Schon vor der Eröffnung des gigantomanischen Einkaufscenters am Bohlweg war der Trend zu beobachten, dass einige wenige Modemarken die Innenstadt mit gleich mehreren Franchise-Shops überschwemmten. Das daraus resultierende Markeneinerlei zwang in eine der drei Preis-Kategorien, nennen wir sie mal Bonbon Prix, Es Prix und Grand Prix. In Seitenstraßen fand sich aber noch manche kleine Boutique mit echten Alternativen. Da wurden Mode-Avantgarde, Kunsthandwerk und Wohnaccessoires angeboten, die nicht jede/r hatte und auch nicht unbezahlbar waren. Sogar aus Hannover kamen KundInnen, um hier Grand Prix-Stil eine Kategorie günstiger einzukaufen.
Ein neuer Trend ist seit 2007 unübersehbar: Das Sortiment der Innenstadt ist jetzt erweitert durch Handyläden, Nagelstudios und 1Euro-Shops. Wer das nicht braucht, kann in leerstehenden Schaufensterscheiben seine reizüberfluteten Augen erholen. Schließungen und Trading-down vom Ringerbrunnen über den Kohlmarkt bis zur Schützenstraße. Auch das City-Point schwächelt und hat nun ein Billigschuhgeschäft und einen Leerstand. Schon jubelt man in der BZ: Der Damm gewinnt! Nur die neuen Geschäfte am Damm kommen uns irgendwie bekannt vor und die Rest-Stadt verliert noch mehr. Doch nicht nur die Händler zwischen Schützenstraße und Sack leiden darunter, auch die Kunden:
Wer einen mittelgroßen Geldbeutel hat, ist nun gezwungen Es Prix „Mode“-Einerlei zu kaufen oder vergifteten Ramsch aus China bei Bonbon Prix. Individuelles ist zu teuer geworden.
Da schätzt sich glücklich, wer ein Auto hat und findet, dass es nett ist, hin und wieder nach Wolfenbüttel zu fahren. Diese kleine Fußgängerzone hat doch allerhand zu bieten! Wer dort hinfährt, bringt volle Tüten nach Hause. Also auf nach Wolfenbüttel! Doch welche Enttäuschung! Auch das ist leider schon Vergangenheit. Die Tentakeln der Einkaufsriesenkrake am Bohlweg haben Wolfenbüttel erreicht. Zahlreiche Geschäfte schließen oder sind schon geschlossen, gerade auch die kleinen Geschäfte mit einem breiten, aber bezahlbaren Sortiment. Packpapier-verhängte Schaufenster reißen die verblieben Geschäfte mit in den Abgrund…
Wolfenbüttel hat das nicht verdient! Wie also kann der kleinen, sympathischen City geholfen werden? Keine Lösung ist wohl, kleine nette Geschäfte anzusiedeln, weil die sowieso schon schließen mussten. Die restlichen 3 kleinen Franchise-Filialen locken niemanden an. Alle fahren nach Braunschweig, denn dort gibt es davon 100. Also ein aussichtsloses Unterfangen?
Die Stadt wird schwerlich etwas anderes tun können, als ein intelligentes Marketing zu betreiben und Schlimmeres dadurch zu verhindern, dass sie nicht auf Bauernfänger hereinfällt. Mit dem Beispiel Braunschweig vor Augen sollte das nicht schwer fallen. Die HändlerInnen Wolfenbüttels aber sollten ihr Konzept auf ein Shopping ohne die Schmerzen ausrichten, die mit dem Center garantiert sind. Ideen dazu liefern die KundInnen selbst.
Sie wollen gefragt sein, werden aber trotz nervender Telefonumfragen nur selten wirklich gehört. Es werden die falschen Fragen gestellt oder keine geeigneten Antworten vorgegeben. Das gigantische Ideenpotential verpufft so unbemerkt. Ein Denkanstoß kann folgende Überlegung sein. Die Durchschnittskundin wird auf zwei Dinge nicht verzichten wollen: Das Autofahren und – paradoxerweise – Schuhe kaufen; nicht Reifen. Warum eigentlich werden in Wolfenbüttel weiterhin Parkgebühren erhoben, und warum gibt es dort so wenig schicke Schuhe zu kaufen?
Wir brauchen nur mal einen Blick auf den Durchschnittsstapel Schuhkartons zu werfen, der etwa so aussieht: 36, 36, 37, 37, 37, 38, 38, 38, 39, 39, 40. Fehlen hier weitere Größen, weil der Stapel sonst umfiele? Haben Frauen ab Größe 40 einen besonderen Schuhtick und kaufen wie blöde? Alles falsch! Obwohl die Akzeleration in Deutschland seit 30 Jahren nicht zu übersehen ist, reagieren die Schuhhersteller nicht darauf. DesignerInnen bevorzugen große Models mit Größe 43, auf den Markt kommen aber nur kleine Größen oder ganz selten teure Markenschuhe in 42, die aber viel zu schmal sind für eine normalgewichtige Frau. Fußschäden vorprogrammiert. Die Schuhhändler ordern einfach keine großen Größen, und meinen, es sich leisten zu können, diese Kundinnen zu verprellen. Auch Modegeschäfte bieten immer öfter Schuhe an und machen diesen Fehler. Genervt kaufen „betroffene“ KundInnen dann auch kein T-Shirt! Was für eine verpasste Chance!
Die Geschäfte diskriminieren Frauen mit undurchschnittlichen Größen generell, da werden sie angeschaut, als würden sie im Zirkus auftreten. Schuhe sind nur ein prominentes Beispiel. Auch Bademode ist ein besonderes Reizwort und Hosen und Strumpfhosen… Da weiß jede Frau, was gemeint ist. Wenn die KundInnen dann obendrein jahrelang mit der gleichen Mode konfrontiert sind, z.B. mit Kurzpullovern terrorisiert werden oder andere einseitige Modeformen kaufen sollen, braucht sich die Branche nicht wundern, wenn zwischendurch immer wieder Flaute herrscht. Eine Vielfalt in Formen und Farben, die sich an der Vielfalt der Figuren und Hauttöne orientiert statt an der Kopfgeburt eines Modegottes, würde einen gleichmäßigen Absatz garantieren.
Phantasie und Investitionen sind natürlich gefragt, um KundInnen bei schmerzlosem Einkaufen mehr Geld zu entlocken. Die Computertechnik z.B. bietet dafür neue Möglichkeiten, die leider überhaupt nicht genutzt werden. Ein Computer mit Körperscanner könnte den KundInnen alle Modelle herausfiltern, die passen. So wird ganz nebenbei auch der tatsächliche Bedarf ermittelt. Kombiniert mit einem Bestellsystem, das Modelle garantiert nachordern kann, wäre der Service perfekt.
Es ist wie in der Natur: das bedrohte Lebewesen, das eine Nische besetzt, kann überleben. Wolfenbüttel wäre gut beraten, sich in Zukunft antizyklisch zu verhalten und dem „Mainstream Shopping-Center“ nicht zu folgen. Statt dessen sollten sich „Scouts“ auf die Suche machen nach Menschen mit innovativen Geschäftsideen.
Stellt Euch Plakate vor, aufgehängt in der City von Braunschweig:
Wolfenbüttel – Mailänder Pumps Größe 42-45.
In Wolfenbüttel scannen – aus Paris liefern lassen.
Wolfenbüttel – Angenehm aussteigen, aussuchen und auffallen.
Wer würde da noch „hinter der Fassade“ einkaufen?