Prantls Blick: Lawinenschutz für die Demokratie

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Prof. Dr. Heribert Prantl war 25 Jahre lang Leiter des Ressorts Innenpolitik der SZ, sodann Leiter des neugegründeten Ressorts Meinung. Acht Jahre lang war er Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung. Seit seinem altersbedingten Ausscheiden aus diesen Ämtern zum 1. März 2019 ist er Kolumnist und Autor der SZ.
Von Heribert Prantl Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung
In Polen zur Zeit der Rechtsaußen-Regierung der PiS-Partei hat sich gezeigt: Es gibt unendlich viele Methoden, ein Verfassungsgericht zu demolieren. Es hat sich auch gezeigt, dass der destruktiven Kreativität bei der Behinderung des Rechtsstaats keine Grenzen gesetzt sind. Deswegen läuft es einem kalt den Rücken herunter, wenn in einem deutschen Gerichtssaal gedroht wird: „Wenn wir dran sind, seid ihr alle weg.“ Die Schilderung einer solchen Drohung in einem Gerichtssaal war der Gänsehaut-Moment bei einer Veranstaltung des Bayerischen Richtervereins und des Deutschen Richterbundes am vergangenen Mittwoch im Münchner Justizpalast. Es ging dort um die Frage: „Was schützt den Rechtsstaat von innen?“ Der Titel der Veranstaltung war: „Brüchiges Bollwerk“.

Wie lässt sich das Bollwerk Justiz gegen Angriffe der AfD stabilisieren? Dieses Problem trieb die Diskutanten um; unter ihnen war auch Hans-Jürgen Papier, der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts; er warb dafür, der Justiz und dem Bundesverfassungsgericht im Grundgesetz künftig einen eigenen Abschnitt zu widmen. Ob das reicht, um die Durchsetzung radikaler politischer Ziele abzuwehren? Ob das reicht, um den Exzessen von finster entschlossenen Feinden des Rechtsstaats Paroli zu bieten? Ob das reicht, um eine Finsternis zu verhindern?

Man darf nicht warten, bis es zu spät ist

Erich Kästner, der sich einst als Chronist der nationalsozialistischen Verbrechen begriff, gab schon vor Jahrzehnten einen anderen Rat. Er hatte bei der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 aus nächster Nähe beobachtet, wie seine Werke ins Feuer geworfen wurden; er hatte gehört, wie der NS-Propagandaminister Goebbels ihn als dritten Namen nannte und als Asphaltliteraten „wider den deutschen Geist“ beschimpfte. Kästner gehörte zu den kritischen Geistern, die nicht emigrierten und es trotzdem schafften, die Nazi-Zeit zu überleben. Sein Fazit war: „Man darf nicht warten, bis aus einem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf. Sie ruht erst, wenn sie alles unter sich begraben hat.“

Wer den Gang der Dinge in Thüringen beobachtet, wo der Neonazi und AfD-Fraktionschef Björn Höcke nach der Macht greift, der sieht, dass der Schneeball dabei ist, zur Lawine zu werden. Ein Lamentieren am Rand der politischen Piste hilft da nichts. Kleine Reformen, auch wenn man sie Brandmauern nennt, helfen da auch nichts. Es braucht da das große Besteck, es braucht da die großen Instrumente der wehrhaften Demokratie. Der vergessene Artikel 18 des Grundgesetzes muss genutzt werden, weil es auf dessen Basis möglich ist, die Wählbarkeit von Höcke und Co. zu verhindern. Und auf der Basis des Artikels 21 Absatz 2 des Grundgesetzes muss ein Parteiverbotsverfahren gegen die AfD oder jedenfalls gegen ihre aggressivsten Landesverbände eingeleitet werden.

Darum geht es mir heute in meinem SZ-Plus-Text, den ich „Lawinenschutz für die Demokratie“ überschrieben habe. Ich plädiere darin dafür, die scharfen Instrumente der wehrhaften Demokratie zu nutzen. Wann, wenn nicht jetzt? Es gilt, eine Machtübernahme durch die AfD zu verhindern. Man darf nicht warten, bis Neonazis die Parlamente, etwa in Thüringen, Sachsen oder Brandenburg, dirigieren. Man darf nicht warten, bis sie die Lehrpläne an den Schulen diktieren. Man darf nicht warten, bis sie ihr Personal an die Schaltstellen der Gerichte und der Verwaltung schicken. Man darf nicht warten, bis es zu spät ist.
Ich wünsche uns den Mut und die Kraft, die es braucht, um die Lawine aufzuhalten. Sie rollt. Da darf man sich von einem schönen Sommer nicht täuschen lassen.

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