Es ist 11:00 Uhr. Gemeinsam mit hunderten von jungen Leuten dränge ich ins Astor. Der junge Mann neben mir nimmt meine Signale wahr und ist offen für einige Fragen. Er ist der Ole vom Hoffmann von Fallersleben Gymnasium und, puh, er hat eine der 10 freien Tickets für die Veranstaltung ergattert. Die große Zahl der an die Schule gegangenen Tickets sind vorerst dem Politik-Leistungskurs-Teilnehmern angeboten und von denen auch weitgehend wahrgenommen worden. Er ist politikinteressiert und findet die Veranstaltung top. 4 junge Männer vom Martino-Katharineum und vom Heidberg-Gymnasium, politisch interessiert und engagiert in Schülerrat, Jugendparlament und in der FDP hatten die Idee einer schulinternen Infoveranstaltung zur Wahl und dann ging die Post ab, sagt Jonathan vom 4er IntoPolitics-Team. Das Interesse der Erstwähler aus den Ganztagsschulen, Gymnasien und berufsbildenden Schulen war mega. Alle haben mitgezogen – Schüler, Eltern, Lehrer, Sponsoren (insbesondere Herr Oppermann vom Astor).
Generation Z, schreibt Rüdiger Maas in seiner Studie, tun, resultierend aus ihrer Wirklichkeit heraus, in der sie umfassend gepampert werden, nichts selbst, sondern fordern. Da muss ich Herrn Maas deutlich widersprechen. Hier wird getan.
Konzentriert und wissensdurstig sind ca. 1250 Schüler, verteilt auf 4 Kinosäle, auf 7 Bundestagskandidaten gespannt. Das IntoPolitics-Team hatte Fragen erbeten, die mittels Internets gerankt und in 3 Komplexen den Politikern zur Diskussion gestellt wurden:
- Bildungschancen und föderales Schulsystem
- Korrelieren Migration mit innen- und sicherheitsrelevanten Problemen?
- Außen- und Sicherheitspolitik im Hinblick auf internationale Konflikte und die Landesverteidigung
Frage 1. Wie stellen Sie sicher, dass alle Kinder unabhängig ihrer sozialen Herkunft gleiche Bildungschancen haben und sehen Sie als sinnvoll an, an dem föderalistischen Schulsystem festzuhalten?
Zur ersten Frage wird von allen sieben Parteien vermittelt, dass sie gleiche Bildungschancen unabhängig von der sozialen Herkunft anstreben. BSW, Linke, Grüne und mit einem sozial differenzierteren Konzept auch die SPD orientieren auf weitgehend kostenfreie Bildung von hoher Qualität von der Kita über die Schule bis hin zum Studium. Startchancen-Programme in Kita und Schule und Bildungsrahmengesetze sollen das u.a. umsetzen. Dabei geht es insbesondere darum, mehr Geld in das System zu investieren. SPD, FDP und Grüne haben vor, ihre Steuer- oder Subventionspolitik zugunsten der Bildung umzugestalten und freiwerdende Mittel durch Bürokratieabbau zur Verfügung zu stellen. Das BSW strebt eine Priorisierung von Bildung und sozialer Infrastruktur gegenüber Rüstung an. Die CDU orientiert u.a. auf kreditfinanzierte Bildung. Sie wird den Zugang zu Krediten (BAföG, KfW-Studienkredit, Schülerkredit) mit dem Ziel gleicher Bildungschancen für alle erleichterten. Das derzeit föderalistische Bildungssystem wird die CDU dabei beibehalten, orientiert aber auf ein bundesweit vergleichbares Abitur auf hohem Niveau. Das BSW will basierend auf einem bundeseinheitlichen Fundament die föderale Struktur ebenfalls erhalten und sie mit den Vorteilen der Anpassungsfähigkeit an regionale Bedürfnisse sowie Bürgernähe verbinden. Alle weiteren Parteien mit Ausnahme der AfD plädieren für eine Lockerung des Kooperationsverbotes (Regelung, dass der Bund keinen Einfluss auf die Schulpolitik der Länder ausüben darf, insbesondere nicht durch die Finanzierung von Bildungsmaßnahmen) und streben eine Föderalismus-Reform an. Eine Art Rolle-Rückwerts-Reformprozess bietet die AfD an. Der Bolognaprozess ist gescheitert, so ihre Einschätzung. Diplom- und Magister-Studiengänge werden wieder eingeführt. Der Partei sind gute Bildung und insbesondere die Entwicklung sozialer Kompetenz wichtig. Dieses Ziel will sie unter Beibehaltung des mehrgliedrigen Schulsystems verfolgen und Förderschulen und Vorschulklassen wieder einrichten.
