Kritiker nach Braunschweig einladen?

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über die Äußerungen von Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee zum Wiederaufbau des Braunschweiger „Schlosses“ hatte sich Oberbürgermeister Dr. Hoffmann empört. Tiefensee ist Jurymitglied des Architektenwettbewerbs zum Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses und wollte eine Lösung, „die anders als beim Römer in Frankfurt oder dem Schloss in Braunschweig einen Weg weist, wie man in unserem Jahrhundert mit einer solchen Aufgabe umgehen kann“.

Die Stadt Braunschweig hatte offensichtlich nicht den richtigen Umgang gefunden, denn, so befand die Süddeutsche Zeitung am 29.11.2008, „von den Schlossplanungen der jüngsten Zeit kann man die von einem Kaufhauskonzern spendierte Braunschweiger Schlosskulisse außer Acht lassen“.

Hoffmann will nun vermehrt Kritiker nach Braunschweig einladen, damit sie sich ein Bild vom Schloss sowie und den dort untergebrachten Kultureinrichtungen machen können. Kritiker nach Braunschweig einladen? Das könnte ins Auge gehen:

Dr. Hoffmann hatte aufgrund der Proteste zur Errichtung eines Kaufhauses mit einem vorgeschalteten „Schloss“ in einer der grünen Lungen der Braunschweiger Innenstadt 2006 das Bekenntnis abgelegt: „Für das Schloss gibt die Stadt keinen Cent aus“ (Braunschweiger Zeitung vom 1. September 2006, Seite 21).

Um a) dennoch möglichst unbemerkt öffentliche Mittel für den Ausbau des „Schlosses“ einsetzen zu können und um b) dessen ungeachtet an dem Bekenntnis „keinen Cent für das Schloss“ festhalten zu können, wurde folgender Trick ersonnen: Die dem Haushalt der Stadt Braunschweig zustehenden Einnahmen aus dem Besichtigungsbetrieb der Quadriga (einer kriegerischen Plastik auf dem Dach des „Schlosses“) wurden als Dank für die „Schenkung“ der Quadriga der Borek-Stiftung zugewiesen mit der zwingenden Vereinbarung, diese Gelder einem im „Schloss“ unterzubringenden „Schlossmuseum“ zur Verfügung zu stellen.

Ergebnis: a) Förderung des Ausbaus der „Schlosses“ mit den dem Haushalt der Stadt  Braunschweig zustehenden Geldern und b) scheinbare Einhaltung des Hoffmannschen Bekenntnisses aus dem Jahre 2006: „Für das Schloss gibt die Stadt keinen Cent aus“.

Die notorische Geldnot der Stadt Braunschweig, die einen Privatisierungswahn bis hin zum Verkauf selbst immaterieller Güter wie des Namens „Stadtwerke Braunschweig“ an einen französischen Mutterkonzern zu einem Spottpreis auslöste, dürfte Kritiker jedoch mehr interessieren als das Klein-Klein um das sogenannte „Schloss“. Allerdings brauchen sie dazu nicht eigens nach Braunschweig kommen, denn die Bilanz ist bereits jetzt eindeutig:

Ein Oberbürgermeister von Format, Christian Ude, Oberbürgermeister von München und Präsident des Deutschen Städtetages, warnte am 19.11.2008 in seiner Kritik an der Privatisierung städtischer Einrichtungen „Verscherbelt nicht eure städtischen Einrichtungen“. Wer mit schnellen Verkäufen seinen Haushalt in Ordnung bringen wolle, gebe zugleich Gestaltungsmöglichkeiten aus der Hand, warnte Ude.

„Als Mensch mit politischen Erfahrungen und überzeugungen kann ich davor warnen, verscherbelt nicht eure städtischen Einrichtungen. Wenn ihr keine Stadtwerke mehr habt, könnt ihr nichts mehr tun für erneuerbare Energien. Wenn ihr keine Krankenhäuser mehr habt, könnt ihr keine Gesundheitspolitik vor Ort treiben. Wenn ihr keine Wohnungen mehr habt, dann könnt ihr nicht nur Schwierigkeiten haben, untere Einkommensgruppen zu versorgen, sondern dann habt ihr auch jede Möglichkeit verloren, neue Wohnformen zu probieren, etwa ökologische Bauweise oder Energiesparhäuser oder Wohngemeinschaften für ältere Menschen. Das heißt, mit jedem Verkauf wird die Kommune ohnmächtiger und das sollte man bedenken, wenn man mit schnellem Verkaufen von kommunalen Einrichtungen den Haushalt in Ordnung bringen will.“

Und zur Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung meinte Ude: „Ich denke, dass die schlimmste Welle von Privatisierungseuphorie vorbei ist. Man hat ja in jeder Wirtschaftsredaktion und auf jeder Tagung und in jeder Fernsehtalkshow jahrelang den Unfug hören müssen, der Staat solle sich aus allem zurückziehen, die kommunale Daseinsvorsorge sei auch schlecht. Man müsse alles privatisieren und unter die Aufsicht der internationalen Finanzmärkte stellen, weil die völlig unfehlbar seien in ihrem nüchternen ökonomischen Kalkül. Und inzwischen wissen wir, auf schmerzhafte Weise haben wir es erfahren, dass dies ein einziger Irrweg war. Wir haben auf die Weise örtlichen Einfluss verloren, auf Unternehmen, die privatisiert worden sind. Wir haben Konzernbildungen erlebt mit Zentralen im Ausland, die wir gar nicht erreichen können. Und wir erleben jetzt, wie irrational die internationalen Finanzmärkte agieren, und hier wurden Milliarden versenkt. Und jetzt ist so die Stunde der Ernüchterung. Vielleicht ist es doch besser, altmodisch zu bleiben, nicht jede Modeerscheinung hysterisch mitzumachen, sondern an der guten alten, 100 Jahre alten kommunalen Daseinsvorsorge festhalten und auch die 200 Jahre alte Idee der kommunalen Selbstverwaltung stärken.“

Dessen ungeachtet tönt es bilanzierend aus der niedersächsischen Provinz: „Der nächste Schritt war eine Privatisierungspolitik, die vom Verkauf der restlichen Anteile an der Stadtreinigung über Verkehrsanlagen bis zur Stadtentwässerung reicht. So konsequent hat das wohl keine andere Stadt in Deutschland vollzogen“ (Vortrag des Oberbürgermeisters Dr. Gert Hoffmann bei der Kaufmännischen Union).

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