Vom Krieg damals und heute
bis zum 29. Juni 2025 im Museum für Photographie Braunschweig
Es ist unmöglich, sich der Kraft und Intensität dieser Ausstellung, dieser Fotografien, dieser künstlerischen Arbeiten zu entziehen.
Schwarz-Weiss, manchmal sehr kleinformatig, mit weißem gezackten Rand, geben sie nicht nur Auskunft über Zerstörungen von Landschaften, Städten, Gebäuden, technischen Strukturen.
Sie berichten auch über die Zerstörungen menschlichen Zusammenlebens.
Sie erzählen Geschichten, geben Zeugnis, sind unprätenziös und wirken gerade deshalb so eindringlich.

Meist ist es Braunschweig, zerbombt, zerstört, kaputt. Die Straßen, die Plätze mühsam identifizierbar, oft nur durch die verschonten Kirchtürme oder ein übrig gebliebenes Firmenschild, das an einer Trümmerwand hängt.
Aber wir sehen auch spielende Kinder auf diesen Bildern, die versuchen, eine Kindheit zu haben, eine Kindheit haben wollen.
Wir sehen auch Frauen und Männer, die Trümmer räumen, Wäsche waschen, wieder beginnen, einen neuen, ungewohnten Alltag ohne Bomben, ohne Angst zu erleben.

Wir sehen auch Fotos von allierten Soldaten, damals oft mehr als Sieger denn als Befreier betrachtet (und sie selber sahen sich ja meist auch so).
All diese Fotografien sind berührende und verstörende Zeugnisse.

Im Grunde könnte es auch jede andere Stadt in Deutschland sein, die uns hier zertrümmert und ruiniert auf diesen Fotos gezeigt wird.
Viel Ikonisches ist hier zu sehen. Nicht nur von ikonischen Fotograf*innen wie Robert Capa, Lee Miller, Tony Vaccaro, sondern auch von unbekannten Kriegsfotografen.

Im Dialog dazu stehen die intensiv-unmittelbaren, dokumentarischen, oft auch anrührenden Bilder von Getrud Bergmann, Heinrich Gramman, Ruprecht Sieger und Hans Steffens aus den Kriegs- und ersten Nachkriegsjahren in Braunschweig.
Die (im Torhaus 2) gezeigten Arbeiten und Konzepte aus der Gegenwartskunst korrespondieren eindringlich mit den historischen Fotos, entdecken, entwickeln neue Sichtweisen und außergewöhnliche inhaltliche Spannungsfelder zwischen unserer Vergangenheit und unserer Gegenwart.
Boris Becker beispielsweise fasziniert mit seinen Bildern von der seltsam verrückten, fast manischen Massivität von Luftschutzbunkern (Erster Ordung). Sind es Gebäude? Mitten in den Städten gelegen. Oder nur doch nur trostlose, praktisch unzerstörbare Monumente des Wahnsinns, ihrer eigentlich einzigen Funktion beraubt?


Boris Becker fotografiert sie nach dem Krieg . Betonmonster aus einer Zeit vernichteter Zivilität. Dann Wohnraum, Lagerfläche, Künstleratelier, Kino. Später oft leer, verwüstet. Plötzlich dann begrünt, vielleicht sogar begehrt als originell-edle Wohn- oder Hotelidee. Die Fotos konfrontieren uns mit einer paradoxen Bedeutungsverschiebung.
Der in der Geschichte des 2. Weltkriegs selten erwähnte Südwall (Mittelmeerwall ) wurde vom Deutschen Reich ab 1943 entlang der französischen Mittelmeerküste (von Cerbère nach Menton) errichtet.

Die Fotografin Margaret Hoppe gilt als eine der verheissungsvollen Protagonistinnen der europäischen Fotokunst. Ihre im klugen Sinne schöne Fotoserie beschäftigt sich nicht nur mit den verfallenen Bunkern und Artefakten dieses “Mittelmeerwalls”. Ihr faszinierender künstlerischer Ansatz bezieht die Häuser der dorthin vor den Nazis geflohenen Emigranten wie Thomas Mann, Franz Werfel, Alma Mahler-Werfel, Lion Feuchtwanger, Bert Brecht mit ein, verbindet sie mit dort begonnenen oder geschaffenen Werken, schlägt so einen Bogen von sanfter Stärke und intensiver Leuchtkraft, mit dem sie das Gestern und Heute verbindet.

Die Deutschen wüteten im 2. Weltkrieg in der Ukraine mit einem geradzu ekstatischen Vernichtungswillen. Heute ist dort wieder Krieg Und nicht nur dort.
“Eine Welt ohne Krieg ist unvorstellbar”, sagt Mykyta Manuilov aus Charkiv. Das scheint für einen so jungen Künstler wie ihn (Jahrgang 2002) eine sehr düstere Erkenntnis. Mykyta Manuilov setzte sich schon als Kind intensiv mit dem 2. Weltkrieg auseinander, in dem auch sein Urgroßvater getötet wurde und der praktisch in jeder ukrainischen Familie Opfer gefordert hat.
In seiner bildnerischen Herangehensweise, bei der er das sogenannte ‚Lith Printing’ einsetzt – ein analoges Silbergelatineverfahren – vergegenwärtigen die – auf den ersten Blick historisch anmutenden -Fotografien den aktuellen Krieg in der Ukraine mit Aufnahmen, die Persönliches, Familiäres, Verweise auf Zerstörung und des sozialen Lebens im urbanen Zusammenhang in Charkiw vorstellen und die von seinen Verlustängsten, seiner Sehnsucht nach Familie, nach Normalität erzählen.
„Im April 2022 suchte ich nach Kindheitsfotos für den 80. Geburtstag meiner Mutter und fand ein Kriegstagebuch meines Urgroßvaters aus dem Ersten Weltkrieg sowie ein Fotoalbum meines Großvaters aus dem Zweiten Weltkrieg. Verstört von den Inhalten, musste ich mich künstlerisch damit auseinandersetzen.

In der 2022 entstandenen Serie “WAR und ist KRIEG” kombiniert Yvonne Salzmann durch Doppelbelichtungen Bilder aus zwei Zeitebenen. Die Schwarz-Weiß-Fotografien stammen aus dem Fotoalbum ihres Großvaters, der im Zweiten Weltkrieg in Norwegen stationiert war. Neben lustigen Motiven der Kameraden und von unterwegs zeigen sie auch Szenen von Feuer und Zerstörungen.
Die Fotografien aus Norwegen überlagern sich mit Familienaufnahmen aus der Kindheit der Künstlerin.
Yvonne Salzmann setzt beide Zeitebenen in Beziehung, lässt sie ineinander verschmelzen, zeigt damit Verbindungen der Familiengeschichten bis ins Heute auf.
Die dokumentarisch-künstlerische Schau in den zwei Torhäusern des Museums für Photographie ist unbedingt besuchenswert.

Mit historischer Sensibilität, kuratorischer Klugheit und Gespür für das Heute zusammengestellt, wird sie für Besucher*in vor allem auch ein berührendes, herausforderndes Abenteuer des Sehens.
Gezeigt werden Werke von:
Boris Becker, Gertrud Bergmann, Robert Capa, Hein Gorny, Heinrich Gramann, Margret Hoppe, Mykyta Manuilov, Lee Miller, Gerhard Richter, Ruprecht Rieger, Yvonne Salzmann, Hans Steffens, Tony Vaccaro, Marcel van Eeden, Michael Wesely sowie amerikanische Kriegsfotografie und anonyme Zeitzeugen
Weitere Informationen auf Social Media und der Website des Museums.