, S. 65.

31] Voigt, Mit 1/92 auf dem Vormarsch, S. 49; Verein. ehem. 8/92, S. 26.

32] Rapports, Tome I, (1922), S. 181, 499-500; Schmitz/Nieuwland (Hrsg.), L’Invasion Allemandes dans les Provinces de Namur et de Luxembourg. Troisiême Partie. Bruxelles/Paris, 1920. S. 186-188: „Rapports de Madame Berlier“.

33] Rapports, Tome II, S. 211.

34] Verein. ehem. 8/92, S. 21.

35] v. Sobbe, IR 92, S. 45.

36] v. Sobbe, IR 92, S. 45-46.

37] Horne/Kramer, S. 641.

38] Rapports, Tome II, S. 208, 587.

39] Rapports, Tome II, S. 211.

40] Rapports, Tome II, S. 587-586.

41] v. Sobbe, IR 92, S. 53.

42] Rapports, Tome II, S. 211.

43] Lemaire, L’Invasion Allemande, S. 140-147.

44] Lemaire, S. 147.

45] Auslieferungsliste zum Versailler Vertrag gemäß Art. 228 und 230 des Vertrages und dem Protokoll vom 28. Juni 1919.

46] Grimm & Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 12, Spalten 2153-2154.

47] Speer et al., Deutsches Rechtswörterbuch, Bd. 9, Spalte 596.

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