Von Fabian Scheidler in der „Wochenzeitung„
Während zur Eindämmung von Covid-19 so gut wie jedes Mittel recht war, ist in Bezug auf die Klimakrise seit vier Jahrzehnten so gut wie nichts geschehen. Ein Essay über eine strukturelle Schizophrenie.
Nur gut zehn Jahre nach dem Finanzcrash von 2008 hat die Coronakrise erneut zu einer gewaltigen Erschütterung der globalen Ökonomie geführt, mit einer Rezession, die sogar gravierender ausfallen könnte als die der Weltwirtschaftskrise von 1929. Die langfristigen politischen Konsequenzen sind noch gar nicht absehbar. Und obwohl die Ursachen dieser Krisen sehr verschieden sind, ist ihnen doch gemeinsam, dass sie die Verwundbarkeit und zunehmende Instabilität der gegenwärtigen Weltordnung zeigen.
Der Zusammenhang zwischen Pandemien und der rasant voranschreitenden Zerstörung der Biosphäre ist dabei ein zentraler Aspekt: Bereits seit den siebziger Jahren sind immer häufiger neue und zum Teil tödliche Erreger aufgetreten, die sich dank eines globalisierten Güter- und Personenverkehrs rasch um die Erde verbreiten. Dazu gehören HIV, die Ebola- und die Zikaviren, die Erreger von Vogel- und Schweinegrippen sowie verschiedene Typen von Coronaviren wie das Sars-Virus und Sars-CoV-2. Etwa 75 Prozent dieser neuen Krankheiten stammen von Tieren – etwa zwei Drittel von wild lebenden Tieren und ein Drittel von Tieren aus der Massentierhaltung.
Wie ein schlafender Drache
Bereits mit Beginn der Sesshaftwerdung und vor allem mit der Entstehung der ersten städtischen Zivilisationen vor 5000 Jahren hat die Tierhaltung der Menschheit eine Reihe von neuen Krankheiten beschert – darunter Masern und Tuberkulose (von Kühen), Keuchhusten (von Schweinen) und Influenza (von Enten). Einen Teil dieser Krankheiten konnten Impfungen und Antibiotika im Laufe des 20. Jahrhunderts eindämmen. Doch mit der Ausbreitung der industriellen Landwirtschaft und dem Einpferchen von Milliarden von Nutztieren auf engstem Raum hat sich eine Brutstätte für Krankheiten entwickelt, die sich zunehmend jeder Beherrschung entziehen. Weiter