Sitzblockade bei AfD-Landesparteitag – Verfahrenseinstellung am Amtsgericht Braunschweig

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Amtsgericht Braunschweig. Foto: Ines Richlick

Von Ines Richlick

Am 24.1.2023 endete ein Ordnungswidrigkeitsverfahren am Amtsgericht Braunschweig gegen einen Antifaschisten wegen Beteiligung an einer passiven Sitzblockade mit einer Verfahrenseinstellung gemäß § 47 OWiG (5 OWi 702 Js 70992/21). Gegen einen Bußgeldbescheid vom 21.10.2021 mit einer Forderung i. H. v. 150 EUR hatte der Betroffene Einspruch eingelegt.

Zu Beginn des AfD-Landesparteitages am 3.7.2021 in der Braunschweiger Milleniumhalle hatten ca. 70 Personen im Bereich Im Ganderhals/Am Weinberg die Zuwegung zum Veranstaltungsort durch friedliches Sitzen auf der Straße blockiert.

Die beiden Zeugen, die damals ihren Dienst bei der Bereitschaftspolizei Hannover versahen, schilderten gleichlautend, dass sie den Auftrag hatten, die Straße von den Demonstrierenden zu räumen. Sie seien allerdings erst dazugekommen, als die letzten 20 Menschen umstellt gewesen seien. Zuvor habe es eine mehrmals durch den Lautsprecherwagen verkündete Beschränkung der anerkannten Versammlung dahingehend gegeben, dass die Betroffenen auf den Grünstreifen neben der Straße ausweichen sollten.

Die Beamten hätten es dann lediglich mit zwei Demonstrierenden zu tun gehabt, die sie erneut aufgefordert hätten zu gehen und denen sie bei Nichtbefolgung unmittelbaren Zwang, so auch die Anwendung von Druckpunkten, angedroht hätten. Eine Person, die bei der anschließender Personalienfeststellung einen Zusatzausweis vorgelegt habe (der Beamte W nannte diesen „Genderausweis“), sei freiwillig aufgestanden und gegangen. Der Betroffene sei eingehakt mit anderen Personen sitzengeblieben, so dass W und Kollege S ihn aus der Umklammerung gelöst und weggetragen hätten.

Zur Identitätsfeststellung habe man die Fotos der Personalausweise mit den Gesichtern, auf Bitten ohne Maske, verglichen.

Auf Nachfrage des Braunschweiger Verteidigers Moritz Jonas Müller nach dem Störungsniveau und den Auswirkungen der Blockade sagten die Polizisten aus, dass es an dieser Stelle nur zu diesem passiven Widerstand, jedoch nicht zu Straftaten gekommen sei. Zudem konnten sie keine Aussagen zu eventuell wartenden Anreisenden zum Parteitag machen.

Auf Nachfrage von Richterin Genius stellte sich allerdings heraus, dass die beiden Polizisten keine der Lautsprecherdurchsagen mit der Beschränkung der Versammlung selbst gehört hatten, sondern nur von deren Durchführung ausgingen bzw. den Vorgang den Akten entnommen hatten. Der ebenfalls als Zeuge geladene Polizeihauptkommissar E., der evtl. darüber hätte Auskunft geben können, war nicht erschienen. Allerdings lag auch kein Zustellungsnachweis vor.

Die Richterin klopfte anschließend alle Punkte ab, deren Erfüllung Voraussetzung für eine Verurteilung gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 10 i. V. m. § 8 Abs. 1 NVersG wäre. (siehe auch Niedersächsisches Versammlungsgesetz):

  1. Die Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung sah sie als erfüllt an, da die Fahrbahn vollständig blockiert gewesen sei.
  2. Auch habe sie keinen Zweifel an der Identitätsfeststellung des Betroffenen, auch wenn die Beamten ihn im Gerichtssaal nicht wiedererkennen konnten. Der damalige Abgleich des Gesichts ohne Maske mit dem Personalausweisfoto war für sie ausreichend.
  3. Allerdings könne die Aufforderung zur Räumung der Straße rechtlich nicht festgestellt werden, da sie nur mündlich erfolgt sei und die Zeugen sie nur aus der Aktenlage geschlossen hätten. Der Inhalt der beschränkenden Verfügung bliebe somit unklar, insbesondere, wohin die Betroffenen hätten ausweichen sollen.

Ohne die Erfüllung all dieser Voraussetzungen sah Richterin Genius eine mögliche Verurteilung bei einer Überprüfung durch das Oberlandesgericht als nicht haltbar an.

Daher bot sie die Verfahrenseinstellung gemäß § 47 OWiG an, die durch die Verteidigung begrüßt wurde. Die Verfahrenskosten gehen somit zulasten der Landeskasse, der Betroffene muss allerdings seine eigenen Auslagen, also hauptsächlich die Anwaltskosten, selbst tragen.

Hinweis zur Erläuterung: In diesem Verfahren ging es um eine Ordnungswidrigkeit, weil einer Beschränkung einer Versammlung zuwidergehandelt worden sein sollte. Es konnte nicht festgestellt werden, dass durch diese Blockade bis zur Räumung Menschen an ihrer Anreise zum Parteitag gehindert worden sind.

Anders verhält es sich in zahlreichen Parallelverfahren, z. B. bei der Blockade in der Münchenstraße am gleichen Tag. Bei Vorliegen aller notwendigen Voraussetzungen käme dabei evtl. der Straftatbestand der Nötigung in Betracht, da mehrere Fahrzeuge an der Weiterfahrt gehindert wurden.

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