Kochen im Zeichen des Widerstands und mehr… 1 Woche Leben im Widerstand

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Samstag, 11.12.2010, 4.45h: Die Wecker klingeln. Aufstehen – alles zusammenpacken – noch einen Kaffee machen. Da klingelt auch schon das Taxi, das ich den Abend vorher bestellt hatte. Ich denke nicht – ich schlafe noch! Am Braunschweiger ZOB, jetzt werde ich doch etwas wacher-aufgeregt, frage ich mich, wie viele wohl kommen werden?

Im Vorfeld wurde klar, daß diesmal unsere privaten Absicherer des Busses wohl Geld dazugeben müssen. Wir hatten aber im Vorfeld schon abgeklärt, daß es schwierig wird zu mobilisieren. Deshalb fragten wir an, ob sie die Finanzierung übernehmen oder ob wir den Bus absagen sollten. Sie sagten, sie finanzieren den Bus.

Und so fuhren wir mit etwas mehr als ein dutzend Aktiven Richtung Greifswald. Und die Stimmung war gut. Wir wussten, wie wichtig unsere Anwesenheit für den Widerstand dort (Lubmin niX da!) war. Auch kannten wir uns untereinander, so daß es eine angenehme Fahrt wurde.

In Greifswald angekommen wurden wir auch gleich mit einem Blitzlichtgewitter empfangen, als einige von uns, die mobilen Atommüllstofftonnen tragend, auftauchten. Auch das Braunschweiger Weltatomerbe-Banner im Stil eines Weltkulturerbe-Hinweisschilds an der Autobahn wurde heftigst fotografiert. Uns allen war schnell klar: Es war gut, daß wir aus Braunschweig und Region hier Flagge zeigen. Und das nicht nur, um zu unterstützen, sondern auch um unsere Misere zu zeigen!

 

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Rückblickend kann ich diese Vermutung bestätigen. Aktive aus Greifwald erzählten mir, daß sie einen großen Motivationschub bekamen. Und was auch positiv zu verbuchen ist: Es gab keine negativen Äußerungen von den Dörfern. Im Gegenteil, sie zeigten sich solidarisch und vergaben über 300 Schlafplätze und übernahmen Fahrdienste zu den Mahnwachen.

Da ich in Greifswald bleiben und die Volksküche (VOKÜ) unterstützen wollte, hatte ich mir im Vorfeld über die Bettenbörse auf der Aktionsseite im Internet ein Bett zur Übernachtung besorgt. Meine am Telefon schon nette Gastmutti und ich verabredeten einen Treffpunkt auf dem Auftaktsdemogelände. Dort wurde ich herzlich von meiner Gastmutti Luise begrüßt. Sie gab mir gleich Ihren Wohnungsschlüssel. Was für ein Vertrauensvorschuss!

Dann startete auch der Protestzug. Es ging einmal um die Greifswalder Innenstadt herum. Der Protestzug war kleiner als erwartet, aber bunt und motiviert. Und für die vor Ort herrschenden Gegebenheiten groß! Trotz der widrigen Wetterumstände waren 2.800 Menschen vor Ort. Daß dieses Wetter noch harmlos war, konnte zu dieser Zeit keiner ahnen!

Ich hatte mich entschieden, nicht zurück zu fahren und dort zu bleiben. Alles war gut vorbereitet, und doch hatte ich dieses mal ein mulmiges Gefühl im Bauch. War Greifswald doch so anders als das Wendland.

Hier schauten viele Bewohner verwundert aus Ihren Fenstern raus, und es sah so aus, als ob sie nicht richtig wußten, was sie von dem bunten Völkchen halten sollten. Auch hatte ich das Vorurteil im Kopf, daß Greifswald eine Hochburg der Rechten sei. Aber trotzdem wollte ich bleiben und helfen. Gerade, weil ich merkte, daß alles neu am Entstehen war und meine Unterstützung sinnvoll ist.

