Die Ethnologische Sammlung im Städtischen Museum mit neuem Konzept
Als Museumsbesucher:in denken wir ja meist, wir besuchen einen – möglichst spannend gestalteten – Aufbewahrungsort für Objekte vergangener Zeiten, für bereits Erledigtes, ein Haus der abgeschlossenen Sammelgebiete, die wir uns – aus welchen Gründen auch immer – gern nochmal anschauen möchten.
Die Ethnologische Sammlung im Städtischen Museum Braunschweig entzieht sich durch ihr neues Konzept sehr bewusst diesen “klassischen” Denkmustern. Phantasievoll, spielerisch und immer publikumsorientiert, so zeigt sich die neu gestaltete Sammlung dem Besucher.
Verblüffung schon am Start. Vitrinen stehen auf rollbaren Paletten. Informationstafeln sind einfach an die Wand gelehnt, vieles wirkt improvisiert, unfertig. Aber alles ist gut durchdacht und wurde von Kurator Dr. Hatoum und seinem Team sehr bewusst als prozesshaftes, dynamisches Ausstellungs-Ensemble angelegt.
Die Vielschichtigkeit der Sammlung mit Objekten aus Asien, Afrika, den Amerikas, Ozeanien und damit verbunden die Fragestellungen der heutigen Zeit, spiegeln sich in den fünf neuen Themenräumen: “Vernetzt”, “Reiseandenken”, “Fremdbilder”, “Kolonialerbe”, “Weitergedacht” wider.
Es wird schnell klar: diese Sammlung will uns immer wieder verblüffen, informieren, natürlich auch unterhalten und dabei zeigen, daß nichts so bleibt wie es ist. Gibt es neue Erkenntnisse oder Informationen, kann sich rund um ein Objekt oder ein Ensemble vieles verändern – bis hin zur Rückgabe.
So es ist nur logisch, dass es in der neuen Ausstellung auch diesen Raum “Weitergedacht” gibt (wo man z.B. Star-Wars-Szenen in Navajo synchronisiert hören kann). Denn es geht eben nicht nur um die Vergangenheit, sondern auch um die Zukunft, davon ist Dr. Hatoum überzeugt: „Wir sind optimistisch, die Geschichte weiter schreiben zu können“, sagt er.
Für die ethnologischen Museen – früher völkerkundlich genannt- spielten Fragen nach den Hintergründen, die diese Objekte aus so vielen anderen Kulturen einfach zu simplen Sammlungsbeständen gemacht haben, sehr lange nur eine untergeordnete (oder gar keine) Rolle und tun es in vielen Bereichen auch heute noch (Stichwort Provenienzforschung).
Es ging meist um Exotik und deren publikumswirksame Präsentation. Die reale Geschichte hinter all den Dingen, ihre wirkliche Bedeutung für die Menschen am Ursprungsort und wem sie dort gehörten und wie sie nach Europa und in diese Sammlung kamen, wurde praktisch nie erzählt.
Erst durch die, von vielen Bürgern oft als anstrengend und überflüssig empfundenen postkolonialen Diskurse der vergangenen Jahre, hat sich der Blick auf „fremde“ Kulturen bei vielen doch grundlegend verändert. Diese neue Sichtweise empfindet auch mögliche Restitutionsforderungen nicht mehr als Bedrohung und möglichen Verlust, sondern vielmehr als Chance für einen Neuanfang.
Museumsdirektor Dr. Joch sagte es sehr provokativ: Ethnologische Museen hätten sich in der bisherigen Form überlebt und es sei Zeit, Gerechtigkeit walten zu lassen. Denn was bedeutet es, dass ein Objekt aus einem „Nachlass“ stammt, wenn der ursprüngliche Besitzer hingerichtet wurde? Oder sogenannte „Gastgeschenke“: Wären traditionelle Herrschaftsinsignien wirklich freiwillig und so generös abgegeben oder doch mehr, um sich einen übermächtigen Kolonialherrn gewogen zu halten?
Für das Städtische Museum war die erfolgreiche Suche nach dem – in der Ausstellung gezeigten – Patronengurt des legendären Ovambanderu-Anführers Kahimemua aus der Region des heutigen Namibia der Meilenstein für die Suche nach Gerechtigkeit, Ehrlichkeit und Neuorientierung.
