Oberbürgermeister Hoffmann über dem Recht

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Ein Rückblick auf eine Entscheidung vor dem Verwaltunggericht Rosenbaum vs. Hoffmann vom 11. Oktober 2012.

Die Sache

Erst einmal „zur Sache“ – um die ging es zwar in dem Gerichtsverfahren nicht, dennoch zum besseren Verständnis als Einführung:

Die Stadt hat Verträge mit der Richard-Borek-Stiftung über die Stadtplanung geschlossen. Dies war dem Rat bisher nicht bekannt, weil der Oberbürgermeister den Abschluss der Verträge als ein Geschäft der laufenden Verwaltung behandelte, die ureigene Sache ihres Vorsitzenden also, seine Sache. Die Borek-Stiftung gibt für die Planung etwas Geld und sichert sich damit Einfluss auf die Stadtplanung.

Entscheidungen sind mit der Borek-Stiftung „einvernehmlich“ zu treffen, was konsequent bedeutet: Nichts läuft im Geltungsbereich dieser Verträge mehr für die Stadtplanung, ohne das die Borek Stiftung zustimmt. Dies ist insofern besonders problematisch, wie

– Borek erheblichen Immobilienbesitz in der Stadt hat, so dass bestimmte städtische Planungen auch erhebliche wirtschaftliche Interessen Boreks tangieren.

– Die Borek-Stiftung nicht nur den Namen Borek trägt, auch persönlich hat Borek Einfluss auf die Stiftung.

– Borek einer der Hauptunterstützer für die Wahl des Oberbürgermeisters war und ihn mit ins Amt getragen hat. Gerade für solche Fälle gilt es aber, auch nur den bösen Schein zu vermeiden.

– die Verflechtungen gemeinsamer Planungen liefen bisher verdeckt, unter Ausschluss der Öffentlichkeit und eben nicht im Rahmen der vorgesehenen Bürgerbeteiligung an hoheitlichen Planungsvorhaben. Selbst Akteneinsichtsgesuchen wird nur schwerfällig stattgegeben. Teilweise wird einfach behauptet, gewisse Vorgänge gäbe es nicht, auch wenn auf diese Verwaltungsvorgänge in anderen Akten Bezug genommen wird.

Was immer Wohltätiges und Gutes die Borek-Stiftung geleistet hat ist eine Sache, undurchsichtige Interessenverflechtungen eine andere. Es ist kein gutes Zeichen, wenn es für die Problematik derartiger Gemengelagen in der Stadt offenbar überhaupt kein Gespür gibt. Die Existenz dieser Verträge gelangte durch Akteneinsichten und Anfragen an das Licht der Öffentlichkeit. Einer der Verträge sollte verlängert werden. Die neue politische Mehrheit im Rathaus war nun der Meinung, dass dies nicht allein die Sache des Oberbürgermeisters ist, stattdessen sollte der Verwaltungsausschuss darüber abstimmen.

Um die Abstimmung und nur um die Abstimmung über einen solchen Vertrag der Borek-Stiftung mit der Stadt über die Stadtplanung ging es in dem Gerichtsverfahren.

Der Fall

Die gesamte CDU Fraktion folgte bei der Abstimmung versehentlich dem BIBS-Ratsherrn Peter Rosenbaum und stimmte gegen eine Ratifizierung der Vertragsverlängerung. So verhalf die CDU dem Ratsherrn Rosenbaum zu einem unverhofften Abstimmungserfolg.

Soweit es sich dabei tatsächlich um einen Irrtum handelte, ist dies letztlich regelmäßig unproblematisch. So ein Fehler kann im Rahmen von vorgegebenen Fristen und mit den gegebenen verwaltungsrechtlichen Mitteln wieder „geheilt“ werden. Denn grundsätzlich können solche Abstimmungen wiederholt werden, grundsätzlich kann eine Entscheidung revidiert werden. Etwas Geduld und zivilisatorische Selbstzucht (vergl. etwa die Gehlensche Kulturanthropologie), vielleicht ein Blick etwa auf die Geschäftsordnung, ein temporärer Triebverzicht der Macht ist allerdings oft gefordert.