Als ich mich mit Sack und Pack bei meiner Gastmutter einfand, wurde ich wieder freundlich und warm empfangen. Es stellte sich heraus, daß ich im Bett des 6-jährigen Sohnes schlafen durfte. Ich war berührt, über diese Geste. Bei einen Tee in der Küche stellten wir dann auch noch Gemeinsamkeiten fest, so daß ich mich schon gleich nicht mehr so einsam fühlte. Am nächsten Morgen machte ich mich voller Tatendrang auf, um im Infobüro herauszufinden, wo die VOKÜ (VOLX-KÜCHE/mobile Mitmachküche) war.

Leider war ich mit 9.00 Uhr zu früh dran; auch wieder anders als im Wendland. Da musste ich nochmal in ein Stadtkaffee und mich aufwärmen und warten. Das Stadtkaffee wurde dann ein festes allmorgendliches Ritual, bevor ich in die Museumswerft ging. Diese war nur eine Holzhalle, in der die VOKÜ untergebracht war.

Das Café lag in der Mitte zwischen Schlafplatz und Museumswerft. Dort zog ich mir meine Stiefel aus und trocknete und erwärmte sie auf einer kleinen Heizung. In die Schuhe legte ich trockenes Zeitungspapier. Was nicht an meiner fehlenden Imprägnierung lag, auch 200,- Euro Stiefel versagten bei dem Wetter!

In der Werft war der Infopunkt, sprich eine Theke mit Flyern und die VOKÜ untergebracht. Diese bestand an den ersten Tagen aus 3 mobilen Mitmach-Küchen. „Le Sabot„, die für Essen ab 300 Menschen kochen können, wollten später in das noch entstehende Camp ziehen. In der Werft waren die VOKÜ aus Greifswald mit 3 netten Menschen und eine aus Rostock mit 2 netten Menschen.

In der Museumswerft wurden die Lebensmittel zum Kochen vorbereitet. Gekocht wurde draußen in einem großen Zelt. Drinnen waren noch das Lebensmittellager und die Waschstraße, denn jede/r spült das gebrauchte Geschirr selber ab, Vorspülen – Hauptspülen – Abspülen. Aktive, die gerade keinen weiteren Plan haben und arbeiten wollen, können sich jederzeit eine Arbeit suchen bzw. die Person fragen, die den Überblick hat, was gerade ansteht. Üblicherweise gibt es immer eine Person, die kocht. Alles andere kann und wird von Aktiven übernommen. Das Problem war nur, daß es keine Arbeit gab!

Die Struktur zum Lagern der Lebensmittel und die Kochgelegenheiten hatten sie schon aufgebaut. Bloß gab es keine Aktiven, die Essen haben wollten. Zudem war Suppe von der Auftaktkundgebung noch in Massen da. VOKÜs kochen meist lecker, vegan, biologisch, und sie sind oft der zentrale Punkt des kommunikativen Austauschs. VOKÜs haben also auch politische Gründe. Und wenn jemand sehr zerknirscht aussieht, wird auch schon mal ein Teller Suppe zu der Person gebracht. Gerade in Greifswald war der stets trinkbereite, warme Tee, auch für das seelische Wohl, sehr wichtig. Aber was sollte ich jetzt in Greifswald machen?

Da in der Werft gerade ein Aktionstrainings lief, dachte ich, ich mach dort mal mit. Hatte ich ja auch noch nie mitgemacht und ich dachte, vielleicht muss ich mal mit dem Essen durch eine Sperre, um Aktive zu erreichen. Und tatsächlich kam von unserem Aktionstrainer Trainer von x-tausendmalquer auch ein solches Beispiel:

