
Neues Gesprächsformat im Haus der Kulturen
“Wenn wir uns erinnern, wissen wir besser wer wir sind”
(Sandra A. Schüler, Kulturwissenschaftlerin und Podiumsteilnehmerin)
Kluge Diskussionsrunden wie das neue Gesprächsformat im Haus der Kulturen am Nordbahnhof sind ein echter Zugewinn für Braunschweig und die gesamte Region.
Wie kann Kunst uns in der Erarbeitung dekolonialer Perspektiven helfen?
Begleitend zur sehr sehenswerten Ausstellung des Künstlers Fabien Diffé „Collecting Memories – Collected Memories“ im Haus der Kulturen, trafen sich dort am 25. Mai 2025 profilierte Experten*innen zu einer offenen Podiumsdiskussion über Kunst und dekoloniale Perspektiven auf gesellschaftliche Diskurse und Geschichte, die von der bekannten Hamburger Kuratorin und Kunsthistorikerin Zahra Hasson-Taheri sehr offen und klug moderiert wurde.
Adama Logosu-Teko, Vorstandsvorsitzender vom Haus der Kulturen Braunschweig e.V. sieht diese Veranstaltung als sehr gelungenen Auftakt für weitere Podien und Ausstellungen an, in denen postkoloniale Fragestellungen vertieft, künstlerisch erfahrbar gemacht und gesellschaftlich verhandelt werden.
Analysiert und diskutiert wurde über die Rolle von Kunst in der Kolonialgesellschaft, Kunst in dekolonialen Heilungsprozessen, Kunst in der Erarbeitung dekolonialer Perspektiven und Konzepte.
Wichtige und spannende Hintergrundinformationen , persönliche Erkenntnisse und Erfahrungswerte flossen in die faktenreichen Beiträge ein, deren Wissens- und Informationsbreite für alle Teilnehmer ein Zugewinn war.
Neue Betrachtungs- und Erkenntniswirklichkeiten entwickelten sich, die unmittelbar auch vom Publikum aufgenommen und engagiert diskutiert wurden.
Schon mehr als 500 Jahre verbindet Afrika und Europa eine gemeinsame Kolonialgeschichte. Es ist die Geschichte materieller Ausbeutung und kultureller Aneignung. Auch des kulturellen Austausches. Allerdings nie auf Augenhöhe. Bis heute in unsere postkoloniale Epoche hinein nicht.
Die gelieferten Diskussionsbeiträge dieses Auftakt-Podiums gehörten in ihrer inhaltlichen und emotionalen Breite in unserer Region wohl zum Spannendsten, Wissenswertesten (auch Originellsten), auf diesem oft übersehenen Gebiet.

Kulturwissenschaftlerin und Podiumsteilnehmerin Andrea-Vicky Amankwaa-Birago,Hamburgerin, Tochter ghanaischer Eltern, wissenschaftliche Beirätin des Grassi Museums für Völkerkunde zu Leipzig forschte beispielsweise zu Anton Wilhelm Amo, Jurist und Philosoph, geboren in Westfrika (heute Ghana), als Sklave von den Holländern an den Wolfenbüttler Herzogshof verschenkt.
Amo studierte in Halle und in Wittenberg, wo er 1734 promovierte. Er gilt als erster und über sehr lange Zeit einziger afrodeutscher Akademiker und Philosoph.
Nicht nur tief reichende afrikanisch-europäische kulturelle Netzwerke hat Amankwaa-Birago während ihrer intensiven Recherchen entdeckt, sondern auch vieles über ihre eigenen Wurzeln und die ihrer Elterngeneration erfahren, die als Bildungsmigranten nach Hamburg kamen um zu studieren.
Ethnologe Dr. Reiner Hatoum, erfahrener Kurator und Leiter der Ethnologischen Sammlung im Städtischen Museum, sprach über die vielen unterschiedlichen Wirklichkeiten, die in einer ethnlogischen Sammlung aufeinander treffen. Ethnologie in unserer Zeit bedeutet für Dr. Hatoum, das Provisorische, Fließende als zentrales Element zu akzeptieren. Eine seiner Erkenntnisse in seiner kuratorischen Arbeit im internationalen Kontext: Geschichte ist immer auch eine Frage der Aushandlung.
Fabien Diffé, in Kamerun geborener Braunschweiger Künstler und Meisterschüler Freie Kunst an der HBK Braunschweig (einige seiner Werke sind auch in der ethnologischen Sammlung des Städtischen Museums zu sehen), öffnete Fenster in sein künstlerisches Selbst, erzählte von den multiplen Identitäten, die in ihm leben, die er sich geschaffen hat. Ein vielfältiges, künstlerisches Selbst.
Und vielleicht auch Schutzwall gegen die alltäglichen Mikro- und Makro-Rassismen denen schwarze Menschen und Peope of Color ausgesetzt sind.
Sandra A. Schüler, Kulturwissenschaftlerin, Afrikanistin und Dozentin für rassismuskritische soziale Arbeit / Projektmitarbeiterin bei WEACT , hat viele Jahre im Bereich der Bildung und Migration gearbeitet.
Sie ist überzeugt davon, dass eine Gesellschaft nur dann wirklich gesund sein kann, wenn sie allen ihren gesellschaftlichen Teilnehmer*innen die notwendige Achtung entgegen bringt.
Zu ihren Themen gehören institutioneller Rassismus, Self-Engineering zur geringeren Wahrnehmung, sprachliche Spagate. Und eine Erkenntnis, die im politischen Diskurs heute leider oft fehlt:
“Kultur ist vielfältig und wird nicht erhalten durch Schuld oder Scham und auch nicht dadurch belebt. Kultur lebt von Menschen, lebt durch Freude und durch Vielfalt”.
Das Haus der Kulturen Braunschweig e.V. positioniert sich mit dieser Reihe als wichtiger Akteur im gesellschaftlichen Diskurs um Migration, Erinnerungskultur und kulturelle Vielfalt.
Als Institution, die die Perspektiven von Migrant*innen sichtbar macht und vertritt, will das Haus der Kulturen Räume schaffen, in denen Multiidentitäten nicht nur thematisiert, sondern als produktive Impulse für ein neues Verständnis von Gesellschaft begriffen werden.
Die Ausstellung mit Werken von Fabien Diffé, die noch bis zum 06. Juni 2025 zu sehen ist, und natürlich die Podiumsdiskussion markieren einen bedeutenden Schritt hin zu einer offenen, kritischen Auseinandersetzung mit kolonialen Erbschaften – und laden zum Weiterdenken ein.

https://hdk-bs.de
https://www.podcast.de/episode/635665340/sonderfolge-leben-und-wirken-von-anton-wilhelm-amo-mit-andrea-vicky-amanwaa-birago
https://braunschweig-spiegel.de/ethnologie-ist-kein-altes-zeug/
https://www.instagram.com/zahra.hasson.taheri
https://www.instagram.com/fabiendiffe/?hl=de