Die Großregion – Wie die BZ ihren Lesern einredet, wie sie sie finden sollen

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Eine ganze Weile war es still um die Großregion Braunschweig, die unser Ex-NPD-Oberbürgermeister Dr. Gert Hoffmann doch so gerne hätte, und der er selbstverständlich als Präsident gerne vorstünde. Gerne würde er um Braunschweig herum liegende Landkreise und kreisfreie Städte eingemeinden, um, wie er sagt, „konkurrenzfähig“ zu bleiben. In Konkurrenz zu wem, fragt man sich, aber das ist ein anderes Thema. In den betroffenen Landkreisen und kreisfreien Städten reagierte man mit Ablehnung, ganz deutlich. Einzig Wolfsburgs Oberbürgermeister Rolf Schnellecke nickte und meinte, dass man darüber gerne einmal nachdenken könne.

Nun führte die Braunschweiger Zeitung erneut ihr „Pulsmesser“ durch, eine „repräsentative“ Leser-Umfrage. Am Samstag, 10. Mai, veröffentlichte die BZ die Ergebnisse dieser Umfrage. Und erläuterte sie für alle die, die Grafiken nicht lesen können. Ein Jubelartikel ist daraus geworden. „Plan in großen Städten beliebter als in Kreisen“, heißt es in der Unterzeile auf der Titelseite. Eine grünliche Grafik gibt preis: „Wie gut kommt die Idee der Großregion bei den Bürgern an?“ Im „Braunschweiger Land“ titelt die BZ: „Welche Vorteile die Bürger sehen“, drum herum acht Politikerköpfe mit Ankreuzkästchen dafür, dagegen und egal. Als erstes natürlich ein Foto von Hoffmann, der als Ideengeber selbstverständlich dafür ist, gefolgt vom Befürworter Schnellecke. Ein drittes Mal taucht das Thema im Lokalteil auf, wo Ehrenbürger Gerhard Glogowski, der Hoffmann einiges verdankt, beispielsweise die Ehrenbürgerschaft, sich mit einer Befürwortung der Großregion revanchiert. Auch hier zieren Grafiken den Text.

Auf den ersten Blick also grünes Licht für den Super-Gau. Allerdings hält die BZ-Jubelstimmung den eigenen Grafiken und Texten nicht stand.

Titel:

„34 Prozent der Menschen würden eine Großregion begrüßen.“ Ist das ein Grund zum Jubel? Kaum, denn einen Satz weiter heißt es: „56 Prozent der Bürger stehen dem Vorschlag […] hingegen ablehnend gegenüber.“ Sollte da die Stimmung in der Berichterstattung nicht weniger euphorisch ausfallen?

Weiter: „Besonders gut kommt die Idee bei den Bürgern in Salzgitter und Braunschweig an […].“ Kein Wunder: Alle anderen Lokal-Ausgaben der Braunschweiger Zeitung berichteten recht deutlich, welche ablehnende Meinung welcher Politiker zu dem Thema hat. Allein die Braunschweiger Leser blieben, wie so oft, uninformiert, und bekamen lediglich die Jubelreden des Herrn Hoffmann abgetippt.

Letzter Satz: „Unterdessen haben sich in der Region die Bürgermeister der Städte Bad Harzburg, Clausthal-Zellerfeld, Gifhorn, Goslar, Helmstedt, Peine, Seesen und Wolfenbüttel zusammengeschlossen, um ihre Interessen gemeinsam besser zu vertreten.“ über diese Interessen lässt uns die BZ jedoch im Unklaren – könnte es sein, dass es sich um das große Interesse handelt, nicht zur Großregion Braunschweig zusammengeschlossen zu werden?

Der Artikel schließt mit vier Spiegelstrichen, die zusammengefasste Meinungen zur Großregion wiedergeben sollen. Gleich der erste sagt, dass alle Landräte dagegen seien. Laut viertem Punkt erwarten die Bürger keine persönlichen Vorteile davon. Die anderen beiden muss man wieder lesen können. Punkt zwei: „Viele Bürger in den Städten finden: Die Großregion ist wichtig für die Wirtschaft. In den Landkreisen sind die Menschen skeptischer.“ Wie viele Bürger in den Städten finden das? Das steht nicht dort, sondern im Lokalteil bei den Grafiken. Da sind es nämlich 52 Prozent der Braunschweiger, die das finden, und 44 Prozent, die „Ablehnung“ ankreuzten. In den Landkreisen ist die Verteilung beinahe genau umgekehrt: 45 Prozent stimmten zu, 52 Prozent lehnten ab. Ist das noch Jubel? Jedenfalls ist es nicht verwunderlich, dass Menschen in Braunschweig weniger Angst um ihre Wirtschaftssituation haben als Menschen in den entlegendsten Regionen ihrer großen Landkreise. Letzter, hier dritter Punkt: „Etwa jeder zweite meint: Eine Großregion ist gut für eine effiziente Verwaltung“. Genauso ungelogen hätte man, nimmt man erneut die Grafiken des Lokalteils zur Hand, schreiben können: „Etwa jeder Zweite sieht Nachteile“. Zustimmungen und Ablehnungen sind hier nämlich ähnlich verteilt wie beim vorherigen Thema: 58 Prozent der Braunschweiger meinten das, 36 Prozent nicht; 51 Prozent der Landkreisbewohner meinten das, 43 Prozent nicht. Es liegt also am Berichterstatter, wie das grafisch deutliche Ergebnis gefärbt sein soll.

