Alle unsere Leitmedien und Politprofis sind in eine Erwartungs-Schockstarre verfallen: Wird etwa wieder Donald Trump der nächste US-Präsident oder wird doch hoffentlich Kamala Harris die westliche Werte-Welt retten? Das ZDF hat sogar beschlossen, das „heute-Journal“ vom Ort des Dramas aus den USA berichten zu lassen. Die EU-Repräsentanten und Berliner Spitzenpolitiker sitzen wohl zitternd vor Aufregung vor den Bildschirmen, wohl wissend, dass nichts getan wurde, um auf die „Katastrophe Trump“ vorbereitet zu sein:
Was, wenn Trumps wirtschaftliche „America-first“ Politik die Exportchancen der Europäer noch drastischer beschneiden wird als es schon jetzt mit Bidens „Inflation Reduction Act“ passiert, der bestrebt war bzw. ist, die europäische, speziell deutsche Industrieproduktion in die USA zu holen?
Was, wenn die NATO ihre Führungsnation in der geostrategischen Auseinandersetzung mit Russland und China verliert, weil unter der letzten Präsidentschaft Trumps kein einziger Krieg oder größerer Militäreinsatz der USA stattfand?
Was, wenn Trump seine Ankündigung wahr macht, mit Putin einen Waffenstillstand in der Ukraine zu vereinbaren, auf Kosten der von der NATO und unserer Bundesregierung bisher verfolgten Linie, keinen „Diktatfrieden“ zu akzeptieren und lieber bis zum letzten Ukrainer weiterzukämpfen?
Was, wenn auch Kamala Harris die Politik fortsetzte, die schon jetzt bei den Demokraten erkennbar ist, wirtschaftlich eine nur im Ton freundlichere „America-first“-Wirtschaftspolitik der „Bidenomics“ fortzuführen und evtl. zu verschärfen?
Was, wenn Kamala Harris von den europäischen Verbündeten verlangt, allein den Krieg in der Ukraine zu finanzieren und obendrein ihre militärische Präsenz im Pazifik gegen China zu erhöhen? Wobei zu beachten ist, dass die US-Gelder für die Ukraine in großen Teilen als Darlehen vergeben wurden, für deren Tilgung dann wohl später die EU aufkommen könnte.
Was, wenn beide die Unterstützung Israels im Konflikt mit Iran weiter hochhalten, weil Israel ein geostrategisch unverzichtbarer Bündnispartner im Nahen Osten ist und es sicher kaum ein Politiker in den USA wagen dürfte, gegen die gut vernetzten jüdischen Lobbyorganisationen zu kandidieren?
Hierzulande wird immer noch von allen Leitmedien und etablierten Parteien das Hohelied der ältesten und freiesten Demokratie der Welt beschworen, deren robuste Verfassung auch vier Jahre Trump aushalten werde. Auch wenn inzwischen mehr über die tiefe Spaltung der amerikanischen Gesellschaft berichtet wird, fehlen den meisten Rezipienten tiefergehende und kritische Kenntnisse über das politische System der USA, die das Bild der Unerschütterlichkeit der US-Demokratie trüben würden.
Erstens…
… ist das Wahlsystem nicht vom Gedanken der repräsentativen Demokratie wie bei uns bestimmt, wo es darauf ankommt, durch die Abstimmung aller wahlberechtigten Bürger bei vorhandener Parteienvielfalt ein möglichst breites repräsentatives Abbild der Interessen und Meinungen zu erlangen. Das Mehrheitswahlsystem kann bei der US-Präsidentschaftswahl dazu führen, dass der Kandidat, der die meisten Wählerstimmen erhält, trotzdem unterliegt, so geschehen bei der Wahl 2000, wo der Kandidat der Demokraten AlGore mehr Stimmen erhielt als sein Konkurrent George W.Bush. Und so auch bei der Wahlverliererin Hillary Clinton 2016. Das anachronistische Wahlsystem der „Wahlmänner“ (Electoral College) macht es möglich. Für eine Wahlperson im Electoral College braucht es im Bundestaat Kalifornien ca. 300.000 WählerInnen, in Montana oder Wyoming lediglich 140.000. Ähnlich wenig repräsentativ ist die Wahl der Senatoren angelegt.
Zweitens…
…sind Wahlen in den USA ohne sehr viel Geld für teure Wahlkampagnen durch private Spenden gar nicht denkbar. Staatliche Mittel zur Wahlkampffinanzierung wie bei uns fehlen. Die obersten 1% der Haushalte in den USA (im Durchschnitt 25 Mio. US-Dollar) verfügen zusammen über ca. 31% des Vermögens des Landes, während die unteren 50% der Bevölkerung gerade mal über 2,6% verfügen können. Wer keine Unterstützung durch finanzstarke Organisationen, Stiftungen, Thinktanks und reiche Privatleute hat, hat auch keine Chance zu kandidieren. Nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der USA 2014, politische Aktionskomitees, sogenannte Super-Pacs, für die Wahlkampffinanzierung zuzulassen, kann man nicht mehr davon sprechen, dass die USA eine Demokratie sei, die dem Gleichheitssatz und dem Prinzip der Repräsentativität entspreche. Um es klar zu bezeichnen: Das politische System der USA sieht nach außen aus wie eine Demokratie, tatsächlich aber ist es eine Plutokratie, d.h. ein Herrschaftssystem des großen Geldes. Der US-Wahlkampf 2020 kostete beispielsweise ca. 14,4 Mrd. US-Dollar.
