Eine Macht steigt auf, die bisher vorherrschende Macht steigt ab – eine in der Geschichte nicht unbekannte Situation. Anfang des 20. Jahrhunderts war das Deutsche Reich der Aufsteiger, Großbritanniens Abstieg hatte längst begonnen – das Ergebnis war der Erste Weltkrieg. Der Aufsteiger unserer Zeit ist China. Seine ungeheure wirtschaftliche Dynamik, seine zunehmenden wissenschaftlich-technischen Erfolge und natürlich seine riesige Bevölkerung (anderthalb mal so groß wie die der USA und der EU zusammen) – all das verleiht China ein wachsendes (und auch gerechtfertigtes) Gewicht auf der Weltbühne. Die USA dagegen haben Angst, ihren Status als vorherrschende Weltmacht zu verlieren. Teure Militärinterventionen, eine die eigenen Kräfte überdehnende Politik, in manchen Bereichen auch der Verlust wirtschaftlicher Konkurrenzfähigkeit und nicht zuletzt eine schwerwiegende innere Spaltung zeigen das deutlich. Die militärische Stärke allein wird ihre Position auf Dauer nicht garantieren können.
Läuft die Entwicklung also wieder auf einen heißen Krieg hinaus? Graham Allison, ein renommierter Wissenschaftler aus Massachusetts, versucht der Frage seit längerer Zeit wissenschaftlich auf den Grund zu gehen. Er hat 15 Konflikte aus den vergangenen fünf Jahrhunderten untersucht, in denen die beschriebene Konstellation auftrat. Ergebnis: In 11 Fällen wurde der Kampf um die Vorherrschaft tatsächlich mit kriegerischen Mitteln ausgetragen, in immerhin vier Fällen ließ sich das aber vermeiden! Und obwohl Allison in den letzten Jahren immer eindringlicher weiteren Eskalationen warnt, hält er dennoch fest: „Krieg ist nicht unvermeidlich.“ Wir hätten es in der Hand.
Den Krieg vermeiden? Wir haben es in der Hand, aber…
Immerhin sind die USA und China noch stark miteinander verbunden: China ist der größte Handelspartner und der zweitgrößte Gläubiger der USA. Genau diese Verbindungen aber werden nun aggressiv angegangen: Wichtige chinesische Firmen wie Huawei, Wechat oder Tiktok werden angegriffen, die Zulieferung amerikanischer Chips an chinesische Firmen wird eingeschränkt, chinesische Waren werden mit hohen Zöllen belastet – das anvisierte Ziel lautet: „Decoupling“ (Entkopplung).
Noch gibt es auch auf internationaler Ebene eine Reihe von Verbindungen: die UNO, die Welthandelsorganisation und andere mehr. Der Grundgedanke dieser Organisationen ist, Regeln für alle Staaten zu vereinbaren und dann für deren Einhaltung zusorgen, was gerade die schwächeren Staaten schützt, aber auch für fortwährende Zusammenarbeit sorgt und so Vertrauen bilden kann. Aber auch dieses Gebäude der internationalen Einrichtungen bekommt immer öfter die Abrißbirne der USA zu spüren: die Weltgesundheitsorganisation haben die USA schon verlassen, die Welthandelsorganisation behindern sie, wo es nur geht, die UNO stellen sie schon seit dem Irakkrieg 2003 in Frage. Internationale Vereinbarungen zu Themen wie Abrüstung oder Rüstungskontrolle werden seit zwei Jahrzehnten auf den Müll geworfen. Und letztens haben die USA das Atomabkommen mit dem Iran gebrochen.
Und bist Du nicht willig, so brauch ich …
Nun begnügen sich die USA nicht damit, nur selber diese Politik zu verfolgen. Vielmehr arbeiten sie daran, europäische (und andere) Firmen wie die europäische Politik ebenfalls in diese Richtung zu zwingen. Man kennt das schon vom Irankonflikt. Europäische Wirtschaftsverbände halten es für möglich, dass bald auch ausländische Unternehmen mit Sanktionen belegt werden, die in Chinas Provinz Xinjiang Geschäfte betreiben. Die „Harvard Business Review“ warnt vor entsprechenden Maßnahmen auch in Bezug auf Hongkong und rechnet mit massivem Druck, die Produktion aus China in andere Länder zu verlegen und die Zusammenarbeit mit chinesischen Unternehmen und Universitäten „neu zu bewerten“. Im Ergebnis entständen „zwei feindliche Wirtschaftsblöcke“ (alle Zitate aus FAZ, 15.8.20). Das würde dann auch die politische Spaltung forcieren und es erleichtern, die Staaten des „eigenen“ Blockes in militärische Abenteuer hineinzuziehen.
Mitschwimmen oder ein eigenes Konzept entwickeln?
Für die Europäer gibt es angesichts dieser wirklich völlig neuen Lage zwei Möglichkeiten: hinterher schwimmen im Kielwasser der USA (wie im Großen und Ganzen bisher) – oder sich davon abgrenzen und eine eigene Politik entwickeln. Nur den Kopf einziehen und auf bessere Zeiten hoffen geht dieses Mal nicht. Das wird schon länger immer deutlicher, nicht erst seit dem Atomabkommen mit dem Iran.
Sich abgrenzen von der Politik der USA? Keine Frage, das wäre mit viel Ärger und Problemen verbunden. Aber es lohnt sich gleich in mehrfacher Hinsicht: ein wichtiger Teil der eigenen Wirtschaftsinteressen könnte so gewahrt werden, vor allem aber würde so der willkürlichen Spaltung der Welt entgegengewirkt. Und die wäre nur noch kriegerisch-bedrohlich und würde auch enorme Ressourcen verschlingen, die die Menschheit dringend für Aufgaben wie den Kampf gegen den Klimawandel benötigt.
Ein Trost: wenn die Europäer sich der bedingungslosen Gefolgschaft verschließen und auf ihren eigenen Interessen beharren, ist allein das schon ein Faktor, der die aggressiven Tendenzen der USA abschwächen würde. Denn sie brauchen nach eigener Erkenntnis für ihr Vorhaben ein breites Bündnis gegen China. Und ohne Europa stände das bereits in Frage.
Zum Teil I: USA gegen China: Ein neuer Kalter Krieg hat begonnen
Der in der letzten Folge angekündigte Beitrag folgt als nächster.