Ein Blick hinter die Schlosskulissen

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„… Säulen im Bereich der Treppenanlage zonieren den langgestreckten Raum,“ gibt Yorck Stuhlemmer (1) – in zuckersüßem Architektendeutsch – die Baubeschreibung für den Zeitschriftenlesesaal im Südflügel der Schlossfassaden zum Besten. Und weiter: „An den Wänden entsprechen der Säulenstellung Pilaster(3), so dass die Deckenfelder darauf bezogene Kassatierungen erhalten.“

Zwischen zwei Schmucksäulen ein Stück tragende Betonmauer, das weder in Lage, Größe, Form, das in keiner Weise mit den Säulen und Pilastern korrespondiert. Es ist einfach nur unförmig und hässlich. Längs gezogene Lüftungsschlitze weisen die horizontalen Deckenstreben plump als technische Versorgungsleitwerke aus. Auf das Gruseligste disharmonieren die billig antikisierenden Säulen mit der Technodecke (Stuhlemmer spricht auch von „akustisch wirksamen Decken“), die zu tragen sich die Säulen den Anschein geben. Darunter modernistische Hängelampen (6), die in keinerlei proportionalem Verhältnis zu den Feldern stehen, die sie umgeben:

Das ist nicht komisch, es ist kein Kitsch, es ist einfach nur fürchterlich … und der Gipfel: 1,2 Millionen Euro hat die Erstellung dieser „schlossähnlichen Anmutung“ gekostet.

Eine andere Ecke im auf Schlossi getrimmten Zeitschriftenlesesaal. Eine Verlegung der Leitungen in (tragende?) Wände war vielleicht nicht (mehr) möglich. Für eine schlossige Verkleidung der Leitungen haben die 1,2 Millionen offenbar nicht mehr gereicht. Formulieren wir es positiv: hier weht uns für einmal ein erfrischender Hauch von Ehrlichkeit entgegen in der Trugschloss-Attrappe, mit der Dr. Gert Hoffmann Braunschweig ein neues Herz einpflanzt, Braunschweigische Identität neu definiert.

Ein Blick auf die Treppe im Zeitschriftenlesesall, die den einzigen fußläufigen Zugang zu den Räumen von Öffentlicher Bibliothek, Stadtbibliothek, Mediothek, Kinderbücherei … etc. in den Obergeschossen abgibt, über die alle hinauf und – oft Bücher tragend – auch wieder hinab müssen. Tausende sollen da ja täglich passieren.

 

Der „Seminarraum“ mit einer besonderen schlossähnlichen Zumutung:
Pilaster sollen die Fenster umrahmen und mit Pilastern auf der den Fenstern gegenüberliegenden Wand korrespondieren. Das Einkaufzentrum brauchte wohl jeden Zentimeter für den Verkauf. So verschluckte die Rückwand mit der verräterischen Kulissentür (die so wunderfürchterlich mit den Fenstern disharmoniert) die hinteren Pilaster, so dass nur noch zwei wasserleitungsdünne Reste unter einem staubwedelförmigen Restkapitell (1) in den Ecken verbleiben.

 

Stauraum? – Bauraum, der für nichts zu gebrauchen ist, außer um ihn hochwertig anzumieten und zusätzliches Geld dafür auszugeben, den Raum auf „schlossähnliche Anmutung“ zu trimmen. Hier verweisen wir nur auf die Heizung. In schönster Architektenpoesie besingt Yorck Stuhlemmer solche technischen Errungenschaften in seiner Schlossbauanleitung: „Zur Beheizung werden im Bereich der Fenster Unterflurkonvektoren eingebaut, jeder zweite Pfeiler zwischen den Fenstern erhält eine Heizfläche, die in die Architektur integriert ist. Die Beleuchtung erfolgt über in die Decke eingebaute Einbaustrahler …“ schlossiger geht’s nimmer und, ach: „die Treppe erhält klassizistische Dekors.“ … Das hätte gerade noch gefehlt, doch dafür haben die 1,2 Millionen € wohl dann nicht mehr gereicht. übrigens, wo sind sie geblieben und wo die übrigen 2,8 Millionen €, die die Stadt zusätzlich in die dann noch teuer anzumietenden Räume investiert, und wo die Stiftungsmillionen, die auf der anderen Seite noch zusätzlich das Schlossmuseum schlossig machen sollen? Bei Hornbach, Bahr oder Praktiker, oder alles in Obi,
oder …?

An Mahnungen von dieser Seite hat es durchaus nicht gefehlt.
Vergl. dazu etwa: Disneyland im Bibliotheksfoyer? und: Architektur auf Augenhöhe oder: Bonsai-Thronsaal für den Herzog von Braunschweig?

Anmerkung:
Wie ehrwürdig und angenehm ehrlich ist doch der magistrale Historismus des Braunschweiger Rathauses im Vergleich mit dem feudalen Klassizismus dieser „Schloss“-Innenräume. Aber für das Rathaus fehlt da dann wohl doch wieder das Geld für einen neuen Anstrich nach vielleicht 30 oder 50 Jahren?

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