Von Jürgen Tallig
Höchste Zeit für eine sozial-ökologische Sammlungsbewegung und eine echte Wahlalternative
Der westliche Traum vom ewigen Wachstum geht in Flammen auf, nicht nur in der Traumfabrik Hollywood, und erweist sich als realitätsfernes Hirngespinst, das in Kriege, weitere Naturzerstörung und in die Klimakatastrophe führt.
1,6 Grad war es zu warm im neuen Rekordjahr 2024,- die erste rote Linie zur Klimakatastrophe ist somit schon überschritten, aber jeder wurschtelt einfach weiter vor sich hin,- im Großen wie im Kleinen.
Dabei geht es tatsächlich immer schneller Richtung „Klimahölle“ (Gutteres). 0,3 Grad erwärmte sich Deutschland im Jahr 2024. Das bedeutet möglicherweise in den nächsten 10 Jahren eine weitere Erwärmung von 3 Grad, noch zusätzlich zu den 2,7 Grad mehr, die Deutschland jetzt schon erreicht hat (Daten laut Tagesschau vom 30.12 2024). Dann wird es hier sehr, sehr ungemütlich.
Doch wen kümmert es,- offenbar niemand! Die CDU verkündet, wie sie das Wachstum ankurbeln will, desgleichen die SPD und auch die GRÜNEN, die laut Habeck sogar die Rüstungsausgaben fast verdoppeln wollen. Die AfD und das Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW) sind erfolgreich, obwohl sie die Überlebensfrage der Menschheit, die Klimakatastrophe, leugnen oder als nebensächliches Problem behandeln.
Keiner will ernsthaft das Klima retten! Ja, sind wir denn im Irrenhaus? Ganz offensichtlich!
Die LINKE und alle progressiven Kräfte in der Gesellschaft, auch in der SPD und bei den GRÜNEN sind jetzt in der Verantwortung für eine gesellschaftliche Mobilisierung gegen das drohende Abdriften in eine Vielfachkatastrophe. Es braucht eine laute, klar vernehmliche Stimme der Vernunft gegen den allgegenwärtigen Wahnsinn des „weiter so“, gegen Aufrüstung und Kriegseskalation, gegen rechtspopulistische Manipulierung, gegen die eskalierende Klimakatastrophe. Es braucht eine progressive Gegenmacht gegen eine absehbare konservativ-reaktionäre Mitte-Rechts-Front, die die Klimakrise leugnet und Kriegsabenteuer plant.
Eine sozialökologische Sammlungsbewegung
für Frieden, Klimaschutz, Demokratie und soziale Gerechtigkeit ist nötig, mit der Zielstellung:
Abrüsten, Umverteilen, Konzernmacht begrenzen, Demokratie und Gemeinschaft stärken, Klima schützen, Lebensgrundlagen erhalten.
Eine Linksfront wie in Frankreich möglicherweise, eine handlungsfähige, progressive grün-rot-bunte Einheitsfront gegen die Rechtsverschiebung, den Demokratieabbau, die Klimaignoranz.
Eine wiedererstarkte, sich weit öffnende Neue Linke könnte organisatorisches und strukturelles Rückgrat solch einer neuen Bewegung sein und ihre noch vorhandenen Potentiale einbringen und so auch ihre eigene Krise und Stagnation überwinden.
Es braucht eine neue Bündnispolitik auf der Höhe der Zeit, einen kraftvollen Neubeginn, eine Politik der offenen Hand.
Dem zunehmend technofaschistischen Wachstumsprojekt gilt es ein relevantes Bündnis für das Leben entgegenzustellen, das zumindest den Versuch unternimmt, die Zukunft und die Lebensgrundlagen zu sichern. Die Zusammenhänge zwischen Konzernmacht, fossilem „Weiter so“, Aufrüstung, Reichtum und Armut und Naturzerstörung müssen vermittelt werden, konkrete glaubwürdige Alternativen müssen breit popularisiert werden.
Es braucht dringend eine sozialökologische/ökosozialistische Alternative, die die Macht- und Wachstumsfrage neu stellt und neu beantwortet.
Fünf programmatische Säulen eines Bündnisses
Ich sehe fünf programmatische Säulen und Handlungsschwerpunkte für eine sozialökologische Sammlungsbewegung, die noch detaillierter auszuarbeiten wären:
Frieden
konsequente Friedens- und Abrüstungspolitik, Stärkung von UNO und OSZE;
Dreifache Abrüstung:
Militärisch, energetisch, ökonomisch. Die Politik der Gewalt und der Macht beenden,- den Krieg untereinander und gegen die Natur beenden.