Der Koch „Wam Kat“, vom Mitmach-Küchen Kollektiv „Rampenplan“ (eine andere der größeren Mitmach-Protestküchen) fuhr mit einem LKW an eine Straßensperre heran. Der Polizist sagte ihm, er könnte ihn nicht weiterfahren lassen. Daraufhin erklärte „Wam Kat“, er hätte warmes Essen im LKW. Dort hinter der Sperre würden 1.200 Menschen hungrig sitzen, er würde jetzt losgehen und denen erzählen, daß vor der Sperre ein LKW mit heißem leckeren Essen stehen würde. Falls dieser Polizist den Wink nicht verstehen sollte, würde er nach dem Vorgesetzten fragen und diesem die Geschichte erzählen. Fazit: Er hätte es immer geschafft, so sein Essen an die Aktiven zu bringen! („Ohne Mampf kein Kampf„, Sa./So. 6./7. Nov. 2010, taz)

So ist das mit der Willkür und den Schauspielereien auf beiden Seiten. Das Training war wirklich gut, und obwohl der Trainer schwer erkältet war, brachte er uns die Grundlagen einer erfolgreichen „Schienenerstürmung/-besetzung“ bei. Besonders wichtig fand ich die psychologischen Tipps. Es war auch wichtig, gelernt zu haben, daß es eine „Transporthaltung“ gibt, die für alle Beteiligten angenehm ist.

So dachte ich, daß ich vielleicht doch mal eine aktive Schienenbesetzerin werden würde. Montag machte ich mich dann mit einer handvoll Aktiven nach Stralsund auf, um im Heimatwahlkreis von Merkel zu protestieren und ihr symbolisch Atommüll vor die Tür zu legen. Vor dem Parteibüro angekommen, stellten wir uns mit Fässern vor dem Eingang auf, neben dem an der Wand ein größeres Messingschild auf Merkels Büro hinwies. Ein Bulli von uns hatte Lautsprecher auf dem Dach und es gab ein offenes Mikrofon.

Ich dachte, da kann ich doch auch mal kurz was sagen, und fing an mich vorzustellen und erzählte warum ich da wäre und was so bei uns los wäre. Während ich redete, merkte ich nochmal richtig, daß es echt heftig ist, was hier bei uns in der Region passiert. Ich redete und bemerkte, wie ich eine flammende Rede hielt, die begeistert aufgenommen wurde. Als ich ausstieg hatte ich wirklich Tränen in den Augen, so sehr hatten mich meine eigenen Worte berührt.

Bei einigen Anwesenden hieß ich ab da nur noch ASSE. Repräsentierte ich als einzige aus unserer Region vor Ort doch unsere gesamte Misere. Ein Blitzlichtgewitter gab es, als ich einen Müllbeutel mit Strahlungszeichen an das Messingschild hing und mit einer Hand auf das X in meiner Hand zeigte mit dem Schild im Hintergrund.

Nun dachte ich am Dienstag, ich würde vielleicht sogar nach Hause fahren. Das um 19.00 Uhr angesetzte allabendliche Plenum in der Museumswerft wurde von ca. 20 Aktivisten besucht. Wir waren alle ratlos.

Indessen wischte ich die Biertische, fegte den Boden von den Lebensmittelresten frei und sortierte Lebensmittelspenden ein und Spenden, die wir nicht gebrauchen konnten (Hühnerei-Nudeln, angefangener Grieß, in so kleinen Mengen, daß man sie nicht mit verarbeiten konnte u.s.w.). Also, falls Ihr mal was für eine VOKÜ/Großküche spenden wollt, kauft viel von einer Sache ein, und Bio sollte sie sein. Aber auch Kaffee und Tee sind immer gerne willkommen. Bitte keine Fleischerzeugnisse, es sei denn, ihr habt das Tier vorher gefragt und es hat eindeutig gesagt „ich will gegessen werden“. Solange das nicht passiert, kein Fleisch. Aber auch keine Milchprodukte.

