Neue Mittelstreckenwaffen in Deutschland? Warum schweigen Parlament und etablierte Parteien? Wo bleibt der öffentliche Aufschrei?

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Symbolbild Foto: pixabay

Die jüngeren Generationen wissen es allenfalls aus Erzählungen:  Die Stationierung von neuen Mittelstreckenraketen in den 80er Jahren schuf eine breite Protestbewegung und Großdemonstrationen (300.000 allein in Bonn!), die Debatte darüber erfasste alle Medien, die ganze Gesellschaft und veränderte die Parteienlandschaft mit Entstehen der GRÜNEN, die damals noch Antimilitarisierungs- und Friedenspartei sein wollte. Und heute?

Die politische Öffentlichkeit erscheint wie sediert!

Allenfalls müde Kommentare über die fehlende parlamentarische Debatte in den Leitmedien, aber keine Kritik, keine Infragestellung. Die politische Öffentlichkeit erscheint wie sediert. Gerade für linke Parteien, linke SozialdemokratInnen u.a. friedensbewegte Menschen sollte das Aufwind bedeuten. Aber die Zustimmung bei WählerInnen ist mäßig, der breite Protest bleibt aus. Zumindest noch. Warum?

 Was unterscheidet die Lage heute von den 80er Jahren?

Erstens erleben wir seit 2014 eine erstaunliche Verengung des medialen Meinungsspektrums – besonders bei den Öffentlich-Rechtlichen –  in Bezug auf die Risiken der Osterweiterung von NATO und EU und eine Neuauflage des „Kalten Kriegs“, gleichzeitig einen Kurswechsel bei den grünen und linken Parteien in Richtung Unterstützung der NATO, und schließlich haben sich durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine überall diese Fake-Narrative durchgesetzt: Putin wolle für Russland als Reststaat der alten UdSSR sein verlorenes Imperium zurückholen und einen Krieg gegen die demokratischen Werte des Westen führen, die seine Herrschaft bedrohe. Schutz biete dagegen nur eine einige und starke NATO. Diese Angst-Propaganda wird heute in einem wie orchestriert wirkenden Gleichklang von allen führenden Politikern der NATO- und EU-Staaten mantramäßig wiederholt, von den Journalisten der Leitmedien unwidersprochen geteilt und in allen anderen Medien als einzig mögliche  Haltung verbreitet. (Wie so eine freiwillige „Gleichschaltung“ der Medien funktioniert, darüber gibt z.B. Michael Lüders in seinem Buch „Die scheinheilige Supermacht“ von 2021 ab S. 150 Auskunft. )

Außerdem vergeht kaum ein Tag  ohne Schlagzeilen über sicherheitspolitische Bedrohungen aus dem Ausland: Hacker-Angriff aus Moskau, chinesische Kampfflugzeuge im Luftraum von Taiwan, iranische Schnellboote im Persischen Golf und Tests von Langstreckenraketen in Nordkorea. Viel Aufmerksamkeit wird auf die Versuche der verdeckten Einflussnahme auf Wahlen und Abstimmungen in den USA und Europa gelenkt, wobei meist Russland am Pranger steht. Die Kritik Macrons am „Hirntod“ der NATO, die militärischen Aggressionen der USA seit dem Zerfall der Sowjetunion in ihrem eigenen „Hinterhof“ Süd- und Mittelamerika, im Irak, in Libyen, in Syrien und Afghanistan – um nur einige hervorzuheben – all das ist wundersam aus den Medienberichten und Kommentaren verschwunden: Unser Gehirn wurde geflutet!

Zweitens hat sich die Medienlandschaft  und mediale Verbreitung von Informationen komplett gewandelt: Galt früher noch die Trennung von Berichterstattung und Kommentar als journalistische Leitlinie, so ist heute eine problematische Vermischung aus beidem die Regel. Gerade wer regelmäßig „Spiegel-Online“ liest, wird das bestätigen können („So manipulieren Moskaus Agenten die deutsche Debatte über den Ukrainekrieg“, 5.7.2024). Schon in der Überschrift ist eine klare Meinungsvorgabe und Bewertung der Fakten gegeben, „Framing“ und „Agenda-Setting“ als propagandistische Methoden sind nun Standard.

Vgl. dazu:

Drittens: Wenn alle Medien und Spitzenpolitiker das Gleiche erzählen über Putins aggressive Absichten und wie wichtig unsere Waffenhilfe ist, dann bekommen Leser und Hörer das Gefühl, es gebe keine ernsthafte Alternative zu der vermittelten Haltung. Kritiker, die sich gegen den Krieg und Waffenlieferungen aussprechen, werden allseits als Lumpenpazifisten oder Putin-Versteher lächerlich gemacht. 

