Über vier Jahre dauerte die Erarbeitung des MEP. Drei Planungsbüros waren beteiligt, die Öffentlichkeit wurde einbezogen, auch verschiedene Betroffenengruppen. Schließlich stellte die Verwaltung Anfang dieses Jahres das 168 Seiten starke Werk vor und brachte es im Februar im Ausschuss für Mobilität, Tiefbau, Auftragsvergaben AMTA und Rat zur Beratung und Abstimmung. Mit den Stimmen der SPD und Grünen wurde der MEP beschlossen.
Was sollte erreicht werden? Verbesserte verkehrsmittelübergreifende Erreichbarkeit sowie Lebensqualität, soziale Gerechtigkeit im Mobilitätssektor, optimierte Umweltqualität werden genannt. Interessanterweise fällt das Wort „Klima“ in der Zielbeschreibung des Vorspanns nicht. Dennoch ist klar, dass sich der MEP in die Vorgaben des Klimaschutzkonzeptes 2.0 einfügen muss und entsprechend wird auf mögliche Treibhausgasreduzierungen bei der Maßnahmenbewertung hingewiesen.
Werden diese Ziele laut Plan erreicht?
Klima: Die Vorgabe war, die Treibhausgasemissionen bis 2035 um 67% zu reduzieren. Bei der Prognoseberechnung wurde angenommen, dass alle verkehrsbezogenen Beschlüsse bis 2035 umgesetzt worden sind. Das wird aber bei weitem nicht der Fall sein. So wird bei dem bisherigen Ausbautempo der Radwege der Beschluss aus 2020 „Radverkehr in Braunschweig“ nur zu 20% erfüllt sein (7,5 km von 35 km). Ähnliches gilt für Velorouten, Radschnellwege und Stadtbahnausbau: Die Fertigstellung 2035 wird in den Berechnungen vorausgesetzt, die Planungen haben noch nicht oder gerade eben erst begonnen. An einen kompletten Abschluss der Maßnahmen bis 2035 ist nicht zu denken. – Doch selbst unter diesen völlig unrealistischen Voraussetzungen wurde das 67%-Prognoseziel nicht erreicht. Damit dieses wenigstens formal schließlich gelingt, wurden Maßnahmen ergänzt, die überhaupt nicht im Einflussbereich der Stadt liegen (etwa Änderung der StVO zur flächendeckenden Einführung von Tempo 30 oder Ausdehnung der Lkw-Maut) oder nur als Allgemeinplatz ohne Konkretisierung formuliert (Unterbindung Durchgangsverkehr Innenstadt). – Zusammengefasst: Im Bereich Klimaschutz werden die Ziele weit verfehlt und gelingen nur unter Einbeziehung von Wundern und Spekulationen.

Soziale Gerechtigkeit: Die Höhe der Ticketpreise belasten besonders die unteren Einkommensgruppen. Erwähnt wird im MEP 2035+, dass „die ÖV-Tarife (in Braunschweig) im Vergleich zu ähnlich großen Städten eher teuer“ sind. Laut MEP soll die Einführung von zusätzlichen Spezialtickets geprüft werden. Das hilft aber dem Gelegenheitsnutzer im Stadtverkehr nichts. Die Einführung von zusätzlichen Niedrigpreisen oder Nulltarif für bestimmte Altersgruppen oder Stadtbezirke wird nicht geplant. Damit ist der zentrale Punkt in diesem Bereich ausgeklammert.
Erhöhte Lebensqualität: Für Fußgänger sollen laut MEP Verbesserungen der Aufenthaltsqualität und mehr Grün in Straßenräumen geschaffen werden. Die Verbesserungen werden allerdings sehr kleinteilig beschrieben, z.B. „Aufwertung des Seitenraums von Straßen“ durch Bänke, Spielgeräte etc.. Als umfassende Maßnahme wird ausschließlich die verkehrliche Umgestaltung des Bohlwegs genannt, die durch Verkehrsberuhigung oder Sperrung zur Minderung oder Ausschluss des Pkw-Verkehrs führen und mehr Raum bieten würde für Baumpflanzungen, Sitzgelegenheiten und Treffpunkte für Bürger*innen. Weitere Maßnahmen dieser Art: Fehlanzeige.
Resümee: Das Ziel, einen Plan für die Mobilität zu entwickeln unter den vorgegebenen Bedingungen des Klimaschutzkonzeptes, wurde deutlich verfehlt. Die einzelnen Maßnahmen wirken insgesamt sehr vorsichtig und zaghaft. Sie verbleiben meist im Allgemeinen, konkrete Straßennamen werden nur selten genannt. Leider wurde die Chance auf ein zukunftsweisendes Konzept für eine Transformation vertan.
Das Beispiel der Stadt Gent in Belgien mit ähnlicher Größe wie Braunschweig zeigt, dass es auch anders geht. Dort wurde der Kfz-Verkehr in vier bis fünf Jahren völlig umstrukturiert (https://www.youtube.com/watch?v=8Tj2zvYn8Aw) – Ziel war eine Stadt für Menschen und nicht eine Stadt für Autos. Um von einem Viertel ins andere zu kommen, müssen die Fahrzeuge jetzt einen Umweg über einen Ring machen. Die Folge war ein deutlicher Rückgang des MIV (motorisierter Individualverkehr) in der Innenstadt. Die Bevölkerung nahm die Veränderungen sehr positiv auf.
Mit einem gemeinsamen Änderungsantrag von „Fraktion“ und BIBS wurde ansatzweise so ein Konzept auf Braunschweig übertragen. U.a. wurde vorgeschlagen, eine Sackgassenbildung im Verlauf der Güldenstraße zu prüfen mit einspuriger Straßenführung für den Restverkehr und Durchlass für den ÖPNV. Die Verkehrsdichte würde damit stark reduziert, Freiräume für Fußverkehr und Bäume geschaffen und die Verbindung für Fußgänger zwischen Innenstadt und den Wohngebieten an der westlichen Oker verbessert werden. Der Antrag wurde abgelehnt.
Wie kann es weitergehen? Die genannten allgemeinen Hinweise im MEP (z.B. Unterbindung Durchgangsverkehr Innenstadt) können von den Ratsfraktionen genutzt werden, um Einzel- oder auch übergeordnete Maßnahmen nachzufordern. Damit könnte der MEP im Nachhinein doch noch verschärft werden – für einen wirklich zukunftsfähigen Verkehr!
Natürlich liegt Kollege Piest mit seinen Anmerkungen, seiner Kritik am MEP und dessen Werdegang völlig richtig, nur, was soll die „arme“ Verwaltung machen, wenn sie sich nicht von dieser oder jener Seite Prügel einfangen will? Im Zweifelsfall kippt die Politik, bar jeder Sachkenntnis, bei leisestem Gegenwind ihre vorher großartig selbstbelobten Beschlüsse, s. BÜ Grünewald.
Der Vorbehalt, jede Einzelmaßnahme gesondert beschließen zu wollen, läßt wirklich Schlimmes ahnen; nachhaltige, klimagerechte Verkehrspolitik verkommt so zur reinen Schnappatmung, eine langfristige Konzeption ist so nicht möglich!
Was geradezu entlarvend ist, auch dieser MEP enthält Projekte Vorgänger-VEP/GVEP, die schon 40 Jahre alt sind – und nach wie vor extrem wichtig, wo aber wenig bis gar nichts geschieht, die Politik müßte ja dann mal Druck machen!
Aber dann, dieser furchtbare Gegenwind…
Also warten wir auf den nächsten MEP, um dann alle nicht umgesetzten Projekte übertragen zu können.