Das Interesse an Frage 1 zur Bildungspolitik kann ich aus Sicht der Schüler gut nachvollziehen. Die unter 2 und 3 gerankten Themen Migration und Außen- und Sicherheitspolitik lassen mich ein wenig stutzen. Wo sind die Themenfelder Generationengerechtigkeit, Klimaschutz und Nachhaltigkeit, für die vor nicht allzu langer Zeit zehntausende junger Menschen freitags für ihre Zukunft auf die Straße gegangen sind? Ich flüstere Schülerin Taisha, neben mir platziert, die Frage zu. Das sind vermutlich die Medien, sagt sie überlegend, unsicher. Da werden Anschläge von Ausländern von den Parteien missbraucht und mittels Medien unsere Köpfe mit Migration und Asylpolitik vollgestopft. Nachhaltigkeit kommt nur noch selten vor; ist offensichtlich nicht mehr wichtig.
Frage 2 befasst sich mit der Korrelation zwischen Migration und innen- sowie sicherheitspolitischen Problemen und inwiefern staatliche Verfehlungen der Integration als Auslöser dafür verantwortlich sind.
Die Migrationspolitik eines Staates spielt eine entscheidende Rolle für die gesellschaftliche Stabilität und Sicherheit. Wenn effizientes, kontrolliertes Grenzmanagement, Rechtssicherheit für und gute Integration von Migranten (Sprache, Bildung und Arbeitsmarktintegration), die Bereitstellung von sowohl ausreichend finanziellen als auch personellen Ressourcen vom Staat nicht gewährleistet sind, entstehen, wie derzeit in Deutschland deutlich wird, innen- sowie sicherheitspolitische Probleme, für deren Lösung die Parteien unterschiedliche Maßnahmen umsetzen wollen. Carsten Müller vermittelt, dass die CDU eine regelbasierte Asylpolitik, wie in ihrem Zustrombegrenzungs- gesetz formuliert, durchsetzen wird. Das bedeutet: Dauerhafte Grenzkontrollen an allen deutschen Grenzen, konsequente Zurückweisung aller Versuche illegaler Einreise, faktisches Einreiseverbot für Personen ohne gültige Einreisedokumente, sofortige Inhaftierung von ausreisepflichtigen Personen, Verschärfung des Aufenthaltsrechts für Straftäter und Gefährder und orientiert auf Asylverfahren im Ausland. Zustimmung dazu wird von der AfD signalisiert, die ihr Migrationsprogramm gestrafft und verstärkt im Regelwerk der CDU wiederfindet. Zusätzlich weist Mirco Hanker (AfD) noch auf die Abschaffung des Familienzuzugs hin, der 2024 125 000 zusätzliche Visa für Deutschland bedeutete. Christos Pantazis (SPD) kontert mit einem Rückgang der Asylanträge im vergangenen Jahr um ein Drittel. Die SPD wird den eingeleiteten Paradigmenwechsel hin zu einer geordneten Migration auf den Arbeitsmarkt und eine bessere Kontrolle der Fluchtmigration im Rahmen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (mit Beginn 2026) fortführen und für eine auf dem Recht basierende gute Teilhabe von Migranten eintreten. Die FDP verweist darauf, dass auch sie durchaus an einer Einwanderung in den Arbeitsmarkt interessiert ist, wohl aber ohne Belastung der Sozialsysteme. Das BSW verteidigt die notwendige Migration in den deutschen Arbeitsmarkt ebenfalls und drängt parallel auf eine Begrenzung der irregulären Migration. Zudem will das BSW das Grundgesetz ändern lassen, damit kriminelle Flüchtlinge ihren Anspruch auf ein Asylverfahren in Deutschland verlieren und durch eine Reform des Asylrechts Asylverfahren nach außerhalb der EU verlagern. Großen Beifall für ihr Statement zur Migrationspolitik erhalten die Vertreterin der Grünen und der junge Mann von den Linken. Da war im Gegensatz zum restriktiven Auftreten der anderen Parteien ein Geist von Offenheit zu spüren. Wir sind ein Einwanderungsland, so Lisa-Marie Jalyschko. Wir müssen eine verantwortungsvolle Asyl- und Sicherheitspolitik umsetzen. Das bedeutet eine ausreichende Finanzierung der Flüchtlinge durch den Staat zu gewährleisten aber gleichzeitig eine konsequente Rückführung illegaler Migration durchsetzen. Leon Huesmann fügt hinzu, dass der Staat immer mehr finanzielle und personelle Verpflichtungen auf dessen untere Ebene, auf die Kommunen abwälzt. Mittlerweile fehlen dort die notwendigen Kapazitäten, was zur Konkurrenz um knappe Ressourcen und zu Spannungen zwischen der einheimischen Bevölkerung und den Migranten führt. Zudem kritisiert er die Medien, die sehr oft Erzählungen von Migranten parteiisch begleiten und die breite Diskussion dadurch zu Ungunsten der Ausländer beeinflusst.