Höre ich da jemanden laut aufstöhnen? Da kann ich ja nichts mehr essen. Falsch! Ausgewogene vegane Ernährung bietet eine Fülle an leckeren Brotaufstrichen, Bratlingen und anderen herzhaften und süßen Speisen. Jetzt höre ich noch jemanden rufen: Aber das Vitamin B12 wird fehlen! Bei streng veganer Ernährung fährt man sich garantiert einen Vitamin B12 Mangel ein. Wenn eine/r also vegan lebt oder vegetarisch und sehr wenig Milchprodukte zu sich nimmt, dann ist es wichtig, Vitamin B12 zusätzlich einzunehmen. Aber ich bin seit 25 Jahren Vegetarierin und lasse mein Blut alle Jahre auf Blutzusammensetzung testen. Ich hatte noch nie einen Mangel. Aber dieses Thema füllt ganze Bücher…

Dienstag Abend gab es eine Antifa-Demo von den Anti-Atomkraft-Aktivisten. Ich fragte mich, wie einige andere Aktive, wieso. Die rechte Szene, die im Osten immer noch stark vertreten ist,versucht den Anti-Atomprotest für sich zu nutzen. Hintergrund sind Veröffentlichungen von Neonazi-Gruppen gegen Atommüllzwischenlager und-transporte in der „nationalen Heimat“ Vorpommern. Wobei Ihnen u.a. die Lebens und Umweltbedingungen der Menschen in den Uranabbauenden Länder egal sind. Und natürlich Ihre gesammte Ideologie Menschenver-achtend ist! Deshalb kam die klare Ansage schon auf den Plakaten und Flyern: gegen Sexismus und Faschismus. Die Demo startete Dienstag Nacht um 20.30 Uhr und ich glaube es waren 300 Menschen bei der Antifa-Demo!

Es war so, dass innerhalb von Greifswald keine Faschoangriffe kommen, aber in bestimmten Vierteln sollte man/frau vorsichtig sein! Ich habe mich nie bedroht gefühlt, aber möchte es auch nicht in diesen Vierteln ausprobieren, von denen Einheimische mir gesagt hatten, dass dort öfters Überfälle stattfinden. Auch hat sich die Naziszene angepasst. So wurde mir berichtet, dass im nächsten Hafen ein Schiff liegt, Touristisch heraus geputzt und fein anzusehen, das Vaterland heißt und von einen Nazi geführt wird. Und die rechten Radikalen sehen jetzt wie die Linken aus. Aber insgesamt hat sich meine Angst etwas gelegt. Zudem sehe ich ja jetzt auch „normal“ aus. So dass sie mich nicht als erstes auf dem Plan hätten, sondern als „nur“ Frau nur als 2. auf deren Zerstörungsliste stehe…

Mittwoch Nachmittag hatte ich dann die Gelegenheit, unser regionales Anliegen einem Fernsehteam vom ZDF zu erzählen. Dieses sagte mir anschließend, der Bericht mit mir wäre im Fernsehen an dem Tag drin. Aber als ich im Nachhinein jetzt die Zeit im Widerstand im Internet aufarbeitete, fand ich leider nichts zu dem Interview mit mir. Aber ich konnte mir nochmal klar machen, was meine Beweggründe sind, um hier im Anti-Atom-Treff Braunschweig mitzuarbeiten.

Die fragende Reporterin suchte mich aus und fragte, ob es in Ordnung wäre, wenn sie in der VOKÜ drehen würden und einige Interviews führen würden. Ich sagte, daß ich das nicht sagen könnte, da es hier keine/n Chef/in geben würde. Sie schaute etwas fragend. Als die Musik leise gestellt wurde, sagte ich zu allen, daß sie vom ZDF kommt und was fragen wollte. Ich setzte mich neben die Aktiven, die gerade Gemüse schnitten. Etwas verlegen beschrieb sie, was sie vorhatte, und nachdem klar war, daß einige nicht mal von hinten gefilmt werden möchten, durfte sie loslegen. Später kamen noch andere Presseleute, unter anderem auch einer von der ungeliebten Ostseezeitung. Diese hatte am Tag davor totalen Mist über das Camp geschrieben.

