Durch den Einsatz eines umstrittenen Zinsaustauschgeschäftes entstanden der Stadt Braunschweig im Zeitraum 2000 – 2005 Zahlungsverpflichtungen in Höhe von insgesamt 3,22 Mio. Euro. Die Braunschweiger Zeitung vom 30.10.2008 titelte dementsprechend „Stadt verzockte bei umstrittenen Geldgeschäften 3,2 Millionen Euro“.
Dazu die Gegendarstellung der Stadt Braunschweig: „In Erwartung höherer Zinsen hatte sich die Kämmerei mit Zustimmung des Rates am 5. Oktober 1999 vor Amtsantritt von Oberbürgermeister Gert Hoffmann über Zinsderivate für fünf Jahre einen festen Zins für die damals hohen Kassenkredite garantieren lassen. Diese Erwartung traf nicht ein.“ Und weiter: „Aufgrund einer nicht erwarteten Zinsentwicklung musste die Stadt Braunschweig 3,22 Millionen Euro mehr an Zinsen aufwenden“.
Wenn aber in einer Geschäftsbeziehung ein fester Zins garantiert wird, dann kann normalerweise kein Mehraufwand an Zinsen entstehen.
Die SPD im Rat der Stadt Braunschweig sprang der Stadtverwaltung umgehend und kompetent zur Seite: „Einen Hauptgrund für die Verluste der Stadt sieht Pesditschek (SPD) in der nicht vorhersehbaren Krise der Weltwirtschaft nach den Terroranschlägen auf New York am 11. September 2001“. Allerdings scheint der Herr Oberstudiendirektor bei seiner Einschätzung der Krisen ein wenig durcheinander gekommen zu sein (DAX 2000 und 2007: Zwei Mal 7000 Punkte – zwei Welten). Man kann nur hoffen, dass er das nicht auch noch seinen SchülerInnen beibringt.
Kommunen wie Privatleute können bei einer Bank eine Art Bürgschaft mit ihrem guten Namen – besser Wette genannt – eingehen, die ihnen ohne Einsatz eines Cents eigenen Geldes bei einer Zinsentwicklung wie erwartet 1% p.a. oder mehr Rendite auf den gezeichneten Betrag verschafft. Bei einer gegenläufigen Zinsentwicklung wird der Wettende jedoch mit 8% p.a. und mehr des gezeichneten Betrags zur Kasse gebeten. Tritt dabei eine Zinsentwicklung nicht wie erwartet ein, muss der Wettende dann nicht „mehr an Zinsen“ aufwenden, sondern ganz einfach die vereinbarten Spielschulden begleichen.
Wenn der Leser das nicht versteht, sei ihm Trost zuteil: Im konkreten Fall konnte ein solches Zinstauschgeschäft in Braunschweig mangels ausreichender Kompetenz nicht abgeschlossen werden. Statt dessen musste dazu eigens ein zertifizierter Mitarbeiter einer großen deutschen Bank aus Hannover anreisen, um einen derartigen Abschluss tätigen zu können.
Da zum Ärger der Verwaltung der Stadt Braunschweig die Sache öffentlich bekannt wurde, wurden Nebelbomben und Abwiegelungen in der Braunschweiger Zeitung vom 30.10.2008 platziert:
- Zeitung: „Ratsentscheidung aus 1999 verursacht großen Schaden“.
- Verwaltung: „Keine Gefahr durch aktuelle Bankenkrise“.
- Zeitung: „Ein interner Bericht der Kommunalprüfungsanstalt aus dem Spätsommer, der Redaktion in Auszügen vorliegt, belegt aber: Von 2000 bis 2005 verspekulierte sich die Stadt beim umstrittenen Derivatenhandel um rund 3,2 Millionen Euro“.
- Dr. Hoffmann: „Ein Schaden ist dabei nicht entstanden“.
Anlässlich der Ratssitzung vom 20. November 2008 ließ der Erste Stadtrat Carsten Lehmann – wie Dr. Hoffmann Jurist – die Einwohnerfrage: “ Wie ist der Verweis auf hohe Kassenkredite und garantierte Zinsen zu verstehen angesichts der Tatsache, dass bei Zinsaustauschgeschäften keine effektive Anlage oder Kapitalaufnahme stattfindet und kein fester Zins über die gesamte Laufzeit garantiert wird?“ im Kern unbeantwortet und wiederholte dafür im wesentlichen die Gegendarstellung vom 30.11.2008. Ein Grund könnte die Feststellung des Finanzexperten Rainer Elschen von der Uni Duisburg-Essen sein: „Um solche Geschäfte abzuschließen, braucht es mehr als ein politisches Mandat und ein Jura-Studium„.
Mittlerweile ist eine ganze Reihe von Klagen gegen die vermittelnden Banken wegen fehlerhafter Anlageberatung in Gang gekommen. Bereits am 2.4.2008 berichtete die Financial Times Deutschland in ihrem Beitrag „Zinswette spaltet die Gerichte„, dass Hunderte deutscher Kommunen und Mittelständler mit der Deutschen Bank über verlustträchtige Zinstauschgeschäfte streiten. Die Kommunen haben dabei zumindest Teilerfolge erzielt. So wurde beispielsweise die Deutsche Bank zur Zahlung von einer Million Euro Schadenersatz an eine Immobilien-Tochter der Stadt Hagen verurteilt. Ein anderes Landgericht verdonnerte die Deutsche Bank zu einer Million Euro Schadenersatz an die Stadt Würzburg („Wenn Städte Roulette spielen„).
Daher erhob sich am 20.11.2008 die Einwohnerfrage an den Ersten Stadtrat Carsten Lehmann, was denn die Stadt Braunschweig für eine zumindest teilweise Rückführung der verzockten Gelder unternehmen würde. Die Antwort kam nicht unerwartet: man unternehme nichts, man fühle sich nicht fehlerhaft beraten. In der Tat, um solche Geschäfte abzuschließen, braucht es eben mehr als ein politisches Mandat und ein Jura-Studium.