Zum vierten Mal: Braunschweiger Gramsci Tage

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Vom 1.-2.10.2010 werden zum vierten Mal die Braunschweiger Gramsci Tage im Gewerkschaftshaus durchgeführt. Einen Tag zuvor findet die Eröffnungsveranstaltung mit einer Lesung aus den Gefängnisbriefen Antonio Gramscis in Wolfsburg statt. (Einladungsflyer mit detailliertem Gesamt-Programm)

Die Gramsci Tage sollen alle ansprechen, die an politischen – auch theoretischen – Diskussionen interessiert oder neugierig darauf sind. Sie sollen „Nachdenk-Tage“ sein und sich so in das vielfältige Angebot politischer Veranstaltungen in Braunschweig einfügen.

Wie in den letzten Jahren bieten die Gramsci Tage 2010 ein Programm mit kulturellen Beiträgen, einem zentralen Vortrag sowie Leseseminaren zur Vertiefung einzelner Aspekte der Thematik.

Das Thema der diesjährigen heißt „Krise und Widerstand – Voraussetzungen für gesellschaftliche Alternativen“. Das zentrale Referat hält in diesem Jahr Uli Brand, Wien. Er wird über die Rolle sozialer Bewegungen in modernen Demokratien sprechen. Um Voraussetzungen gesellschaftlicher Transformationen bzw. deren Verhinderung geht es auch mit jeweils unterschiedlichen Aspekten in den drei Parallel-Seminaren am Folgetag, die von Sabine Kebir, Bernd Röttger und Diether Dehm geleitet werden (Details im Einladungsflyer).

Organisiert und getragen wird die Veranstaltung durch die Braunschweiger Initiative für eine andere Politik (BIAP), der RLS-Niedersachsen, dem DGB-Region SON, dem Italienischen Kulturinstitut Wolfsburg, der IGM WOB und dem Ausländerreferat WOB.

Wer war Antonio Gramsci?

Antonio Gramsci (1891-1937) war ein italienischer Journalist, Politiker und Philosoph, der einen großen Teil seines Lebens im Gefängnis verbringen musste, in das ihn ein faschistisches Terrorurteil gebracht hatte (Biografische Notizen). Durch eine schwere Krankheit gezeichnet arbeitete er unter widrigsten Bedingungen in der Kerkerhaft an seinem politisch-philosophischen Lebenswerk.

Aus einer umfangreichen unsystematischen Ansammlung von Gedankensplittern, Notizen und kurzen fragmentarischen Abhandlungen auf über 3000 handgeschriebenen Seiten wurden nach seinem Tode die „Gefängsnishefte“ zusammengestellt, die Gramsci weit über die Grenzen Italiens bekannt machten. 1995 war sein Werk in 27 Sprachen übersetzt. Kaum ein marxistischer Denker hat so viel Akzeptanz erfahren wie er. Besonderes Interesse genießt seine Staatstheorie und die Begriffe Hegemonie und Zivilgesellschaft. Hier ist der Nutzen für die aktuelle politische Arbeit besonders deutlich.

Warum die Bezeichnung „Gramsci Tage“?

Antonio Gramsci ist mit seinem scharfen Verstand und seinem unbeugsamen Willen eine faszinierende Persönlichkeit. Er verstand sich als kompromissloser Kämpfer gegen die Ausbeutungsverhältnisse dieser Welt. Er wusste, dass man eine bessere Welt nicht einfach durch den gewalttätigen Akt eines Umsturzes erreichen kann. Seine Einsicht war es, dass man nachhaltige Veränderungen nur mit den Herzen und Köpfen der Menschen herbeiführen kann. Auch angesichts der Niederlage gegen den Faschismus hat er dieses Ziel nie aus den Augen verloren. „Man muss nüchterne, geduldige Menschen schaffen, die nicht verzweifeln angesichts der schlimmsten Schrecken und sich nicht an jeder Dummheit begeistern. Pessimismus des Verstandes, Optimismus des Willens.“ (Gefängnishefte, H. 28, §11, 2232). Diese Sichtweise ist heute noch modern.

Gramsci gilt als undogmatischer, als „westlicher“ Marxist. Seine Texte liefern keine fertigen Lösungen, sondern laden zum Denken ein. Die Aneignung der gramscianischen Begriffe ist schwierig, weil sie nie einen endgültigen Charakter haben. Sie sind ein Versuch, eine vielschichtige, ständig sich verändernden gesellschaftlichen Wirklichkeit verstehbar zu machen. Ihre Brauchbarkeit erlangen sie oft erst durch Interpretation (Haug: „Auch Marxisten brauchen eine Hermeneutik“). Deswegen werden bei den Gramsci Tagen Leseseminare angeboten, in denen dieser notwendige Raum für Diskussion und gemeinsamer Interpretation gegeben ist.

Eine politische Bildungsveranstaltung nach Antonio Gramsci zu benennen ist sicherlich auch eine Ehrerweisung an den großen Denker und Politiker. Die Gramsci Tage sollen aber nicht der vertieften Aneignung des Werkes von Antonio Gramsci dienen. Der Name steht vielmehr für eine Denkweise, die auf die Analyse aktueller politischer Situationen angewandt werden soll. Gleichzeitig sollen die gramscianischen Begriffe als grundlegende Instrumente dieser Denkweise vermittelt werden.

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