Drittens…
… gibt es in den USA unzählige private Stiftungen und Thinktanks, die sich eine eigene politische Agenda gegeben haben und mit anderen Lobbyorganisationen der Wirtschaft und der Wall-Street um politischen Einfluss kämpfen, wie z.B. die Waffenlobby (National Rifle Association) oder den militärisch-industriellen Komplex, der den wohl stärksten Einfluss auf die Außen- und Sicherheitspolitik der USA hat und in alle relevanten US-Behörden und Ministerien vorgedrungen ist. Diese Organisationen suchen sich inzwischen ihre politischen Talente in sogenannten „young leader-Formaten“ aus, bilden sie rhetorisch aus, bauen sie systematisch auf und befördern ihre politische Karriere. Sie sind und bleiben Marionetten ihrer Erzeuger. Ihre sicherheitspolitische Agenda kennt nur militärische Aufrüstung und Stärke und torpediert möglichst alle Friedensbemühungen, denn das würde den Profit der Rüstungs- und Sicherheitsbranche gefährden.
Viertens…
… hat sich in den vergangenen Jahrzehnten eine Ideologie des Misstrauens gegenüber allem Staatlichen und eine Glorifizierung des ungehemmten Marktes durch das Wirken dieser Thinktanks ausgebreitet, ein Egoismus, der sozialen Ausgleich und staatliche Unterstützung für die Ärmsten ablehnt: Die Ideologie des Neoliberalismus. Eine gesetzliche Krankenversicherung für alle, eine umlagefinanzierte Rente, Pflegepflichtversicherung und solche Dinge sind hier undenkbar.
Fünftens…
… hat sich bis heute nicht wirklich der Grundsatz der Gleichheit und Gleichbehandlung der BürgerInnen durchgesetzt: Offener und struktureller Rassismus beherrschen die US-Gesellschaft. Ein unterfinanziertes Bildungssystem, ein löchriges bis gar nicht vorhandenes Netz sozialer Absicherung und unzureichende Arbeitsmarktpolitik belasten die Lebensumstände der Minderheiten in den USA. AfroamerikanerInnen sind etwa doppelt häufiger arm, als es ihrem Bevölkerungsanmteil entspricht, ihre Sterblichkeitsrate ist etwa doppelt so hoch wie die der weißen Bevölkerung.
Es ließen sich noch etliche weitere Punkte nennen, jedoch genügen die aufgeführten, um deutlich werden zu lassen: Vom nächsten Präsidenten oder von der nächsten Präsidentin hängt viel weniger ab, als die meisten Kommentare in unseren Medien verlauten lassen. Der Wettbewerb der Plutokraten (Waffenlobby, Sicherheitskomplex, Wall-Street u.a.) wird entscheiden, wer sich hier durchsetzt, welche politischen Kompromisse eingegangen werden, wie die Außen- und Sicherheitspolitik der nächsten Präsidentschaft aussehen wird, wer was wovon finanziert usw. Trump oder Harris? Das ist mir – leider – egal.
Ob das so egal ist? Die US-amerikanische Politik war schon immer ’nicht soo doll‘ (oder wie man das so kurz bewerten will), aber schlimmer geht auch. Es gibt ein Wiki zu Trumps Plaene nach der Wahl, die ‚Agenda47‘.
https://de.wikipedia.org/wiki/Agenda_47
kurzer Auszug:
‚tiefen Staat‘ bekaempfen:
u.a.
„Einleitung von Bürgerrechtsermittlungen gegen „marxistische
Bezirksstaatsanwälte“ in Chicago, San Francisco, Los Angeles
und anderen Städten, einschließlich „bundesstaatlicher
Vorladungen ihrer Mitarbeiter, ihrer E-Mails und ihrer
Aufzeichnungen, um festzustellen, ob sie eklatant gegen das
Bundesgesetz über Bürgerrechte verstoßen haben“.“
Bildung:
„das derzeitige System der Akkreditierung von Hochschulen und
Colleges durch ein neues ersetzen, das an konservativen Werten
orientiert ist, und Hochschulen, die dieses Verfahren verweigern
sowie – wie etwa die Harvard University – „Kommunisten und
Dschihadisten“ ausbilden, mit hohen Strafen belegen. Aus dem
hieraus erzielten Erlös soll eine Online-Akademie finanziert
werden, die „keine Wokeness oder Dschihadismus“ lehrt.“
Kriminalitaet:
„Der Polizei soll erlaubt werden, auf frischer Tat ertappte
Ladendiebe zu erschießen. Er will die bundesweiten Regeln zur
Bestrafung von Minderjährigen verschärfen.[4]
Die Agenda sieht die Todesstrafe für Drogendealer und
Menschenhändler vor.“
immerhin:
Durchführung eines Wettbewerbs zur Gründung von bis zu 10 neuen Städten („Freedom Cities“) auf unerschlossenem Bundesgebiet.
Revolutionierung des Transportwesens durch Förderung der Entwicklung von Flugautos.
Rezeption:
Viele Punkte der Agenda 47 sprechen laut Beobachtern besonders
Evangelikale an, so die Gegnerschaft gegen Transgender und alle
Versuche, Geschlechtsidentität an Bildungsinstitutionen zu diskutieren; die Agenda wertet den Schutz der traditionellen Familie durch das Verbot von Genderthemen als „Beitrag zur Verhinderung des Dritten Weltkriegs“, der durch „Marxisten“ im Bildungssystem sowie durch „globalistische“ Eliten und Länder wie China gefördert werde.
Es gibt auch ein Wiki zum (daran eng angelehnten) Projekt 2025
https://de.wikipedia.org/wiki/Project_2025
Klingt alles sehr nach AfD, hab ich den Eindruck. Die konservative Presse hierzulande koennte sich zurueckhalten, was dann wieder Fragezeichen zur zukuenftigen deutschen Politik stellt.