Gedanken zum Vortrag über „linken Antisemitismus“ während der Weimarer Republik in der TU am 11. November 2010
– Ausschluss eines Mitgliedes des Braunschweiger Friedensbündnisses vom Vortrag –
Im Rahmen einer Veranstaltungsreihe zur Reichspogromnacht fand am 11.11.2010 eine Veranstaltung zum Thema „Das ‚jüdische Kapital‘ und der Faschismus – die KPD und der Antisemitismus während der Weimarer Republik“ statt. Den Vortrag hielt Olaf Kistenmacher, ein Historiker aus Hamburg, in der Technischen Universität.
Um es vorweg zu nehmen: Der Vortrag war ausgesprochen gut und auch sorgfältig recherchiert. Anders als der Vortrag von Thomas Haury, der vor einigen Monaten im selben Raum ebenfalls zum Thema des linken Antisemitismus sprach, war dieser Vortrag durchweg auf einem hohen Niveau. Allerdings waren diesmal die Begleitumstände eher bedenklich. Dass ausgerechnet Helmut Käss, ein Mitglied des Friedensbündnisses und Teilnehmer des Gaza-Friedensmarsches, von den Veranstaltern im Vorfeld als Antisemit bezeichnet wurde und von dieser Veranstaltung ausgeschlossen wurde, war recht merkwürdig. Das hatten weder Herr Käss noch der Vortragende Herr Kistenmacher verdient. Organisiert wurde die Veranstaltung von der „Antifaschistischen Gruppe Braunschweig“, die sich zu diesem Ausschluss entschieden hatte.
Nun ja, es ging um ein schwieriges Thema: Antisemitismus in der Linken, ein sehr kontroverses Thema. Immerhin wird dieses Thema in Deutschland seit einigen Jahren behandelt und aufgearbeitet, nicht zuletzt seit der markanten Tagung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung im November 2004 in Berlin, in der die Thematik ausführlich behandelt wurde. Anlass war gewesen, dass man selbst in den Reihen der Gewerkschaft aktuell stärkere antisemitische Tendenzen festgestellt hatte (was ja eigentlich nicht zum Selbstbild der Gewerkschaften passt).
Der Antisemitismus im linken Spektrum war immer weniger wahrgenommen worden – war doch der rechte Antisemitismus so massiv und im Nationalsozialismus so extrem ausgeartet. Allerdings spielte der Antisemitismus auch im linken Bereich, insbesondere in der KPD, schon vor 1933 eine erhebliche Rolle. Ansonsten wird ja erst wieder ab 1967, nach dem Sechs-Tage-Krieg in Israel, von einem Umschwung der Linken gegen Israel, mit ihrer Kritik an der israelischen Politik gegen Palästina gesprochen.
Diese Israel-Kritik ab 1967 ist wahrscheinlich ohne den traditionellen, meist offenen, teils latenten Antisemitismus im linken Bereich nicht zu verstehen. Im Vortrag wurden zunächst zahlreiche Beispiele aus der damaligen Tageszeitung der KPD, der „Roten Fahne“ aufgeführt. Ähnlich wie in der NSDAP wird dort vom „jüdischen Kapital“ gesprochen. Ein besonders extremer Fall ist Ruth Fischer, ein bekanntes KPD-Mitglied, die – ausgerechnet selbst Jüdin – zum Beispiel auf einer KPD-Veranstaltung im Jahre 1923 mit folgenden Worten nationalistische Studenten für ihre Partei gewinnen wollte: „Wer gegen das Judenkapital aufruft, meine Herren, ist schon Klassenkämpfer. Auch wenn er es nicht weiß… Tretet die Judenkapitalisten nieder, hängt sie an die Laterne, zertrampelt sie…“
Neben Ruth Fischer gab es außer einigen prominenten Vertretern wie Paul Levy oder August Thalheimer nur wenige jüdische Personen in der KPD, die als Partei insgesamt nur eine geringe Anziehung auf jüdische Wähler, seien es jüdische Arbeiter oder Intellektuelle, ausübte. Einige Juden gehörten vorübergehend zur kommunistischen Reichtagsfraktion. Die meisten von ihnen wurden während der von der Kommunistischen Internationale in Moskau dirigierten Fraktionskämpfe aus der Partei verdrängt. Im Kampf gegen die Nationalsozialisten wollte sich die KPD-Führung in jüdischen Belangen nicht zu stark exponieren.