In einer straffen Viertelstunde war es dem Moderator Feridun Öztoprak (Spielfeld Gesellschaft) gelungen, all diese Statements den Politikern zu entlocken, um sie anschließend lückenlos in den dritten Diskurs zu führen:
Frage 3. Wie bewerten Sie Deutschlands Außen- und Sicherheitspolitik im Hinblick auf sich verschärfende weltweite Konflikte und ist es notwendig, stärker in die Landesverteidigung zu investieren?
Die Bundeswehr ist kaputtgespart worden! Das wird sich rächen, wenn der Russe kommt. Investitionen sind notwendig, so der Beitrag der AfD. Gegenüber der NATO ist die AfD kritisch. CDU, SPD, Grüne und FDP stehen ohne Wenn und Aber zur transatlantischen Verteidigungsallianz NATO. Um den Bedrohungen des 21. Jahrhunderts die Stirn zu bieten, empfiehlt die CDU die Verteidigungsfähigkeit durch eine Wehrpflicht zu stabilisieren und durch Investieren von mehr Steuergeld zu stärken. Das BSW, die Linke und die FDP lehnen eine Wehrpflicht ab. Das Zwei-Prozent-Ziel für die Finanzierung der NATO werden von CDU, Grünen, FDP und SPD als unterste Grenze der Verteidigungsausgaben gesehen, was in naher Zukunft vermutlich zu erhöhen ist. Das BSW orientiert hingegen auf eine Verschlankung des Verteidigungsbudget, ohne dabei jedoch die Verteidigungsbereitschaft und insbesondere den Zivil- und Katastrophenschutz zu vernachlässigen. Hoch engagiert vermittelt die Kandidatin der Grünen im Folgenden, dass die finanzielle und materielle Unterstützung der Ukraine fortgeführt und mithilfe der Ausweitung von Sanktionen sogar ausgeweitet wird. Auch einer Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine, ein Beitrag von Aniko Glogowski-Merten (FDP), stimmen die Vertreter von CDU und der Grünen zu; nicht so aber der SPD-Vertreter, da die Partei dadurch eine gefährliche Eskalation im Ukrainekonflikt befürchtet. Das BSW und die Linke sind die einzigen Parteien, die konsequent für einen Waffenstillstand und Verhandlungen über einen realistischen Friedensplan eintreten, die die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen auf deutschem Boden und den Einsatz deutscher Soldaten in internationalen Kriegen ablehnen.
Zum Abschluss der Veranstaltung erhalten die Kandidaten die Möglichkeit, ihre Take-Home-Message für die jungen Menschen zu formulieren. Geht wählen, so der übereinstimmende Appell, informiert Euch. Je mehr ihr wisst, desto weniger müsst ihr glauben (AfD). Leon Huesmann (Linke) fordert in seinen letzten Minuten Redezeit unter lautem Beifall mehr soziale Gerechtigkeit. Einen ebenso glühenden Appell richtet Thorsten Penzhorn (BSW) an das Auditorium, indem er aufruft, sich für Frieden ohne Waffen, für Diplomatie, für das Leben zu engagieren. Was für ein schönes Schlusswort, denke ich und erwarte brausenden Applaus. Der aber verblieb im zarten Piano. Grund genug, mich nach der Veranstaltung an das IntoPolitics-Team zu wenden, da ich dort Insiderwissen vermute. Von Erstwählern kann ich im Allgemeinen noch keine gestählte politische Position erwarten, so Molin Georgi. Da ist eine ganze Menge Unsicherheit. Um auf der sicheren Seite zu sein, lassen die jungen Leute die vielfach im Elternhaus und in der Schule vorherrschenden Meinungen Einfluss auf die eigenen nehmen. Grüne Positionen, auch solche der SPD und FDP sind vorherrschend in Braunschweiger Gymnasien; Positionen des BSW hingegen weichen in wichtigen Fragen davon ab. Es braucht schon etwas Mut, sich nicht zur Mehrheit zu bekennen.
Es war eine gute Veranstaltung, eine Veranstaltung von Schülern für Schüler, die junge Menschen bei ihren ersten Schritten in die Welt von verantwortungsvollen politischen Denken und Handeln begleitet hat.