„Hybris, Selbstbetrug“ und Versagen der Medien führten zum Scheitern des Westens in Afghanistan

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Afghanistan Militär Foto: Pixabay

Es ist aller Ehren wert, dass der Bundestag in einem Ausschuss klären will, woran der Westen in Afghanistan gescheitert ist. Nachdem Politik und Medien jahrelang ein falsches Bild von der Lage in Afghanistan verbreitet hatten, waren sie – wie die meisten Bürgerinnen und Bürger – überrascht und schockiert über den überstürzten Rückzug vor zwei Jahren. Erinnern wir uns: als Frau Käßmann sich Jahre zuvor mit der Äußerung „Nichts ist in Ordnung in Afghanistan“ zu Wort meldete, wurde sie angegriffen und als Störenfriedin gebrandmarkt. Schließlich war von Anfang an die Parole ausgegeben worden, dass „unsere Freiheit am Hindukusch verteidigt“ werde.

Der Ausschuss hat nun einen US-amerikanischen Experten angehört, den ehemaligen „Generalinspekteur für den Wiederaufbau in Afghanistan“ (SIGAR), John Sopko. Seine nüchterne Analyse dürfte den Abgeordneten in den Ohren geklingelt haben: Hybris (Überheblichkeit) und Selbstbetrug hätten zum Scheitern des Westens geführt. Nach dem raschen militärischen Erfolg gegen die Taliban 2001 habe man geglaubt, man könne aus Afghanistan rasch ein „kleines Amerika“ machen. Es habe aber kein wirkliches Verständnis für die örtlichen Gegebenheiten existiert, und es habe an einem durchdachten Plan gefehlt, der diesen Gegebenheiten Rechnung hätte tragen können. Sopko berichtete, dass 70 bis 80 Prozent des öffentlichen Dienstes in Afghanistan nur auf dem Papier existierten, dass aber 100 Prozent bezahlt wurden. Von angeblich 340 000 afghanischen Soldaten hätten höchstens 60 000 wirklich existiert. Versuche, die daran deutlich werdende Korruption zu bekämpfen, wurden gestoppt, als klar wurde, dass der afghanische Präsident Karzai darin verwickelt war. Dessen ungeachtet hätten aber fast alle Generäle und Politiker über die Jahre behauptet, dass sich die Lage zum Besseren wende. – Das war in Deutschland bekanntlich nicht anders.

Hybris und Selbstbetrug – und die Rolle der Medien

Vermutlich ungefragt ging Sopko auch gleich auf den Wiederaufbau in der Ukraine nach dem Krieg ein: Die Korruption in der Ukraine sei schon vor dem Krieg ein großes Problem gewesen, und wieder würden „zahllose internationale Geber völlig unkoordiniert große Summen vergeben“. Einer seiner Kernsätze: „Wenn man viel Geld sehr schnell gibt, wird viel verschwinden.“ (alle Angaben aus FAZ, 4.3.23)

Wenn man weiter über die Sache nachdenkt, kommen einem nicht nur die vielen Politiker in den Sinn, deren Reden und Handeln von Hybris und Selbstbetrug geprägt war. Sofort denkt man auch daran, welche Rolle die Medien dabei gespielt haben. Ihre Aufgabe wäre es gewesen, unbestechlich, nüchtern und beharrlich über die Lage in Afghanistan zu berichten. Immerhin ging es um einen Einsatz der Bundeswehr, um getötete Soldaten, um zahlreiche Opfer in der Zivilbevölkerung und um viele Milliarden Euro. Eine um Objektivität bemühte Berichterstattung hätte dafür sorgen können, dass die beschönigenden Darstellungen der allermeisten Politiker nicht einfach geglaubt werden und dass eine ausführliche Diskussion über die Lage und deren Einschätzung geführt worden wäre. Erst dadurch wären die meisten Bürger in die Lage versetzt worden, sich eine eigene Meinung zu bilden und dann – bei Bedarf – auf die politischen Entscheidungen einzuwirken, etwa auch in Wahlen. Vor dieser Aufgabe hat die große Mehrheit der Medien grandios versagt, so dass sich die Vorzüge einer lebendigen Demokratie gar nicht entfalten konnten. Eine krachende Niederlage war die Folge.

Haben Politik und Medien daraus gelernt? Die Behandlung des Ukrainekrieges spricht dagegen. Dabei weiß jeder: wer sich weigert, aus seinen Fehlern zu lernen, wird sie immer wieder machen. Mit Folgen, die noch schlimmer sein werden als im Fall der Afghanistan-Politik.

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