Als dann noch ein 2. Fernsehteam und noch ein Fotograf mit Blitzlicht Fotos schossen, war es nach gut 1,5 Stunden dann doch zu viel. Ich fragte, wie die anderen es sehen würden. Alle waren schon angenervt von den im Wege stehenden Reportern, so daß ich fragte, ob es in Ordnung wäre, wenn ich die Reporter raus bitten würde – gesagt getan.

Zu dem Thema Presseleute: Auf der einen Seite sind sie ein wenig die Versicherung, daß, wenn sie dabei sind, die Polizeigewalt nicht ausartet, und auf der anderen Seite gibt es lüsterne Reporter, wie der Ostseezeitungstyp, die schon widerlich sind und alles verdrehen. Andere Aktivistinnen erzählten mir von ihren schlechten Erfahrungen mit den privaten Fernsehleuten.

Ab Mittwochabend wurde es zunehmend voll, so daß das allabendliche Plenum in der Werft voll mit Aktiven war und wir in der VÖKÜ das erste mal richtig Keulen durften. Und trotz des anhaltenden eiskalten Windes waren sie gekommen, und sie waren viele!

Das war heftigster Castor-Transport à la Sibirien. Teilweise kniehoher Schnee und eisiger Sturmwind, der Schneewehen vor sich her treibt. Ach ja, in der Werft gab es nur 2 Gasflaschen-Heizungsaufsätze, also war es auch immer kalt. Ich zog gleich auf eines der siffigen Sofas ein, da der Weg zu meiner Schlafstätte zu weit war und ich schon über die Fahrbörse einen Lift zurück bekommen hatte, bei dem der Fahrer so früh wie möglich fahren wollte. Dort schlief ich fast nicht, waren es doch auch in der Werft nur ein paar Grad.

Was aber alles umsonst war, weil auch er in der Gefangenen-Sammelstelle (GeSa) landete und anschließend, nachdem er abgeholt wurde, mit seinem Auto wieder zur GeSa fuhr, um weitere Aktive abzuholen. Letztendlich fuhren wir Freitag Mittag an der Werft los.

Später erzählte mir eine Aktivistin, wie es Aktive schafften, sich vom Bahndamm durch die Polizeikette mit Hechtsprung in die Schneewehe auf die Bahnschiene zu den sitzenden Aktivisten zu bringen.

Es war so kalt, daß die Oberleitungen eingefroren waren. Trotzdem wurden die Castoren auf eine Bahnstrecke geschickt, die stillgelegt ist! Die Bundespolizei musste die Schienen von Schnee frei schaufeln. Teilweise hüfthohe Schneewehen und Schneetreiben, wie ich es in meinem Winterurlaub in Polen und Russland gesehen hatte. Unverantwortlich, daß ein Gefahrentransport bei diesen Witterungsverhältnissen mit 100 km/h dahin rauscht. Dieses ist fahrlässig. Ist der schnelle Transport wichtiger als die Sicherheit der Bevölkerung? Dieser Aspekt ist meiner Meinung nach in den Medien vernachlässigt worden. Für mich allerdings zeigt es mal wieder, daß sich keine Gedanken um die Sicherheit der Mitmenschen gemacht wird. Es geht nur darum, den Müll zu verschieben, und das schnell!

Wir in der VOKÜ keulten noch anständig, weil jetzt Aktive aus dem gesamten Bundesgebiet kamen. Zum täglichen Plenumstreffen der Aktiven kamen dann am Mittwochabend ca. 300 Menschen! Alle, die noch keine Bezugsgruppe hatten, konnten sich so noch finden. Die Bezugsgruppensprecher wurden über die Vorgehensweise informiert und trugen diese Infos in die Bezugsgruppen. Die Aktiven ließen sich von den krassen Witterungsverhältnissen nicht abschrecken. Aus dem gesamten Bundesgebiet kamen sie nach Greifswald. Alle waren guter Stimmung gewesen…