Insbesondere in der KPD-Zeitung „Rote Fahne“ häufen sich die antisemitischen Äußerungen, die z.T. sehr erschreckend sind. Eigenartigerweise wurde zudem angenommen, dass das „jüdische Kapital“ hinter den Nazis stecken würde, dass Nazis und das „jüdische Kapital“ zusammengehörten, eine Strategie, die in der Roten Fahne insbesondere nach 1929 verstärkt aufgenommen wurde („Jüdischer Warenhausbesitzer finanziert Nazipropaganda“, “ Nazi-Spitzenkandidat schnorrt bei jüdischem Bankier“ usw.).
In der Diskussion wurde auch auf die Zeit nach 45 eingegangen und erwähnt wurden die Pogrome in der Sowjetunion, der CSSR und Polen sowie die dortigen Prozesse gegen Juden. Ein besonderer Punkt war jedoch die Frage nach der Israel-Kritik: Ist auch heutige Israel-Kritik automatisch antisemitisch?
Der Referent, der neun Jahre lang selber Führungen in dem KZ-Neuengamme durchgeführt hatte, brachte als Beispiel Jimmy Carter, der in einer aktuellen Rede die israelische Politik kritisiert hatte (zitiert wurde aus der Neuen Züricher Zeitung vom11.11.2010). Diese Kritik würde man nicht als antisemitisch empfinden, ganz anders als viele Stellungnahmen aus dem linken Lager. Es scheint einen markanten Unterschied zu geben.
Im Weiteren ging der Vortragende auf Nachfrage aus dem Publikum auf das neue provokante Buch von Moshe Zuckermann mit dem Titel „Antisemit – ein Vorwurf als Herrschaftsinstrument“ ein, das der Autor am 20.November in Hamburg vorstellen wird. Olaf Kistenmacher sah das neue Buch – anders als frühere Beiträge von Zuckermann – eher kritisch. – Auf den Ausschluss eines Mitgliedes des Friedensbündnisses zu seinem Vortrag angesprochen, erinnerte Kistenmacher an den Boykott des Filmes „Warum Israel“ von Claude Lanzmann im letzten Jahr in Hamburg durch eine linke Gruppe. Dass dem renommierten, international bekannten Filmemacher, der auch den Film „Holocaust“ gedreht hat, so etwas ausgerechnet in Deutschland passiert, ist schon eigenartig. Nirgendwo sonst in der Welt hatte es eine solche Reaktion – zudem noch von linker Seite – gegeben. Nun gibt es nach dieser „Hamburger Posse“ jetzt auch eine entsprechende Braunschweiger Posse.
So bleibt das Thema Antisemitismus – sei es von rechts oder links – auch weiterhin präsent. Und in der heutigen Zeit wird es sich sicher immer wieder nicht zuletzt am Israel-Palästina-Konflikt entzünden. Angesichts der Vertreibungen der Palästinenser, der Zerstörung zahlreicher palästinensischer Dörfer und Städte, dem Elend in den Flüchtlingslagern, der Blockade des Gaza-Streifens, der Siedlungspolitik, die fast jede Hoffnung auf eine politische Lösung zerstört – ein nicht einfaches Thema.
Der Unterschied in der Kritik wird wohl da liegen: Ob es eine Empathie für Israel gibt oder nicht. Kritik an Israel ohne Empathie erscheint destruktiv, und in manchen, vielleicht auch in vielen Fällen scheint ein Antisemitismus mitzuschwingen, der offen oder unterschwellig ist. Möglicherweise sogar, ohne dass die Beteiligten es merken, wie z.B. in der berüchtigten Walser-Rede von 1998 in der Paulskirche, als der ganze Saal klatschte – nur einer nicht: Ignaz Bubis…
Wer weitere Informationen zum Thema „linker Antisemitismus“ haben möchte, sei auf das Buch „Exklusive Solidarität – Linker Antisemitismus in Deutschland“ (hrsg. von Matthias Brosch u.a.) verwiesen (Metropol-Verlag 2007), in dem die Beiträge zur Tagung der Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 2004 gesammelt sind. Die meisten Beiträge sind sehr informativ und aufschlussreich.