Auch weiteres Sammlungsgut stammt vom Braunschweiger Gustav Voigts (1866–1934), ab 1892 als Kaufmann im heutigen Namibia nachgewiesen, aber auch als Reserveoffizier. Er befehligte im Mai 1896 die Niederschlagung eines Aufstands der Bevölkerungsgruppe der Ovambanderu unter ihrem Anführer Kahimemua Nguvauva. Bevor dieser im Juni 1896 hingerichtet wurde, „entwaffnete“ ihn Voigts, indem er seinen Patronengurt an sich nahm. Bei einem Heimatbesuch 1898 übergab Voigts den Gurt dem Museum (die Familie Voigts soll übrigens bis heute 70 Prozent des bewirtschaftbaren Landes in Namibia besitzen).
Der Gurt ist bei den Ovambanderu in Namibia ein verehrter Kultgegenstand, in dem wichtige spirituelle Botschaften wohnen.
Im wie zufällig stehen gelassenen Großfoto der beiden Anführer des Aufstands gegen die deutsche Kolonialherrschaft (Kahimemua ist der 3. von links) von 1896, die von zwei deutschen Kolonialsoldaten bewacht werden, spiegelt sich die ganze brutale, tödliche Trostlosigkeit des kolonialistischen Macht- und Vernichtungsdenkens, wenn wir den Abgebildeten in die Augen schauen und uns damit auf einen persönlichen Moment der Trauer und Erkenntnis einlassen.
Sehen wir uns auch das berührende und emotionale Video vom Braunschweig-Besuch der Königsfamilie der Bangwa aus Kamerun an, aus deren Gebiet viele Objekte der “Sammlung Strümpell” stammen. Wir sehen es in den Gesichtern, wir spüren es in den Reaktionen bei der Berührung, in ihrem tiefen Respekt vor den lange vermissten Objekten, wie sehr diese Gegenstände – für uns lediglich interessante Ausstellungsstücke – einen hohen emotionalen, persönlichen, gesellschaftlichen Wert repräsentieren, wichtig für Selbstverständnis und Identität der Bangwa sind und wie sehr sie dort gefehlt haben.
Ob es “nur” der Sammeltrieb der deutschen Kolonialherren war oder ob es gezielt darum ging, kulturelle und soziale Bindungen der Bangwa zu vernichten und die sozialen Kontexte ihrer Gesellschaft zu zerstören? Es wird durch dieses schlichte Video klar: diese Stücke gehören nicht uns, sie gehören nicht dem Museum, sie gehören den Bangwa und haben ihnen immer gehört .
Vom 16. bis 21. Juli 1890 campierte der berühmte Buffalo Bill Cody mit seiner Western-Show in Braunschweig auf dem Leonhardplatz. Sein Tross bestand aus 30 Eisenbahnwaggons „mit Hunderten von Indianern, Cowboys, Pferden, Büffeln …“ Die Chronisten meldeten damals im Braunschweiger Stadtanzeiger Zuschauerrekorde: 13.634 Zuschauer am 16. Juli, 15.937 am 17. Juli, 18.316 am 18. Juli, 18.536 am 19. Juli, 17.743 am 20. Juli und 12.000 am 21. Juli.
Überschattet wurde das Ereignis vom Tod des Lakota “Wounds-One-Another”, der bei Vechelde beim Sturz aus einem Eisenbahnwaggon starb und dessen Mokassins nun in der Obhut des Museums sind und mit Erlaubnis seiner Nachfahren auch dort bleiben sollen.
Toll aufbereitete spektakuläre Originalaufnahmen geben einen Eindruck dieser weltweit populären Shows.
Es gibt eigentlich nichts Spannenderes als die Entdeckung, dass es im Grunde immer anders war, als man es zu wissen glaubte. Der neuen Ethnologischen Sammlung in seiner Vielfalt gelingt es wunderbar, diese Erkenntnis auch gleich noch in neues Wissen umzusetzen.
Das ist unbedingt einen Besuch wert.
Weitere Informationen auf der Website:https://www.braunschweig.de/kultur/museen/staedtisches-museum/artikelpool-temporaer/ethno-dauerausstellung.php
Angeregt durch den interessanten Artikel habe ich mir die Ausstellung angesehen. Auch ich fand sie lohnenswert. Das gilt auch für das übrige Museum, das insbesondere durch seine lokalen Bezüge interessant ist. Ebenfalls gut ist die Auswahl der Bilder, die häufig in vergangene Zeiten blicken.