Dies ist jedoch nicht unbedingt Sache des Oberbürgermeisters von Braunschweig. Er erledigte die Angelegenheit mit sofortiger Wirkung in Mantel-und-Degen-Manier und tat sich einmal mehr als schneidiger Hauptmann einer Hurra-Verwaltung hervor: sechs Tage nach der Abstimmung verkündete er, dass sie von vornherein nichtig gewesen sei, weil sich der Fraktionsvorsitzende der CDU-Fraktion und mit ihm die gesamte Fraktion geirrt und falsch abgestimmt habe. Die Fraktion habe aber mit subjektiver Notwendigkeit falsch abstimmen müssen, so Hoffmann, weil er selbst sie durch seinen Vortrag und sein Handeln so verwirrt habe, dass sie gar nicht anders als falsch hätte abstimmen können. Umgehend berief er eine Sondersitzung des Verwaltungsausschusses ein, der drei Tage später erneut abstimmen sollte.

Um die Frage der Rechtmäßigkeit dieser zwei Vorgänge, einmal die Nichtigkeitserklärung der Abstimmung und weiter die sofortige Einberufung eines Ausschusses zur wiederholten Abstimmung ging es bei der Klage vor Gericht.

Der Beschluss

Das Gericht lehnte den Antrag auf eine einstweilige Anordnung aus zwei Gründen ab (Anlage 2):

– (1) Hoffmann sei nicht der richtige Beklagte und

– (2) die Geschäftsordnung gälte hier für die Hoffmannschen Vorlagen nicht.

Die Würdigung

zu 1) Der Hoffmann (als Oberbürgermeister) war es gar nicht, es war der andere Hoffmann (als Vorsitzender des Verwaltungsausschuss).

Rosenbaum habe mit dem Oberbürgermeister in seiner Rolle als Vorsitzendem der Stadtverwaltung und Repräsentanten der Stadt den Falschen beklagt. Denn die Klage

hätte gegen den Oberbürgermeister in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Verwaltungsausschusses gerichtet werden müssen, heißt es kurz.

Dazu zwei kritische Anmerkungen:

1.1) Entgegen dieser gerichtlichen Feststellung der Zuständigkeit und Verantwortlichkeit des Verwaltungsausschussvorsitzenden wendete sich der Fraktionsvorsitzende der CDU zuvor mit seiner Bitte um erneute Abstimmung nicht an den Vorsitzenden des Verwaltungsausschusses sondern ausdrücklich an den Oberbürgermeister (vermutlich in seiner Eigenschaft als Rechtsaufsicht), Hoffmann erklärt die Nichtigkeit des Beschlusses nicht als Vorsitzender des Verwaltungsausschusses sondern ausdrücklich als Oberbürgermeister und beruft auch die neue Sitzung nicht als Vorsitzender des Verwaltungsausschusses ein sondern ausdrücklich als Oberbürgermeister. Letztlich heißt es dazu in der Geschäftsordnung des Rates ausdrücklich:

Der Oberbürgermeister ruft den Verwaltungsausschuss nach Bedarf ein ...“

Alle streitigen Vorgänge waren ausdrücklich an den Oberbürgermeister als Repräsentanten und Vertreter der Gesamtstadt gerichtet oder sie wurden in seinem Namen von ihm vollzogen.

1.2) Aber selbst wenn man der Meinung ist, dass der Oberbürgermeister hier nur irrtümlich als Oberbürgermeister der Stadt (dem Gesamtorgan) agiert hat, sowie in seiner Rolle als Repräsentant des Gesamtorgans auch nur irrtümlich adressiert wurde, anstatt als das hier verantwortliche Organteil (a) eines Teilorgans (b), d. h. als Vorsitzender (a) des Verwaltungsausschusses (b), bleibt der Oberbürgermeister in jedem Fall rechtmäßiger Adressat einer einstweiligen Anordnung.

Denn in der Rolle als Gesamtrepräsentant hat der Oberbürgermeister den Beschluss des Verwaltungsausschusses umzusetzen und in der Eigenscharft als Vollzugsorgan galt es, ihn an die Anordnung zu verpflichten und zu binden. Dazu Wolfgang Roth in der diesbezüglich einschlägigen Monographie: „Verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten – Das subjektive Recht im innerorganisatorischen Verwaltungsrechtskreis und seine verwaltungsgerichtliche Umsetzung“, S. 989-990:

Der einstweilige Rechtsschutzantrag kann … auch gegen den Bürgermeister als Vollziehungsorgan gerichtet werden.

