Gelbe Seiten Braunschweig 2007 – Ein ernstes Thema in heiterer Aufarbeitung

0
alt

Es ist ein hervorstechendes Merkmal der Braunschweiger Schloss-Manie, dass es eigentlich unmöglich ist, irgendein von der Stadtverwaltung verantwortetes Druckwerk aufzuschlagen, ohne mit deren sehr speziellen Sicht auf das SCHLOSS konfrontiert zu werden. Konsequent ist da die Rede vom original wiederaufgebauten Schloss, dem kulturell genutzten Residenzschloss usw. Die Zeiten, in denen es die Stadtverwaltung noch für nötig hielt, Einschränkungen zu machen, sind endgültig vorbei. Kaum glaubt man, dass es sie gegeben hat.

Und doch fiel der Stadtverwaltung ihre jetztige Sicht auf das SCHLOSS nicht in den Schoß. Noch vor gerade einmal 3 ½ Jahren beschrieb die Verwaltung genau das nun entstandene SCHLOSS schüchtern als ein zeitgenössisches Bauwerk, erstellt in zeitgenössischer Bautechnik mit […] Fassaden, die im Material und der Struktur dem Vorgängerbau entsprechen. In den nächsten zwei Jahren mutierte dann das den Planungsabsichten nach das objektiv immer gleichbleibende Bauwerk in den Augen der Verwaltung immer mehr zum Ottmerschen Originalschloss. OB Hoffmann blieb es vorbehalten, im Sommer 2006 dann endlich den glücklichen Vollzug zu melden: „Wir bauen dort tatsächlich mit der Schlossrekonstruktion das alte Schloss unter Verwendung alter Bauteile und hochwertigen Sandsteins original 1:1 wieder auf.“ Der Gipfel möglicher Realitätsverleugnung schien erklommen. Was sollte jetzt noch kommen?

Es kamen die Gelben Seiten 2007

Man schlage zunächst Seite 312 der jüngsten Ausgabe für Braunschweig auf.

‚Museen/ Sehenswürdigkeiten’ in Braunschweig lautet die Sparte, in der -mit einer Ausnahme- ausschließlich Museen und museumsähnliche Einrichtungen aufgeführt sind. Dort hält sich eigentlich erst einmal alles in dem Rahmen, den man mittlerweile von der Stadtverwaltung erwartet:

Die besagte eine Ausnahme ist natürlich -wer hätte anderes vermutet- das SCHLOSS. Natürlich steht es unter dem Namen ‚Braunschweiger Schloss’ auch an erster Stelle. Das ist sogar alphabetisch legitimiert, aber -das nur nebenbei- ich gehe jede Wette ein, dass es unter ’Residenzschloss Braunschweig’ statt unter ‚Braunschweiger Schloss’ aufgeführt worden wäre, wenn das Alphabet mit ‚R’ anfinge.

Den Text, der unter dem Stichwort ‚Braunschweiger Schloss’ steht, kann jeder Braunschweiger im Schlaf herbeten, aber er klingt so schön, dass man ihn immer wieder gern liest, warum also nicht auch in den gelben Seiten: „Im Jahr 2007, 47 Jahre nach dem Abriss, ist das Schloss mit mehr als 600 Originalteilen wiedererrichtet worden.“ Und weil man das gar nicht oft genug hören kann, macht die Stadtverwaltung einem die Freude und schreibt genau das gleiche im nächsten Satz noch einmal: „Am historischen Platz wurde das Residenzschloss der Welfen anhand alter Pläne und historischer Photos rekonstruiert.“ etc. pp.
Am Ende des Textes wird noch erwähnt, dass man plant, auch ein Schloss-Museum zu eröffnen.

Braunschweigs museales Flaggschiff also: Ein nicht-existentes Schlossmuseum, das aber so sicher und zuverlässig kommt wie die Quadriga, in einem fadenscheinigen SCHLOSS.

Aber ja, das ist alles längst bekannt, auch der eigenwillige Sprachgebrauch: Man redet ja nur so ‚als ob’ – Wir lesen wohl vom original rekonstruierten Schloss, aber wir alle wissen, was gemeint ist. Schon der Presserat stellte fest, dass sich in Braunschweig ein Sondersprachgebrauch etabliert hat und hier mit dem Begriff ‚rekonstruiertes Schloss’ mitnichten der Wiederaufbau eines historischen Gebäudes gemeint sei. Ein lustiges Spielchen also, mehr nicht.

Ist das Spiel aber wirklich so harmlos? Könnten nicht schwächere Charaktere irgendwann der Suggestivkraft des doppelbödigen Sprachgebrauchs erliegen und wörtlich nehmen, was da gesagt wird.

Und muss der OB selbst am Ende nicht der vermeintlichen Zauberkraft seiner Worte erliegen?

