Foto: Jürgen Kumlehn
Woran misst man den Erfolg eines Vortrags? Sicher, an der Zahl der Zuhörer, aber nicht nur. Auch an der Aufmerksamkeit der Zuhörer beim Vortrag und an den anschließenden Fragen. An diesen Maßstäben gemessen, erlebte Dr. Helmut Kramer aus Wolfenbüttel einen großen Abend. Der Ratssaal war rappelvoll, die Zuhörer waren bei höchster Aufmerksamkeit mucksmäuchenstill und stellte sachkundige Fragen. Doch ein Wermutstropfen wurde deutlich. Niemand von der Gedenkstätte Wolfenbüttel, die zuständige Institution, war anwesend. Fragen aus dem Publikum konnten daher z. T. nicht beantwortet werden. Da stellte sich dann doch die Frage, für wen die Gedenkstätte arbeitet, für die Menschen oder ist sie nur Selbstzweck?
Mehr als einhundert Interessierte lauschten dem Richter a.D. Helmut Kramer, dem großen alten Mann der Rechtsgeschichte, der heute noch forscht über die Naziverbrechen der Juristen im „Dritten Reich“-. Foto: Jürgen Kumlehn
180 Minuten trug Herr Kramer über den Juristen Heinrich Ebersberg vor, der Mitorganisator der NS-Massenmorde von mehr als 18.000 Menschen war. Das war nicht einer der üblichen Vorträge, wie man sie so kennt. Der Richter am OLG i.R. Kramer gab vielmehr einen Einblick in seine Arbeitsweise als Rechtshistoriker. Akribisch legte er Dokument für Dokument dem Publikum vor, die die Verantwortung des Juristen Ebersberg belegten. Und er legte Dokumente vor aus denen ersichtlich wurde, wie er im Laufe der Nachkriegszeit so sauber gewaschen wurde, dass Ebersberg schließlich als unbelastet galt. Insofern war Kramers Vortrag auch eine Dokumentation über den Umgang mit schwer belasteten Nazis in der Nachkriegszeit – besonders im Rechtswesen der noch jungen Bundesrepublik. Bekanntlich ist niemals einer der „Blutrichter“ und deren Helfer von einem deutschen Gericht verurteilt worden.
Man fand den Juristen Ebersberg in der Nachkriegszeit zunächst am Wolfenbütteler Amtsgericht und später als Ministerialrat im Bundesjustizministerium . Während des Krieges persönlicher Referent des Reichsjustizministers Thierack wirkte er an der Durchführung der mit Heinrich Himmler vereinbarten Aktion „Vernichtung durch Arbeit“ maßgeblich mit. Tausende von Strafgefangene, auch Wolfenbütteler Häftlinge wurden in Konzentrationslager ausgeliefert, hauptsächlich nach Mauthausen. Unter grausamsten Umständen fanden dort die meisten schon binnen weniger Wochen und Monate einen schrecklichen Tod. Die Todesstiege (Film) in Mauthausen war bekanntlich ein besonders grausames Mordwerkzeug. Auf ihr wurden die Häftlinge durch Arbeit vernichtet. So sparte man den Henker.
Heinrich Ebersberg, mit sog. Persilscheinen gefördert von dem Braunschweiger OLG-Präsidenten und dem Hildesheimer Bischof Godehard Machens, kam nach gelungener Entnazifizierung im Jahre 1949 als Amtsrichter in Wolfenbüttel unter. Nach seiner Beförderung zum Richter am OLG Braunschweig wechselte er im Jahr 1954 als Ministerialrat zum Bundesjustizministerium in Bonn. Erst als er im Jahr 1968 zum Ministerialdirigenten befördert werden sollte, setzte ein wegen Beihilfe zum Massenmord gegen ihn eingeleitetes Strafverfahren zwar seiner weiteren Karriere ein Ende. Zu einem Schwurgerichtsverfahren kam es aber nicht. Man glaubte seiner Beteuerung, er habe nicht gewusst, worauf Begriffe wie „Vernichtung durch Arbeit“ und „Sonderbehandlung“ hinausliefen. Im Jahre 1972 stellte die Staatsanwaltschaft Köln das Verfahren in aller Heimlichkeit ein. Die Presse erfuhr davon kein Wort. Nach 20jähriger Tätigkeit im Bundesjustizministerium ließ Ebersberg sich im Alter von 62 Jahren pensionieren. Für seine „dem Deutschen Volke geleisteten treuen Dienste“ sprach der Bundespräsident Ebersberg Dank und Anerkennung aus.
Videoaufzeichnung des Vortrags von Helmut Kramer zu einem späteren Zeitpunkt.