Ohne Zweifel hätte der Oberbürgermeister zwar auch in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Verwaltungsausschusses beklagt werden können. Roth S. 990:

Der Rechtsschutzantrag gegen das verletzende bzw. das Ausführungsorgan wird in aller Regel genügen.

In beiden Rollen konnte Hoffmann verklagt werden und nichts spricht in diesem Falle dafür, dass mit dem Oberbürgermeister als Vertreter der Stadt Braunschweig ein Falscher beklagt war. Das Gericht deutet eine weitere Begründung für diese Entscheidung denn auch nicht einmal mit einem Halbsatz oder einem prägnanten Begriff als Hinweis an: eine Willkürentscheidung.

zu 2) Die Beschränkung gilt nur für Anträge der anderen, nicht für die Anträge des Oberbürgermeisters.

Es geht um die Auslegung einer Bestimmung der Geschäftsordnung:

§ 18, Abs. 4: „Ist ein Antrag i. S. d. § 14 Nr. 10 GO im Rat durch Sachbeschluss abgelehnt worden, darf derselbe Beratungsgegenstand vor Ablauf eines halben Jahres nicht wiederum auf die Tagesordnung gesetzt werden, …“

Dies bedeutet, dass gerade beratene und beschlossene Gegenstände nicht sofort erneut zum Gegenstand der Beratung und einer Abstimmung gemacht werden können, wobei es dann weiter um die Frage geht, ob Vorlagen des Oberbürgermeisters Anträge im Sinne des § 14 Nr. 10 der Geschäftsordnung sind, in dem es dann heißt:

§ 14, Nr. 10: „Beratung und Beschluss über Vorlagen des Oberbürgermeisters, über Anträge und Berichte des VA und der Ausschüsse.“

Nach Rosenbaum:

… wird der Bedeutungsumfang des Begriffes „Antrag“ für diese Anweisung der Geschäftsordnung eigens definiert und erweitert auf „Antrag im Sinne des § 14 Nr. 10 GO“, wobei § 14 Nr. 10 dann Vorlagen des Oberbürgermeisters, soweit sie Beratungs- und Beschlussgegenstände sind, ausdrücklich einschließt.

Dagegen argumentiert nun das Gericht vergleichsweise ausführlich:

§ 18 Abs. 4 GO ist eine den demokratischen Entscheidungsprozess verkürzende Vorschrift, die eng ausgelegt werden muss. Ausgehend vom Wortlaut der Geschäftsordnung, die deutlich zwischen „Anträgen“ und „Vorlagen des Oberbürgermeisters“ unterscheidet, erlaubt die (vermeintliche) Präzisierung durch den Zusatz „im Sinne des § 14 Nr. 10 nicht den Schluss, dass damit eine Erweiterung auf sämtliche Gegenstände dieser Vorschrift und damit eine noch weitergehende Hemmung kommunaler Selbstbestimmung gemeint war; wäre dies gewollt gewesen, hätte es deutlicher formuliert werden müssen.

Das Gericht bemerkt, dass § 18 Abs. 4 eine „den demokratischen Entscheidungsprozess verkürzende Vorschrift“ sei, womit es sich um eine „Hemmung kommunaler Selbstbestimmung“ handele, um daraus zu folgern, dass sie eng ausgelegt werden müsse.

Die Auslegung ist zu bestreiten, auch sie hat willkürlichen Charakter:

Geschäftsordnungen haben grundsätzlich Gesetzescharakter, sind Selbstregelungen kommunaler Vertretungen. Dass derartige Regelungen einerseits immer verkürzenden und hemmenden Charakter haben, liegt in der Struktur von Regeln und hat daher tautologischen Charakter. Regeln und Regelwerke, Ordnungen verkürzen und hemmen immer absolute Freiheit, d. h. die Willkür ihrer Mitglieder und die Anarchie der Gremien deren Geschäftsgänge sie regeln.

Wenn man daraus den Schluss zöge, dass eine Geschäftsordnung des höchsten Organs der Kommunen immer auch die kommunale Selbstbestimmung verkürzen und hemmen würde, wäre das allerdings ein Fehlschluss. Oft genug sind Einschränkungen nicht Verkürzung, sondern im Gegenteil gerade Werkzeug und Ausdruck der kommunalen Selbstbestimmung. Dies gilt auch besonders für § 18 Abs. 4.