Zuletzt die grüne Grafik: von Hell- nach Dunkelgrün ist in verschiedenen Kreisen und Städten die Zustimmung zur Großregion, die die BZ bei ihren Lesern erfragte, abgebildet. Hellgrün für wenig, Dunkelgrün für viel Zustimmung. Helmstedt leuchtet am hellsten, Salzgitter und Braunschweig sind stockdunkel. Dazwischen ranken Gifhorn und Wolfsburg als zweitdunkelste sowie Peine und Wolfenbüttel als zweithellste. Sieht nach Jubel aus, ist es aber nicht: Dunkelgrün steht für „über 40 %“ Zustimmung – also unter 50 Prozent, weniger als die Hälfte. Die anderen Grüntöne verteilen sich auf „30 – 39 %“, „20 – 29 %“ und „0 – 19 %“. Das heißt, dass zusammengerechnet gerade mal ein Viertel der Befragten für die Großregion gewesen sein kann. Jubel!

Braunschweiger Land:

„Die Großregion-Idee ist […] auch unter den Bürgern höchst umstritten.“ Aha! Aber auch dieser Artikel spielt wieder Meinungsverschiebend mit Begriffen wie „Mehrheit“, „optimistischer“ oder „positiv“. Beim Lesen wird doch so deutlich wie beim Betrachten der Grafiken, dass den „Positiv“-Stimmen nahezu immer gleich viele „Negativ“-Stimmen gegenüber stehen. Einzig die Frage nach dem „persönlichen Vorteil“ fällt eindeutig aus: 79 Prozent sagen „nein“. Welche Frage wiederum fehlt beziehungsweise welchen Umkehrschluss das möglicherweise zulässt: „Bringt Ihnen die Großregion persönliche Nachteile?“

Die BZ-Leser sollten sich einmal die Politiker-Meinungen genauer durchlesen. Am häufigsten taucht ein Thema auf, das besonders Bewohnern entlegener Gebiete der potentiellen Großregion interessiert: Bürgerferne, verloren gehende Bürgerfreundlichkeit, dezentrale Ansprechpartner. In Braunschweig plagen die Bürger solche Gedanken nicht, schließlich ändern sich die Wege kaum, wenn die Großregion erst durchgesetzt ist. Warum wiederum nur ist Schnellecke dafür? Ist er das überhaupt? Er sagt: „Ich begrüße […], dass Anstöße gekommen sind, die alle Verantwortlichen zum Nachdenken auffordern.“ Genau das sollten sie auch tun: nachdenken.

Jörg Röhmann, Landrat aus Wolfenbüttel, spricht noch einen ganz anderen Aspekt an: „Zurzeit schlagen einige besonders starke Persönlichkeiten ihre Machtpflöcke ein […].“ Genau: Worum geht es Hoffmann denn wirklich? Um, wie er in seinem Textbeitrag sagt, die „Herausforderungen der Zukunft“, die „wir“ (er und wer noch? Pluralis Majestatis?) nicht mit veralteten Strukturen bewältigen können? Um „geschlossene Stärke“ als „Wirtschaftsregion“? Oder ganz schlicht um: Macht? Geld? Persönlichen Vorteil?

Lokal-Teil:

Die BZ lässt Glogowski zahlreiche Bedenken zerstreuen, die denkende Bürger haben könnten: Verwaltungswege werden nicht länger, – tja, und das war’s dann auch schon. Der Rest bezieht sich auf die Regionalbahn und eine fehlende Verwaltungskammer. Ach nein, zum Schluss sagt er: „Es geht um Zukunftschancen, um bessere Infrastruktur, mehr Ansiedlungen von Wissenschaft und Wirtschaft, um mehr Arbeitsplätze.“ Ach so, das zerstreut natürlich die Bedenken der Bürger, die sich bitteschön nicht so haben sollen. Habt doch mehr Vertrauen in Eure Politiker, die wissen schon, was gut für sie ist. Äh, also für die Bürger.

Nimmt uns das die Vorbehalte, lässt uns das jubeln? Nein. Insofern sind die überschriften und ist die unterschwellige Tendenz der Berichterstattung unangebracht bis irreführend. Schreibt’s doch bitte deutlich so, wie es sich darstellt: Die Bürger wollen keine Großregion, Hoffmann steht alleine da. Das tut er nicht nur in diesem Bereich, aber eines Tages wird er das schon merken. Und dann liegt es an uns, zu jubeln.

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