Gesundheitssystem am Limit – Aufstand der Pflege gemeinsam mit Zivilgesellschaft notwendig!

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Am 12.5. ist der internationale Tag der Pflege. Die größte Gewerkschaft im Gesundheitssystem nutzt die Gelegenheit, auf die Situation in der Gesundheitsbranche in Süd-Ost-Niedersachsen zu blicken.

Corona bringt Einrichtungen an Belastungsgrenze

„Die Corona-Pandemie hat die Schwächen in unserem Gesundheitssystem offengelegt.“ So ver.di Regionsgeschäftsführer Sebastian Wertmüller. „Es fehlt an allen Ecken und Enden an Personal, die Kolleg*innen sind an der Grenze ihrer Belastbarkeit. Dauernde Unterbesetzung, Schichtarbeit, ständiges Einspringen aus dem Frei, keine Regeneration und der psychische Druck, die Arbeit aufgrund der schlechten Besetzung nicht so machen zu können, wie es notwendig wäre. Viele können einfach nicht mehr.“

Während zu Beginn der Pandemie oft das fehlende Material, wie Schutzausrüstung und Beatmungsgeräte im Fokus der Öffentlichkeit stand, war schnell klar, dass Geräte und Betten ohne fachkundiges Personal keine Leben retten. Überdeutlich wurde, dass das Finanzierungssystem der Fallpauschalen gescheitert ist. Die Kommerzialisierung der Gesundheitssystems hat zu einem Mehr an Bürokratie, der Ausgliederung ganzer Berufsgruppen und zu einer Verschlechterung der Qualität der Krankenhäuser geführt:

„Die Kosten für die für diese neoliberalen Ansätze zahlen die Beschäftigten und Patient*innen jeden Tag. Der Applaus in den ersten Tagen der Pandemie und die vielen warmen Worte der Politik reichen den Beschäftigten in der Pflege nicht,“ ergänzt Wertmüller.

Private Klinikkonzerne setzen kommunale Häuser unter Druck

In einigen Städten gibt es noch kommunale Krankenhäuser, etwa in Braunschweig, Wolfsburg, Wolfenbüttel oder Peine oder in Landeseigentum wie die Universitätsmedizin in Göttingen. Doch diese geraten – verstärkt durch die Folgen der Pandemie – aber vor allem durch schlechte Rahmenbedingungen im Finanzierungssystem immer mehr unter Druck. Das Klinikum Braunschweig steht vor einem Millionen Defizit, das Klinikum Peine musste Insolvenz anmelden, das Klinikum Wolfsburg ist defizitär und auch die UMG in Göttingen schreibt rote Zahlen.

Wertmüller: „Die Konkurrenz privater Klinikbetreiber, die am Personal sparen, Tarifflucht begehen und essentielle Bereiche outsourcen, verschärfen die Situation der Kliniken. Diese Konkurrenz geht zu Lasten der Beschäftigten und der Patient*innen. Statt der Qualität der Behandlungen rücken die Gewinnvorgaben der freien Wirtschaft in den Vordergrund.“

Vergangene und kommende Konflikte für eine gute Pflege

Im Vergangenen Jahr gab es heftige Tarifkämpfe in der Krankenhauslandschaft der Region, die zum Teil von Erfolgen gekrönt waren, zum Teil von bitteren Niederlagen. Im Seesen streikten die Kolleg*innen der Asklepios-Kliniken wochenlang für die Anwendung branchenüblicher Tarifverträge.  Die Öffentlichkeit wurde Zeuge der rücksichtlosen Politik privater Konzerne, als ganze Betriebsteile geschlossen und dutzende Kolleg*innen in Tochtergesellschaften ausgegliedert wurden.

In der Tarifrunde des öffentlichen Dienstes im Herbst 2020 wurden dagegen deutliche Verbesserungen für die Kolleg*innen in den Krankenhäusern in kommunaler Trägerschaft durchgesetzt.

Auch in den kommenden Monaten stehen Tarifauseinandersetzungen an: So die Tarifrunde beim privaten Klinikbetreiber Helios mit Einrichtungen in Salzgitter, Northeim und Gifhorn. Aber auch am großen Universitätsklinikum Göttingen werden die Beschäftigten in der Tarifrunde der Länder im Herbst für höhere Löhne und mehr Entlastung streiten.

Neben diesen tariflichen Auseinandersetzungen geht es jedoch immer wieder um die Rahmenbedingungen im Gesundheitssystem.

Das Scheitern eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrages in der Altenpflege wegen der eigennützigen Blockadehaltung der kirchlichen Träger hat gezeigt, dass es dringenden politischen Handlungsbedarf in diesem Bereich gibt. Die Parteien sollten im kommenden Wahlkampf erklären, auf welcher Seite sie stehen. Seit Monaten liegt ein Instrument zur Personalbemessung per Gesetz in den Krankenhäusern vor. Das PPR 2.0 wurde von ver.di und der deutschen Krankenhausgesellschaft entwickelt und kann schnell eine deutliche Entlastung bringen, doch die Bunderegierung blockiert. Es braucht neue politische Mehrheiten für die dringend notwendigen Veränderungen.“

Gesundheit System am Limit – Kernforderungen der Beschäftigten

  • Flächendeckende Tarifbindung. Wer sich nicht an Tarifverträge hält, darf nicht von Steuergeldern und Sozialbeiträgen profitieren.
  • Personalbemessung per Gesetz. Ein fester Schlüssel Patient*innen/Fachkräfte sorgt für Sicherheit und entlastet Pflegekräfte.
  • Ein Krankenhaus, ein Heim – eine Belegschaft. Ausgliederung von Tätigkeiten in Tochtergesellschaften oder an externe Firmen, um Löhne zu drücken, wird ausgeschlossen.
  • Für ein gemeinwohlorientiertes Gesundheitswesen. Profitmaximierung auf Kosten von Beschäftigten und Patient*innen findet ein Ende. Die Steuerung der Gesundheitsversorgung gehört in die öffentliche Hand.
  • Einführung einer solidarischen Bürger- und Pflegeversicherung um die Finanzierung des Gesundheitssystems auf neue Beine zu stellen

Wertmüller: „Es wird darum gehen, diese Forderungen der Pflege gegen die Kräfte des ‚weiter so‘ durchzusetzen. Der Druck muss so groß werden, dass die Politik nicht anders kann. Das wird nur gelingen, wenn die Betroffenen vorne weg marschieren – laut, geschlossen, stark und unermüdlich damit niemand an ihnen vorbeikommt. Nur mit einer starken Pflegebewegung aus Betrieben und der Zivilgesellschaft werden wir uns durchsetzen können.“

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