Als dann die ersten um 23.00 Uhr aus der GeSa freigelassen wurden, machten wir alles klar, damit sie sich einwickeln konnten, heißen Tee und auch sofort leckeres Essen bekamen. Auch fuhren 2 Leute von uns mit heißer Suppe direkt zur GeSa, um den Aktiven als erstes eine heiße Suppe zu verabreichen. Ich dachte, nach dieser Zeit des Sitzens auf den Schienen und der GeSa müssten einige psychisch und physisch angeknackst sein. Aber bis auf starke Erschöpfung und einigen kleineren Wunden waren alle wohlauf. Ein junges Mädchen, das in der GeSa umgefallen war, wurde von der Polizei freigelassen und klappte vor dem Tor der Lagerhalle, in der die Käfige aufgebaut waren, gleich wieder zusammen. Aber sie wurde von Aktiven mit Trockenfrüchten gefüttert, und ihre Lebenskräfte kamen wieder.

Ich war dann doch Donnerstag früh als Aktive an einer der Mahnwachen. Wir brachten Donnerstag morgen Essen an die Mahnwachen und schauten, ob die „Gulaschkanone“ noch an war. Donnerstag morgen, nach kaum Schlaf und ständigem Frieren, klappte dann mein Kreislauf zusammen. Eine super-nette Frau von der Greifswalder VOKÜ gab mir ihr Bett. Wir fuhren im Auto von der Mahnwache nach Greifswald. Dort klappte mein Kreislauf erneut zusammen. Im Bett bei ihr angekommen, fühlte ich mich, als ob ich den Hauptgewinn bei einer Verlosung gezogen hätte. Glücklich schlief ich ein. Nach erholsamen 5 Stunden Schlaf und 3 Gläsern Wasser machte ich mich wieder auf in die Werft. Dort war gerade alles fertig gekocht. Ich machte mich dran, die Grundordnung wieder herzustellen.

Dann wurden die GeSa-Insassen freigelassen. Ich ging auf die neu ankommenden GeSa-Insassen zu und sagte, daß es warme Suppe gibt, und zeigte auf die Theke, wo heißer Tee und Kaffee standen, und fragte, ob alles soweit in Ordnung sei. Eine junge Frau erzählte mir, sie hätte stundenlang alleine in einem Käfig in einem Polizeibus, in dem sie sich nicht rühren konnte, im Kalten gesessen. Das wäre schlimm für sie gewesen. Ich fragte sie, was sie trinken möchte und brachte ihr einen Tee. Und zudem brachte ich ihr etwas von einem genialen Früchtebrot vorbei, das ein regionaler Bio-Bäcker gespendet hatte. Nach einiger Zeit sah ich, daß ihre Lebenskräfte wiederkehrten. Einige Aktivisten lächelten, das hätte ich so nicht erwartet.

Aber ich möchte nicht verschweigen, daß es auch Übergriffe seitens der Polizei gab. Vermutlich war es einer von den Greenpeacern, die sich von der Brücke abseilten und das Transparent ausrollten, dem man schon in der GeSa in den Magen schlug. An dieser Stelle möchte ich auch noch „Out of Action“ erwähnen. Sie geben Emotional First Aid. Zwei Frauen von „Out of Action“ waren da und wollten die Tage vorher eine Infoveranstaltung machen. Es geht den Frauen darum, über traumatisierende Folgen von Polizei- (und anderer) Gewalt, und wie wir da wieder raus kommen, zu informieren. Wie so etwas aussehen kann, zeigt der Bericht eines Aktiven. Er erzählte, daß er, seit er bei einer stundenlangen polizeilichen Umkesselung fast erfroren wäre, eine Zeit lang immer schlechte Laune bekommen hätte, wenn ihm kalt wurde. Ab wann er einen Widerstand aufgäbe, wäre nun von der Temperatur abhängig. Dieses Wissen um seine eigenen Grenzen ist wichtig für den aktiven Widerstand und zeigt auch, wie sich traumatisierende Erlebnisse auswirken können.