Er sagt: ‚Es werde Schloss’, und alle Welt -soweit sie im Rathaus wahrgenommen wird- ruft beglückt: ,Es ward Schloss!’.
Wen würde es da noch wundern, wenn die Verwaltung -und auch ihre Spitze- den Eindruck gewinnt, dass wir wieder in der Zeit leben, als das Wünschen noch geholfen hat?
Ist es also nicht nur konsequent, dass sich in den gelben Seiten des Jahres 2007 im Stadtplan auf Seite 8 das ECE- Areal erstmalig so abgebildet findet:

(Aus Urheberrechtsgründen hier statt einer Kopie des Originals nur eine Freihandzeichnung des Autors; aber schauen sie in ihren gelben Seiten 2007 nach: dies ist kein Witz!)

Hier kann es sich nicht um einen Flüchtigkeitsfehler handeln. Man kann unmöglich ‚vergessen’, dass restliche ECE-Center einzuzeichnen, wenn man in das Planquadrat des ehemaligen Schlossparks aktualisierend den Schlossgrundriss einträgt.

Welchen Zweck verfolgt aber diese offensichtlich absichtliche Falschdarstellung?
Undenkbar ist angesichts der nun Stein gewordenen Planungen, dass man die Braunschweiger damit noch täuschen will.
Die Auswärtigen wiederum sind in das Braunschweiger ECE-Theater nicht so eingeweiht, dass ihnen so ein Kartenausschnitt irgendetwas sagen würde. Zudem gibt es Indizien dafür, dass man sich auswärts nicht unnötig lächerlich machen will. Der berühmte helle Augenblick des OB.s, der Moment nämlich, als es sagte:
„Es ist natürlich nicht das alte Schloss. Das weiß doch jeder. Weder ist es komplett aufgebaut noch wohnt der Herzog drin. Es ist der Aufbau der Schlossfassade und das ist dann das Schloss. Und das andere ist die Schloss-Arkade“
fand im Rahmen eines NDR-Interviews statt, von dem der OB wusste, dass es bundesweit ausgestrahlt würde. Deutschland -das immerhin weiß die Stadtverwaltung noch genau- ist bislang nicht reif für die spezielle Braunschweiger Sicht auf die Dinge.

Warum macht man es aber dann? Eigentlich gibt es nur eine Erklärung. Die Verwaltung macht es nicht, um andere zu täuschen. Sie kann und muss niemanden mehr täuschen. Die Verwaltung macht es für sich. Man muss das verstehen: Ursprünglich wurde die Schloss-Fama in die Welt gesetzt aus einem wenn auch zynischen, so doch ganz und gar rationalen Zweck: Täuschung der Öffentlichkeit, um das ECE durchzusetzen.

Muss es aber verwundern, wenn die Verwaltung mit der Zeit ihre eigenen Lügen liebzugewinnen begann; ja selbst versucht war, daran zu glauben? Es hat sie doch keiner auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt! Die BZ -vermeintlich unabhängiges Presseorgan- bestätigte jedenfalls Tag für Tag aufs neue, dass die Welt genau so ist, wie man es sich tags zuvor im Rathaus ausgedacht hat.

Ist es da nicht naheliegend, dass man -jeden Korrektivs beraubt- langsam abglitt in den süßen Wahn des Selbstbetrugs? Muss es also verwundern, dass man nun nicht mehr bereit ist, von dem einmal so erfolgreich gesponnenen Lügengebäude Abschied zu nehmen, sondern sich die Welt auf bewährte Weise immer weiter so zurecht spinnen will?

Wer noch daran zweifelt, dass es irgendwie bedenklich knirscht im Oberstübchen der Stadtverwaltung, der erinnere sich zunächst an eines der phantastischsten Projekte der Stadtverwaltung in den letzten Jahren: den Abriss des neuen Rathauses, vom OB avisiert, um so der nicht recht in Schwung kommen wollenden Umgestaltung des Bohlwegs Dampf zu machen. Und dann schaue er in die gelben Seiten des Jahres 2007 auf die entsprechende Stelle im Stadtplan auf Seite 8:

alt

Der Grundriss des alten Rathauses ist klar herausgestellt. Aber kein neues Rathaus ist mehr da, das angrenzen würde. Nein, nein. Eine Fußgängerzone stattdessen. Vielleicht ist das ganze ein subversiver Witz eines genervten Mitarbeiters der Stadtverwaltung, der dem OB mit diesem Stadtplan eins auswischen wollte. Vielleicht.

Trotzdem kommt man so einfach nicht davon. Denn wem wollte dann der OB eines auswischen, als er die Leuchtreklame am ECE-Center mit den Worten kritisierte: „Schließlich ist das ein Schloss und kein Kaufhaus.“?

Epilog:
“Na, Ernstl? Die vom NDR hab ich aber ganz schön angeschmiert. Die glauben jetzt wirklich, unser 1:1 original rekonstruiertes Residenzschloss sei nur eine Fassade.“ wendet sich Gert Hoffmann -noch ganz aufgeräumt über seinen gelungenen Scherz- an BZ-Redakteur Ernst Johann Zauner. Dieser hakt sich kichernd beim Oberbürgermeister ein, und so gehen sie traulich vereint in den Schlossgarten. Vielleicht würden sie dort auch heute wieder den Herzog treffen.

Möchten Sie den Artikel kommentieren

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.