Vor 120 Jahren wurde Fritz Bauer am 16. Juli 1903 in einer liberal- jüdischen Familie in Stuttgart geboren. 1968 verstarb er ganz plötzlich und geriet in Vergessenheit – trotz seiner großen Leistungen, selbst seine eigene Partei, die SPD, hatte ihn vergessen.
Fritz Bauer war eine Ausnahmeerscheinung in der deutschen Justiz. Der frühere Justizminister Heiko Maas drückte es 2017 einmal so aus: „Hätte es mehr Juristen wie Fritz Bauer gegeben – die deutsche Geschichte wäre wohl glücklicher verlaufen.“
Noch vor zehn, fünfzehn Jahren kannten die meisten nicht Fritz Bauer. Seit 2010 gab es viele Bücher, Dokumentar- und Spielfilme, Gedenkveranstaltungen und Gedenkreden zu Bauer – zu Recht. Man entdeckte ihn wieder. Und es war ein Beitrag, das „gute“ Deutschland zu entdecken – einen engagierten Demokraten, der sich für Gerechtigkeit und Humanismus einsetzte.
Bekannt wurde er als Initiator des Auschwitz-Prozesses und durch die Rehabilitation der Widerstandskämpfer des 20. Juli im Remer-Prozess 1952 in Braunschweig. Später wurde bekannt, dass er auch für die Ergreifung Eichmanns gesorgt hatte.
Seine Prozesse haben der deutschen Geschichtsschreibung wichtige Impulse gegeben – sei es durch den Auschwitz-Prozess oder die Euthanasie-Prozesse in Frankfurt am Main. Die spätere Aufarbeitung der NS-Euthanasie ab den 1980er Jahren wäre ohne ihn und die bedeutende Anklageschrift von 1962 gegen Werner Heyde, dem Leiter der Euthanasiezentrale in Berlin, so nicht möglich gewesen. Überhaupt haben Juristen, eher als die Historiker, mit ihren Ermittlungen für Aufarbeitung der NS-Vergangenheit gesorgt.
Aber Fritz Bauer wollte auch Demokrat sein und war aus dem Exil in Dänemark und Schweden nach Deutschland zurückgekehrt, um seinen Beitrag zum Aufbau eines demokratischen Staatswesens in Deutschland zu leisten. Nach dem 1. Weltkrieg hatte er Jura in Heidelberg, München und Tübingen studiert und wurde 1930 Amtsrichter in Stuttgart. Er hatte eine glänzende Karriere vor sich, die mit der Machtergreifung der Nazis abrupt abbrach. 1933 wurde er aus dem Staatsdienst entlassen, verhaftet und ins Konzentrationslager Heuberg in der Schwäbischen Alb, dann ins Garnisonsgefängnis nach Ulm gebracht. 1936 emigrierte er schließlich nach Dänemark und später nach Schweden.
Nach dem Krieg wollte er am Aufbau eines neuen Deutschlands helfen. Aber man wollte ihn zunächst nicht haben. Es dauerte vier Jahre, bis er schließlich in Braunschweig mit der Tätigkeit eines Landgerichtsdirektors beginnen konnte. 1950 wurde er schließlich dort Generalstaatsanwalt. Rückblickend bekannte er. „Schon einmal war die deutsche Demokratie untergegangen, weil sie keine Demokraten besaß. Ich wollte einer sein. Schon einmal hatte die Justiz, als es galt, die Demokratie zu verteidigen, ihre Macht missbraucht, und im Unrechtsstaat der Jahre 1933 bis 1945 war der staatlichen Verbrechen kein Ende. Ich wollte ein Jurist sein, der dem Gesetz und Recht, der Menschlichkeit und dem Frieden nicht nur Lippendienste leistet.“
Fritz Bauer war in hervorragender Weise Demokrat. Immer wieder aber musste er gegen Widerstände kämpfen. Das war wie ein roter Faden in seinem Leben. „Wenn ich mein Büro verlasse, betrete ich Feindesland“ soll er mehrere Male später in Frankfurt gesagt haben, als er dort Generalstaatsanwalt war. Und trotz der Widerstände sind ihm große Leistungen gelungen.
Menschliche Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden waren für ihn ohne den Respekt vor der Würde eines jeden Menschen nicht denkbar. Das Bekenntnis des Grundgesetzes zur Unantastbarkeit der Menschenwürde ließ er an seinen Staatsanwaltschaften in Braunschweig und Frankfurt am Main in Stein meißeln.
Menschenliebe und Gerechtigkeit kommen im Bild der Braunschweiger Justitia von Bauer zum Ausdruck. Sie ist ohne Augenbinde und trägt die Menschen in ihren Händen. Fritz Bauer war immer auf der Suche nach dem Recht, wie auch sein Buch mit diesem Titel von 1966 zeigt. Die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit spielte in seinem Leben eine zentrale Rolle. Sein Vortrag von 1960 „Über die Wurzeln faschistischen und nationalsozialistischen Handelns“ erscheint wie ein politisches Testament, um die dunklen Seiten der deutschen Geschichte zu ergründen und letztlich auch Perspektiven für die Zukunft zu entwickeln.
Für Rudolf Wassermann, dem Präsidenten des Oberlandesgerichts in Braunschweig von 1971 bis 1990, glich das Gesicht Bauers „einer uralten Landschaft. Es war geprägt von Leid und Verfolgung, verriet Güte, Energie und Kontemplation… Ein streitbarer Mann, wirkte er wie ein Prophet des Alten Testaments.“
Zum Glück ist Fritz Bauer wieder entdeckt worden. Großen Anteil daran hatten Irmtrud Wojak mit ihrer Fritz Bauer Biographie von 2009 und Ilona Ziok mit ihrem großen Dokumentarfilm über Bauer im Jahr 2010. Viele Bücher und Filme sind gefolgt. Die Bauer-Biographie von Ronen Steinke und der Film „Der Staat gegen Fritz Bauer“ von Lars Kraume machten Bauer einem größeren Publikum bekannt. Eine englischsprachige Biographie wird 2024 in den USA erscheinen und zeigt, dass er inzwischen auch außerhalb Deutschlands wahrgenommen wird. In Israel gibt es in den Bergen vor Jerusalem jetzt einen Fritz Bauer Hain.
Schon 1995 war in Frankfurt ein Institut gegründet worden, das seinen Namen trägt und zum Holocaust forscht. Inzwischen sind Straßen, Plätze und Säle nach Bauer benannt, so auch in Braunschweig. Der Fritz Bauer Freundeskreis in Braunschweig gibt seit über 10 Jahren einen Rundbrief heraus, der regelmäßig über Neues zu Bauer informiert. Die Humanistische Union verleiht seit 1969 den Fritz Bauer Preis, und das Bundesjustizministerium würdigt seit 2015 mit dem Fritz Bauer Studienpreis wissenschaftliche Arbeiten zu Menschenrechten und zur juristischen Zeitgeschichte. Dieser Preis ist erst wieder vor einigen Tagen am 3. Juli in Berlin verliehen worden. Es hat sich inzwischen viel getan, um Bauer zu würdigen. Und das ist gut so.
Demokratie ist letztlich auch immer eine Frage des richtigen Maßes. Bauer war entschieden in seinem Denken und Handeln, aber fair in der Auseinandersetzung. In der Hinsicht ist er auch heute ein Vorbild – in einer Zeit, in der menschliches Auftreten und Engagement wichtiger denn je ist.