Dynastische Heirat – unangenehme Fragen an das Kulturmanagement

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Ein Zeitalter soll besichtigt werden – anhand einer dynastischen Heirat?

Von fürstlichen Lebensläufen und Hochzeiten lesen wir gern beim Friseur – aber eignet sich das preussisch-welfische Heiratsdatum von 1912/1913 in Braunschweig für „eine Phalanx der Auseinandersetzung mit historischen Kontexten wie Heinrich dem Löwen oder Otto IV.“, wie die Braunschweiger Zeitung vom 1. Dezember 2011 schrieb? – Hat die Stadtverwaltung ganz vergessen, dass das zu feiernde Datum keineswegs eine Epoche prägte, wie im Falle Heinrich Löwe/Otto IV., sondern im Verlauf des 1.Weltkriegs und in den Revolutionen nach 1918 mit Pauken und Trompeten unterging ? Also der politische Coup einer Hochzeit zwischen Hohenzollern und Welfen eher ein schwaches Abendrot einer vergangenen Epoche darstellt, die den 1.Weltkriege auslöste und von daher zur Abkehr von dynastischer Überschätzung einladen sollte, nicht aber zum feierlichen Begehen eines hundertjährigen Jubiläums vergangener Adelsherrlichkeit….

Wenn schon historische Jubiläumsdaten den Anlass öffentlicher Würdigung, bzw. touristischer Nutzung geben sollen, dann hätte Braunschweig durchaus Gelegenheit, sich prägender Ereignisse oder Epochen zu erinnern: Wollte man ein 150jähriges Jubiläum feiern, dann böten sich folgende Ereignisse an:

 

        Abbruch des Hoftheaters 1864

        beginnende Industrialisierung seit 1864/65

        Generalversammlung der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine 1863

        Gründung von Stadtarchiv und Bibliothek 1861 (leider gerade verpasst!)

Noch interessanter wäre es allerdings, die für die städtische Entwicklung so bedeutenden zivilisatorischen Neuerungen unter den Herzögen Karl I. (1713-1780), Karl Wilhelm Ferdinand (1735-1806)  mit einer Würdigung der Aufklärung in Braunschweig zu verbinden – es könnte sich lohnen, eine Verbindung bürgerlicher Kultur und herzoglicher Macht wieder ins Gedächtnis zu rufen, auch passende Daten für ein 200jähriges Gedenken ließen sich sicherlich finden.  

Zwar gab es 2011 ein oberflächliches Bewusstsein kultureller Zusammenhänge in Braunschweig, indem ein Flyer für das Jahr 2011 mit der Überschrift Archiv – Bibliothek – Museum in den Kulturinstitutionen herumlag, in dem aktuelle Veranstaltungen, Vorträge und Vitrinenausstellungen angezeigt wurden. Allerdings kann auf diese Weise der immer noch bestehende Reichtum der Kulturgüter durch die wohlhabenden Bürger der Stadt unter der bewahrenden welfischen Schirmherrschaft nicht ansatzweise gewürdigt werden.

Wenn jetzt wieder einmal das historische Verdienst und die Sponsorentätigkeit der Braunschweiger Bürger mit Hilfe eines längst vergessenen Events am Vorabend des 1.Weltkriegs in den Schatten gestellt wird, so stellen sich unangenehme Fragen der Öffentlichkeit an das städtische Kulturmanagement:

        Soll mit der Welfenhochzeit von 1913 die mangelnde Akzeptanz des Borek-Schlossmuseums gefördert werden, damit dessen schwindende Besucherzahlen gesteigert werden können?

        Will sich der OB Dr. Hoffmann als Förderer der Braunschweiger Welfen ins öffentliche Gedächtnis einschreiben?

        Bedarf das dynastische Bewusstsein mitsamt seinem hohlen Historismus einer Verstärkung durch ein Jubiläum in den krisenhaften Bedrohungen des 21.Jahrhunderts?

        Wo sind die Fachleute, die Historiker, die Interessierten, die bereit sind, sich in die Diskussion um das dynastische Gedenken von 1913 einzumischen?

        Welche Kooperation will das Kulturdezernat der Stadt stiften, von dem es in der BZ vom 1.Dezember gesprochen hat?

 

 


Kommentare   
 
-1 #1 Ingeborg Gerlach 2011-12-09 11:15
Gisela Hartwieg hat Recht, für „bürgerliche“ Traditionen besteht wenig Interesse bei der Stadtverwaltung . Im Übrigen könnte noch ein „Großereignis“ auf uns zukommen: „Der vergessene Feldzug“. Die Römer hatten nämlich nach der Varus-Schlacht (9 n. Chr.) doch noch nicht die Nase voll, sondern führten im Jahre 14 n. Chr. einen Feldzug, der sie bis in die Nordheimer Gegend brachte, wo sie dann eine Niederlage erlitten. Da sich für diesen Feldzug kein Tacitus fand, der ihn beschrieb, blieb er „vergessen“, bis ihn die Archäologie wieder ans Licht holte. Um ihm die nötige Publizität zu verleihen (schließlich war es der Endsieg über die frech gewordenen Römer) , soll er mit einer Landesausstellung begangen werden, die dem Vernehmen nach in Braunschweig stattfinden soll. Das wird bestimmt nicht billig, und weil die Stadt bekanntermaßen sparen muss (siehe Stegemann in der BZ vom 8.12), wird das Geld garantiert an anderer Stelle gespart.

 
 

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