Die Regel verhindert, dass ein eben erst beschlossener Antrag schon im nächsten Moment wieder auf die Tagesordnung kommt und geändert wird. Die zeitliche Beschränkung verleiht einmal beschlossenen Anträgen Nachhaltigkeit und Gewicht – regelmäßig zumindest über die Dauer von 6 Monaten. Die Regelung ist insoweit Realisierung und Ausdruck kommunaler Selbstbestimmung. Sie verkürzt nicht, sie erweitert die Geltung kommunaler Beschlüsse indem sie ihnen einen begrenzten Bestandsschutz gewährt. Dass gerade die Vorlagen des Oberbürgermeisters von diesem Nachhaltigkeitsschutz ausgenommen sein sollten, und als besonders leichtgewichtige und unbedeutende Beschlüsse der sofortigen Abänderung ausgesetzt sein sollten, ist in keiner Weise ersichtlich.

Einmal sind Beschlussvorlagen des Oberbürgermeisters „Anträge“ im Sinne des Wortes. Der Duden (Universalwörterbuch) definiert „Antrag“ für die hier einschlägige Bedeutung als einen „zur Abstimmung gebrachter Entwurf; Vorschlag.“

Genau das sind auch die „Vorlagen des Oberbürgermeisters“. Es sind Anträge, allerdings eine besondere Gruppe von Anträgen. Statt Vorlagen des Oberbürgermeisters müssten sie auch besser heißen“Vorlagen der Verwaltung,“ oder „Vorlagen des Hauptverwaltungsbeamten“, denn es handelt sich in erster Linie um Anträge, die gründlich von Fachverwaltungen überarbeitet und ausgearbeit wurden, so dass in diesen Anträgen politischer Wille durch vornehmlich neutrale Sach- und Fachkompetenz der Verwaltung zur „Beschlussreife“ aufbereitet und überarbeitet wurde. Es ist nicht der geringste Grund ersichtlich, warum gerade diesen regelmäßig besonders aufwendigen Beschlussvorlagen der Nachhaltigkeits- und Bestandsschutz entzogen werden sollte. Und im Übrigen zeigt das auch die gute Praxis. Mit Sicherheit wurde jetzt erstmalig und einmalig eine Vorlage der Verwaltung sofort nachdem sie beschlossen wurde zur erneuten Beratung und erneutem Beschluss zur Abstimmung gebracht.

Vorlagen des Oberbürgermeisters (der Verwaltung/des Hauptverwaltungsbeamten) sind im Sinne des Wortes Anträge, auch wenn es spezielle, durch neutrales Fachwissen zur Beschlussreife aufbereitete Anträge sind. Dies wird durch den Einschub „im Sinne des § 14 Nr. 10 Geschäftsordnung noch“ einmal zusätzlich verdeutlicht – und nur in diesem Sinn, nur in dieser Funktion kann der Zusatz auch sinnvoll gelesen bzw. ausgelegt werden.

Denn wären nur die Anträge gemeint, die in der Geschäftsordnung Antrag genannt werden, dann wäre der erläuternde Einschub völlig überflüssig und sinnentleert, semantisch wie pragmatisch sinnlos, ohne jeglichen deskriptiven und präskriptiven Gehalt, es fehlte „the difference that makes the difference“ (Bateson), der kommunikative Gehalt wird auf Null reduziert.

Ein Normwerk liest man aber nicht wie konkrete Poesie, etwa wie ein Gedicht von Kurt Schwitters, als reine, sinnbefreite Lautlichkeit, man bemüht sich vielmehr um ein Verständnis von dessen Sinn. Das Gericht hat dies leider versäumt – deshalb gilt auch hier: eine Willkürentscheidung des Gerichts zu Gunsten des Oberbürgermeisters von Braunschweig. Hoffmann steht eben doch über dem Recht. Er ist wieder einmal davongekommen und hat nicht einmal einen Denkzettel bekommen.

Und wie ordnet die Stadt diesen Erfolg ein (Stellungnahme der Stadt): Das Verwaltungsgericht [ … ] folgte [sic!] der Rechtsauffassung der Stadtverwaltung.

Gab es da nicht einmal einen „Skandal“?

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