Bericht aus Bumsdorf XIV

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Im Leben eines jeden Menschen kommt die Zeit, in der er sich löst von Vater und Mutter, Bruder und Schwester, Oma und Opa. Dann sind nicht mehr Mama und Papa die großen Vorbilder, sondern ganz andere Personen bieten Orientierung und Stütze. Bei mir war das Bon Scott, der Sänger von AC/DC, der diese Funktion bereitwillig, wenn auch tot, übernahm. Er war nämlich kurz bevor ich ihn für mich entdeckte verstorben – viel zu jung war er dem Rock’n’Roll-Star-Tod erlegen und an seinem Erbrochenen erstickt. Was für ein Mann!

Er war eben auf dem Highway to hell gewesen, denn er wusste: Hell ain’t a bad place to be. Und um dort hinzukommen, nimmt man auch gerne eine Overdose zu sich. So ist das, wenn man ein Rocker ist und ein Problem Child. Und das wollte ich jetzt auch sein!

Ich gab mir auch alle Mühe, begann zu rauchen und zu saufen, hörte Hardrock und Heavy Metal, während ich in der norddeutschen Tiefebene hockte, in der tiefsten protestantischsten Provinz also, wo es schon provokant war, sich sein kariertes Hemd nicht in die Hose zu stecken, wenn man sonntags in die Kirche ging, um doch noch konfirmiert und mit einem vierstelligen D-Mark-Betrag belohnt zu werden.

Das erstmalige Hören von AC/DC glich einem Initiationsritus, danach war die Welt nicht mehr, wie sie vorher war. Hier zeigte sich der Schmutz, der Unrat und der Dreck der Straßen – und er war so schön. Und so laut! Auf den Scheunenparties spielten wir Luftgitarre, wälzten uns (gleich unserem Gitarrengott Angus Young) auf dem staubigen Boden und ließen den harten Mann raushängen. Ja, wir trugen Springerstiefel, Lederjacken und Jeanswesten, manche hatten sogar lange Haare. Ein Statussymbol waren auch die sogenannten „80er“, die Motorrädchen, die die unglaubliche Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h erreichten, frisiert noch schneller. Man sieht also: Wir waren unglaublich cool und unsere Eltern waren dementsprechend entsetzt. Na ja, einige jedenfalls. So hatte ein Kumpel von mir über Monate den Bravo-Starschnitt von AC/DC gesammelt und stolz bei sich an die Wand gehängt. Bis sein Vater im duhnen Kopp auf die Idee kam, ihn abzureißen und zu zerstören. Das war ausgesprochen bösartig und es bestärkte uns daher in der Richtigkeit unseres Tuns!

Als Erkennungsmerkmal dienten uns vor allem Aufnäher und Anstecker. Neben AC/DC waren Motörhead sehr beliebt, später kamen Iron Maiden, Judas Priest und Saxon hinzu, noch später Metallica, Slayer und Venom – der ganz, ganz harte Stoff also. Vor allem Venom begeisterten uns, denn diese waren die Erfinder des Black Metal, der satanistisch inspirierten Variante des Heavy Rock. Gottesdienste? Konfirmandenunterricht? Nein, schwarze Messen wollten wir zelebrieren! Das taten wir natürlich nie, dafür trafen wir uns immer an den Bänken beim Gemeindefriedhof, der an den Kurpark grenzte und tranken dort unser billiges, Kopfschmerzen verursachendes Bier. Immerhin!

Irgendwann besuchte ich dann mein erstes Konzert, das während einer Scheunenparty stattfand. Adrian hieß der Headliner und war eine Power Metal-Band, die aus einigen aknekranken Jugendlichen unseres Landkreises bestand. Damit hatte ich endgültig meinen Lebensinhalt und meinen Freundeskreis gefunden. Und ich schwor mir, niemals abtrünnig zu werden. Chains and leather forever!

Was man halt so schwört, wenn man jung ist und noch nichts gesehen hat von der Welt.

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