Kriegslied

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Politische Abendandacht vom 7. Februar 2023 im Braunschweiger Dom

Von Sabine Dreßler

Liebe Gemeinde,

diese Strophen aus Matthias Claudius‘ „Kriegslied“ genügen, um sich Grauen und Gräueltaten, Not und Elend des Krieges vorzustellen. So ist Krieg, so fühlt er sich an, das macht er mit Menschen, das hinterlässt er.

Aber, und das unterscheidet Krieg von einer Naturkatastrophe: er ist gewollt, wurde vorbereitet und er hat ein Ziel: das Durchsetzen von Machtinteressen. Und er betrifft viele: die direkt Überfallenen, Bombardierten, Vertriebenen, Vergewaltigten und Gemordeten zuerst und am brutalsten. Er betrifft alle an Kampfhandlungen und kriegerischen Auseinandersetzungen Beteiligten, auf beiden Seiten. Und der Krieg mit seinen Folgeerscheinungen betrifft die, die ihn von außen, aus der näheren oder größeren Distanz, beobachten. Matthias Claudius hat im 18. Jht. aus solcher Außenperspektive geschrieben und bringt das Dilemma der Beobachter, der höchstens mittelbar Betroffenen, zu Wort:

’s ist Krieg! ’s ist Krieg! O Gottes Engel wehre,
Und rede du darein!
’s ist leider Krieg – und ich begehre
Nicht Schuld daran zu seyn!

Wo menschliches Vermögen offenbar nicht ausreicht, einen Krieg abzuwehren und Menschen vor Gewalt zu schützen, da soll Gottes Engel dazwischengehen. Denn: so furchtbar das alles ist – „leider“, sagt der Dichter – möchte ich doch nichts damit zu tun haben, und schon gar nicht für das Kriegsgeschehen, seine Entwicklung und seine Folgen irgendwelche Verantwortung tragen, gar schuldig daran sein. Claudius‘ Betrachtung beginnt und endet mit diesem Wunsch nach einem reinen Gewissen im Zustand der Nicht-Zuständigkeit – und glaubt doch selbst nicht daran.

Vielmehr wird das Gegenteil deutlich: sowohl das Tun als auch das Unterlassen derer, die einen Krieg auch nur von außen, aus der Entfernung erleben, bewerten, beurteilen, hat Konsequenzen.

Damit geht es nicht mehr um ein „ich“ und die persönlichen Albträume angesichts dessen, was die mitten im Kriegsgeschehen erleben, die „wackren Männer“, die „Väter, Mütter, Bräute“. Es geht auch nicht um das Leiden an der eigenen Sprach-und Hilflosigkeit, wenn die an Leib und Leben Bedrohten nach Antworten, nach Reaktionen verlangen, und sei es nur, dass sie uns heimsuchen in den Träumen.

Zum Krieg gehört auch, dass er fordernd ist und überfordert, dass er keine Zeit lässt, wo es doch Zeit und Raum bräuchte für ein sinnvolles Abwägen, was zu tun ist.

Weil es aber zuerst um die in unmittelbarer Gefahr und um ihr Leid geht, weil es um die geht, deren Schreien sich die Beobachtenden nicht oder kaum mehr entziehen können, wird es kein „Ich-für-mich“ mehr geben können, vielmehr muss daraus ein „Ich-für-Dich“ werden, und aus dem „ich“ ein „wir“ werden.

Im Wissen um ein solches „wir“ kann Solidarität geübt und Verantwortung übernommen werden. Im Bewusstsein darum, dass niemand, außern die Kinder, dabei ohne Schuld auskommt und herauskommen wird, was auch immer wir tun oder nicht tun.

Aber dafür braucht es dann zu anderer Zeit andere Gebete und Lieder und Gottes Engel – und das Vertrauen auf Gottes Gnade für uns alle.

Amen

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