Aber woher kommt diese Gleichgerichtetheit? Wer sich näher mit den institutionellen Strukturen und ideologischen Positionen der NATO beschäftigt, wird auf eine „Waffengattung“ stoßen: Die „cognitive warfare“, kognitive Kriegsführung, mit anderen Worten die propagandistische Beeinflussung der öffentlichen Meinungsbildung in allen Fragen der Sicherheitspolitik. Wer betreibt das? Eine Studie im Auftrag der LINKEN zur neuen NATO-Strategie sagt dazu:

„Ein Netzwerk von NATO-Thinktanks (Denkfabriken) bildet eine Infrastruktur zur Beeinflussung von Öffentlichkeit und politischen Entscheidungsprozessen in Europa.“

„Im Jahr 2005 hat das erste dieser NATO-Exzellenzzentren, das Joint Power Competence Centre (JAPCC), im nordrhein-westfälischen Kalkar seine Arbeit aufgenommen. Mittlerweile gibt es in Deutschland drei NATO-Thinktanks, aber Deutschland beteiligt sich darüber hinaus auch personell und finanziell an weiteren fünfzehn Zentren. Im Jahr 2020 wurden 996.702 Euro finanzielle Unterstützung aufgewendet. …  Der 2014 gegründete lettische Thinktank StratCom ist wiederum eine Komponente des intensivierten Programms der hybriden Kriegsführung der NATO. Der Schwerpunkt dieses Exzellenzzentrums ist die strategische Kommunikation und Koordination von diplomatischen Beziehungen und Öffentlichkeitsarbeit sowie Operationen auf psychologischer Ebene und im Informationsbereich. Mit anderen Worten: (Gegen-)Propaganda.“ Wer regelmäßig Talk-Shows mit Illner oder Lanz guckt, wird mit Sicherheit sog. Militär- oder Sicherheitsexperten aus dieser Propaganda-Schule erlebt haben. Sie werden immer wieder eingeladen.

https://www.jacobin.de/artikel/die-neue-nato-doktrin-thinktanks-centre-of-exellence-japcc-ccdcoe-defence-strategic-communications-hybride-kriegsfuhrung-cyberangriff-studie-die-linke

»Die aktive Nutzung von Desinformation wird ebenso offen in Erwägung gezogen wie der Einsatz der Sozialen Medien zur Verbreitung einfacher Narrative, um die Herzen und Köpfe der breiten Bevölkerung zu gewinnen.«

„Auch außerhalb des Netzwerks der CoEs agieren in Europa von der NATO mitfinanzierte Denkfabriken im Sinne des Militärbündnisses, etwa der 2005 in Bratislava, Slowakei, gegründete Thinktank GLOBSEC. Dieser spricht insbesondere die Zivilgesellschaft und politische Akteurinnen und Akteure in Mittel- und Osteuropa an, agiert aber gleichzeitig als Lobbyorganisation in Brüssel, um die Außen- und Sicherheitspolitik der EU zu beeinflussen. Neben der NATO wird die Arbeit von GLOBSEC unter anderem von der Europäischen Kommission, dem Thinktank National Endowment for Democracy in Washington und zahlreichen Unternehmen finanziert.“ (zit.ebd)

 Die Elitenetzwerke der Transatlantiker

Viertens sind heute die Netzwerke der Transatlantiker („Atlantik-Brücke“, Aspen-Institute, TPN, DAG u.v.a.) effektiver und besser mit führenden Politikern fast aller Parteien und Alpha-Journalisten verbunden und sorgen für einen intensiven Meinungsaustausch und Karriereförderung. Sie vertreten eine offensive Außen- und Sicherheitspolitik, bestrebt, keine Differenz zwischen deutscher Regierungspolitik und der geopolitischen Agenda der USA zuzulassen. In der Atlantik-Brücke bspw. sind Spitzenpolitiker der etablierten Parteien (Sigmar Gabriel, SPD, Norbert Röttgen, CDU, Omid Nouripur, B.90/Die Grünen, Christian Lindner, FDP u.a.) vertreten, führende Journalisten großer Verlage und Medienkonzerne (z.B. Kai Diekmann, BILD, Angelika Gifford von Facebook, Claus Kleber, ZDF, Stefan Kornelius, Südd.Zeitung, Jan Fleischhauer u.v.a.) sowie Vertreter von Wirtschaftsunternehmen und Banken. Mitglied kann man nicht werden, man wird „eingeladen“, kooptiert! Demokratie und Transparenz bleiben draußen!

Kein Wunder also, dass es zwischen den dort vertretenen Parteien und Leitmedien – mit Ausnahme eines Vertreters der LINKEN, die man dort gerne „einbinden“ bzw. dem „transatlantischen Dialog“ näher bringen möchte – keinen fundamentalen Dissenz zur NATO und US-Außenpolitik gibt. Stellen Sie sich vor, Sie wären ein solcher kritischer Journalist einer linken Zeitung und dort Mitglied: Würden Sie sich dauerhaft dort als Eckensteher und linker Prügelknabe wohlfühlen? Aber keine Sorge, man würde Sie gar nicht einladen! Aber vielleicht verstehen wir hier besser, wie sich PolitikerInnen der einstigen GRÜNEN, die sich noch in den 90er Jahren als basisdemokratisch, gewaltfrei, antimilitaristisch und Friedenspartei verstanden, nun zu Bellizisten mutieren konnten: Auf Dauer korrumpieren Ministerämter, das Gefühl zur Machtelite zu gehören und solche Einbindungen in Netzwerke den Verstand, aber ebenso die Moral!

Umso wichtiger ist es, in dieser Zeit der Meinungsüberflutung durch die herrschenden Transatlantiker Zeichen des Widerstands und Protestes entgegenzusetzen, z.B. bei den jetzt angekündigten Demos.

Reinhard Faudt

Quellen:

Michael Lüders, Die scheinheilige Supermacht. Warum wir aus dem Schatten der USA heraustreten müssen. München 2021

https://www.jacobin.de/artikel/die-neue-nato-doktrin-thinktanks-centre-of-exellence-japcc-ccdcoe-defence-strategic-communications-hybride-kriegsfuhrung-cyberangriff-studie-die-linke

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