„Arturo Ui“ im Staatstheater: Dem Karfiol-Süppchen fehlte der kleine Schuss Sherry

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Eine überragende Gertrud Kohl (links) rettet in ihrer Dreifach-Rolle eine biedere Inszenierung des „Arturo Ui“ am Staatstheater. Foto: Staatstheater Braunschweig / ©Birgit Hupfeld

Brecht ist sperrig, pingelig, pedantisch und gern mal doktrinär. Kurzum: deutsch. Deshalb lieben Germanisten ihn, die es nur zum Oberstudienrat gebracht haben, und quälen gerne ganze Schülergenerationen mit seinen Stücken. Dass hinter der vordergründigen Brecht’schen Volkspädagogik tiefe Wahrheiten und subtile Weisheiten verborgen liegen, bleibt häufig unentdeckt.

Nichts eignet sich als Lehrstück für diese These besser, als sein Werk „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“. So fein verschwurbelt wie der Titel klingt, präsentiert sich das gemachte Werkstück: Der Gangster Arturo Ui korrumpiert den (schon an sich korrupten) Trust der Karfiol- (Blumenkohl-) Händler und verschafft sich mit Einschüchterung, Drohung, Brandstiftung, nackter Gewalt und schliesslich Mord die absolute Kontrolle über das Gemüsegeschäft der ganzen Stadt, ja des ganzen Landes! Zum Schluss sind ein paar Existenzen vernichtet, ein paar Menschen tot, die Gegner aus den eigenen Reihen beseitigt und die Besiegten huldigen dem Gangsterkönig.

 

Die Mobster haben die Stadt übernommen: v.l. Robert Prinzler, Luca Füchtenkordt, Gertrud Kohl, Cino Djavid, Roman Konieczny Foto: Staatstheater Braunschweig / ©Birgit Hupfeld

Das 1941 im finnischen Exil geschriebene Stück transferiert die Machtergreifung Adolf Hitlers in die Welt der Chicagoer Unterweltkönige und thematisiert den erzwungenen Anschluss Österreichs (im Stück die Stadt „Cicero“). Generalintendantin Dagmar Schlingmann inszeniert die Parabel am Staatstheater Braunschweig werkgetreu, aber damit eben auch pedantisch deutsch. Ihr Schauspiel-Ensemble muss die 28 Rollen teilweise dreifach besetzen, weil Schlingmann keine Nebenfigur opfern möchte. Das geht zu Lasten der Werkverständlichkeit und fordert den Akteuren extreme Mühen ab. Brillant in diesem Spagat Gertrud Kohl. Im Silberglitzerkleidchen moderiert sie die „Gangstershow“ an, flötet als Nummerngirl mit kindlich-naiver Stimme („der Docksborough hat Dreck am Stecken!“) Brechts Hirnakrobatik in Richtung Publikum, schlüpft zwischendurch in die Hosenrolle des Reedereibesitzers Sheet und muss sich als Angeklagter Fish auch noch malträtieren lassen. Chapeau und extralanger Schlussbeifall. Gertrud Kohl allein macht das Stück sehenswert, sie rettet als becircendes und charmierendes Kätzchen selbst aus dem Off heraus Szenen, die an ihrer preussischen Werktreue darben.

 

Cino Djavid ringt seiner Rolle als Arturo Ui auch vor einem blöden Baugerüst komische Momente ab. Foto: Staatstheater Braunschweig / ©Birgit Hupfeld

Cino Djavid gibt einen überzeugenden, allerdings auch eindimensionalen Arturo Ui. Zu stringent sein Streben nach Aufstieg, zu gering seine Zweifel am eigenen Teufelstrip. Immerhin bringt er Action in die befremdlich leblos wirkenden Kulissen: Er darf wild auf einem weißen Ledersofa herumhopsen, als er sagt: „Ich bin der König der Welt. Ich, ich, ich!“

Die vorgeschriebenen Laufwege des übrigen Ensembles (darunter Heiner Take als Mulberry, Robert Prinzler als Roma, Luca Füchtenkordt als Giri, Vanessa Czapla als Butcher und Isabell Gieseler in vierfacher Rolle) lassen sich als Stillleben abbilden; wahlweise als antikes Sprechtheater à la greque. Und wer hat der inszenierenden Intendantin eigentlich beigebracht, dass es toll ist, wenn während der Vorstellung Kulissen in Form von Baugerüsten auf der Bühne hin- und hergeschoben werden? Den Gag darf man einmal pro Saison bringen. Aber bitte nicht zum dauerhaften Stilmittel im großen Haus machen. Da erwarten die Zuschauer für ihr gutes Geld auch mal ordentliche Handwerksarbeit der Bühnenbildner. Im eh nicht ausverkauften Premieren-Haus blieben nach der Pause weitere Sitze leer.

Geneigter Beifall, wohl insbesondere für die Fleissarbeit der Schauspieler, beschloss den Abend mit einem Brecht, der nach fast 70 Jahren nicht mehr für jeden Besucher zugänglich ist. Die seinerzeit hochbrisanten Anspielungen auf einen Ernst Röhm oder Engelbert Dollfuß sind dem breiten Gedächtnis der Geschichte mittlerweile entschwunden. Der auch heute noch aktuellen Gemengelage Korruption, Durchsetzung wirtschaftlicher Machtinteressen, Politikversagen und Aufstand der Anständigen hat die Braunschweiger Inszenierung leider keinen Farbtupfer hinzugefügt. Dabei preist das Programmheft des Staatstheaters die eigene Intendantin als „Schülerin von renommierten Brechtkennern“ in direkter Erbfolge von Helene Weigel (welche Hybris!).

„Ihr aber lernet, wie man sieht, statt stiert. Und handelt, statt zu reden noch und noch“ beschliesst Brecht sein Stück im Epilog. Auf der Braunschweiger Bühne gab es zuwenig zu sehen und es wurde zuviel geredet. Was Schlingmanns Karfiol-Süppchen fehlte, war der kleine Schuss Sherry, der es zu einer soupe dubarry geadelt hätte.

 

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