Kampagnen-Journalismus oder die Verschiebung von Wahrheit (Teil 30)

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Es gibt ihn doch, Journalismus, der den Namen verdient, der nachfragt und überprüft. Mart-Jan Knoche von der TAZ fragte nach, nach der „Welle der Gewalt“, mit der die Eintracht Fans die Stadt Braunschweig bedrohen würden, nach der ‚“Randale“, die am 12. Februar für die Hauptschlagzeile auf der Titelseite der Braunschweiger Zeitung sorgte. Die TAZ fand nichts, was die Berichte in der Braunschweig Zeitung bestätigen konnte, fand nur eine „Randale, die keine war.“ (Im Braunschweig-Board hatte ein Braunschweiger die Artikel der BZ hier zuerst mit dem TAZ-Artikel konfrontiert.)

Offenbar ist es für die BZ nur noch von sekundärer Bedeutung, ob ihre Berichte richtig sind oder falsch. Man will die „Meinungsführerschaft“, will Emotionen wecken und Meinung machen. Da greift man sich dann ein Thema, wenn es der Redaktion gerade in den Kram passt und weitet es zum „Themenpark“ aus, egal ob es mit der Realität übereinstimmt oder nicht.

„800 Chaoten attackieren 300 Polizisten nach Pokalspiel“ berichtete die Zeitung am gleichen Tag im Sportteil, und toller noch: „110.000 Fußball-Fans in Italien aus den Stadien ausgesperrt“ peitschte eine zweite Schlagzeile direkt darunter heraus. „Traurige Entwicklung: Einige Fans immer radikaler“ titelte der Bundeliga Kommentar im Sportteil.

Dahinter wollte man in Braunschweig offenbar nicht zurückstehen, schließlich ist die Stadt keine graue Maus mehr. So musste dann ein Brandartikel auf der Titelseite des Blattes dafür sorgen, dass man in Braunschweig in Tuchfühlung ist mit dem Gang der Weltgeschichte. Neben diesem Bericht füllte im Lokalteil ein weiterer ausführlicher Artikel über das Wüten der Eintracht-Fans eine halbe Seite der Zeitung und – gewissermaßen als Leitkuh der Kampagne – stürmte wieder einmal der unvergleichliche Ralph-Herbert Meyer mit einem Kommentar auf Seite 4 der Herde seiner Mitschreiber voran. Gefährlicher noch als die legendäre Al Kaida sind sie, die Eintracht-Fans, muss man denken, denn: „Von Braunschweiger Fans kann immer und überall Gewalt ausgehen.“ – befand Meyer, und beschrieb die „Hässliche Fratze“ der Eintracht aus „ungezügelten übergriffen“, „bösen Ausschreitungen“, …

Was sollte, was soll diese Art von sensationsheischendem Schmierenjournalismus, fragt man sich – weil es eben auch kein Einzelfall ist?

Auf den Fall einer anderen seltsamen thematischen Häufung und leitmotivhaften Bündelung soll hier noch kurz verwiesen werden. Eigentlich kann es ja nur ein Zufall sein, aber wenn so Zufälle sich häufen?

Auf der Frontseite des Lokalteils der Braunschweiger Zeitung vom 27. Januar 07 stand (neben „Flughafengegnern“ und „Mordverdächtigen“) gewissermaßen als Vorspiel zu Schlimmerem die Schlagzeile: „82-Jährige bei Raub verletzt – Jugendlicher entreißt Rentnerin die Handtasche“. Im Inneren des Lokalteils dann (unter dem grabschändenden Wüten von Orkan Cyrill, der das Grab Gerstäckers beschädigte): „Als falscher Polizist alte Menschen bestohlen – … Opfer auch aus Braunschweig.“

Direkt daneben dann Emotionen, die ins Bild passen, Schlagzeile: „Seniorenrat äußert sich empört“. Und wen trifft die – angesichts dieser Untaten nur allzu verständliche – Empörung des Seniorenrates hier? Diejenigen, die alte Menschen berauben, sie betrügen, ihnen die Handtaschen entreißen? Nein, sie trifft einen wohl noch schlimmeren Unhold, sie trifft – finale furioso: Matthias Witte.

Zufall?

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