Toll fand ich auch, daß Cécile, „das Eichhörchen“, wieder etwas gemacht hatte. Bevor ich wußte, daß sie aktiv da war, erzählte mir eine Frau, die in der GeSa war, daß da eine Verrückte war, die die Gitterstäbe hoch geklettert sei und sich ins Gebälk der Halle gesetzt hätte. Mir ist Cécile Lecomte, „das Eichhörnchen“, so nahe, weil sie vor 2 Jahren unrechtmäßig in Braunschweig in vorsorglicher Gewahrsamnahme war. Cécile Lecomte wurde in der Langzeitgewahrsamstelle in Braunschweig-Gliesmarode eingesperrt (B-S berichtete). Damals wurde gesagt, sie sei dort psychisch durch die Isolierung in einer kahlen Zelle gebrochen worden. Damals sangen Braunschweiger Bürger rund um die Uhr vor dem Gelände der Polizei in der Hoffnung, daß sie das hört und sich nicht so alleine fühlt.

Ja, Braunschweig ist schon bekannt durch seine fesselnden-kesselnden Polizeiaktionen. Dazu noch ein ehemaliger Rechter als OB. Im Stadtrat wurde die Debatte um einen Notfallplan für BS abgelehnt, falls es zum Austritt von atomar verseuchter Lauge kommt. So ist die Braunschweiger „Obrigkeit“ von FDP/CDU. Ich für meinen Fall habe gerne einen Plan B(!), wenn der Plan A mal versagt. Aber die haben lieber gar keinen Plan.

Ich bin geschockt darüber, daß kein Aufschrei durch Braunschweig ging, als am 15.12. bekannt wurde, daß Atommüllfässer in der ASSE im Begriff sind, sich aufzulösen. Müsste doch inzwischen jede/r wissen, daß die ASSE natürliche, wasserführende geologische Gegebenheiten hat, die in die Oker und damit direkt zu uns führen! Ich bin eine Taz-Abo-Frau und werde darüber mit den neusten Infos aus unserer Gegend versorgt. („Atommüllfässer in Auflösung begriffen“, Mittwoch, 15.12.2010, taz)

Meine erste Frage an Freunde, ob es wenigstens einen Aufschrei der Empörung in der Bevölkerung gegeben hätte, als das bekannt wurde, verneinten sie. Die Braunschweiger Zeitung klammerte wohl mal wieder das Thema aus und unser Rat der Stadt wurde von unserer FDP/CDU regierten Stadtväterschaft zum Schweigen gebracht. Wie fürsorglich von denen, uns von allem Bösen fernhalten zu wollen – O.K., das ist jetzt zynisch gemeint.

Ich dachte nur, daß in Greifswald Hunderte im Schneetreiben auf Schienen gesessen hatten, gegen Atommüll protestierten, der erst mal dort lagert, und hier, wo wir einen GAU haben, schweigt die breite Masse. Aber wahrscheinlich sind die meisten beschäftigt, Weihnachtsgeschenke in der Schlossfassade zu kaufen?! Ich für meinen Teil bin entrüstet über diese Vogel-Strauß-Politik von unserem OB Hoffmann und Co. Zeigt sie auch, wie egal wir ihm sind! Und wie inkompetent sein Führungsstil ist! Und wieso empört sich hier keiner öffentlich?

Zurück zu Greifswald und dem Castor-Transport, bei sibirischen Umweltbedingungen. Es war wichtig für mich, alle diese Erfahrungen gemacht zu haben. Dadurch habe ich ein tieferes Verständnis über die Abläufe und Organisationsstruktur bei Aktionen bekommen. Und was auch sehr wichtig ist: Es waren alles so angenehme Menschen dort, die sich gegenseitig stützten und Wärme spendeten. Alle mit klaren Augen, die mich direkt ansahen. Und sie strahlten; und dort darf sie auch strahlen, die Lebensenergie, die durch uns alle hindurch fließt….

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