Soziale Gerechtigkeit
Soziale Gerechtigkeit/Reichensteuer/ Vergesellschaftung/ Sozialökologische und ökosozialistische Umstrukturierung der Wirtschaft.
Klima- und Umweltschutz
Konsequenter Klima- und Umweltschutz, ökologische Rettungspolitik für die Erde, das Klima, die Biosphäre,- ist nicht ein Klimanotstand nötig!? Siehe hierzu meinen Artikel im jüngsten „Raben Ralf“:
Fossile Subventionen umlenken, z.B. für kostenlosen ÖPNV, Verteuerung von Energie und Rohstoffen, wirksame CO2-Steuer, gerechte Lastenverteilung für die ökologischen Wende.
„Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten!“ Sie müssen zur Kasse gebeten werden!
Demokratisierung
Demokratisch nicht legitimierte Sonderinteressen und informelle Machtstrukturen, wie die des Großkapitals, der Großkonzerne müssen demokratischer Kontrolle unterworfen, eingegrenzt und entmachtet werden.
Notwendig ist eine demokratische Reform des Politischen Systems, z.B. die Schaffung eines Ökologischen Rates, eines Oberhauses, das die gegebenen natürlichen Grenzen, den ökologischen Rahmen einbringt und durchsetzt und eine basisdemokratische Stärkung von Bürgerräten.
Solidarität:
mit den kommenden Generationen, mit den Armen, mit dem Süden, mit unterdrückten Völkern. Wir brauchen eine Gesellschaft, die friedlich, gewaltfrei, solidarisch ist,- diese hohl gewordenen Worte gilt es wieder mit Leben zu erfüllen. Dies erfordert nicht nur eine Kulturrevolution, sondern eine Revolution der Besitz- und Machtverhältnisse.
Die LINKE, oder besser eine linksökologische, friedensbewegte Sammlungs- und Bürgerbewegung, hätte mit diesen fünf Prinzipien ein Alleinstellungsmerkmal in der politischen Landschaft!
Frieden, Klimaschutz, Demokratisierung, soziale Gerechtigkeit und Solidarität,- das gibt es bei keiner anderen Partei, da werden nicht mal zwei dieser Ziele/ Grundsätze gleichzeitig vertreten.
Das Versagen der LINKEN
Wenn die lohnabhängige Bevölkerungsmehrheit keinen progressiven gesellschaftlichen Grundkonsens mehr bewahren kann und zunehmend nach rechts driftet, dann trägt auch die bisherige linke Führung eine wesentliche Mitverantwortung für den Erfolg der Reaktion.
Es wird keine linke Alternative wahrgenommen und kommuniziert,- die Zusammenhänge zwischen Konzernmacht, fossilem „Weiter so“, Aufrüstung, Reichtum und Armut und Naturzerstörung werden nicht vermittelt, konkrete, glaubwürdige Alternativen nicht deutlich gemacht.
Doch wer selbst nicht versteht, dass man erst den Planeten erhalten muss, bevor man Gewinn machen und soziale Umverteilungskämpfe führen kann, wer sich nicht öffnet für Neues und neue Bündnisse und vor allem defensiv agiert und nicht offensiv begeistert und gemeinsame Auswege anbietet, der erreicht die alternativen Mehrheiten in der Gesellschaft nicht und verhindert eine progressive linksorientierte politische Alternative (siehe Frankreich).
Es steht zu befürchten, dass sich das noch bitter rächen wird.
Linke Politik muss mehr sein, als nur besitzstandswahrende, gewerkschaftsnahe Arbeitnehmerpolitik und das Streben nach Regierungsbeteiligungen,- das reicht nicht.
Man könnte sagen, es zeigte sich in der LINKEN eine ängstliche Profillosigkeit und ein beständiger vorauseilender Opportunismus, der es sich vor allem mit ev. künftigen Koalitionspartnern nicht verderben wollte und beständig Loyalität bekundete, um ja bloß „dazu zu gehören“.
Doch es gibt schon genug, die dazu gehören.
Damit hat sich die LINKE letztlich selbst überflüssig gemacht. Und wird selbst in ihren östlichen „Stammlanden“ inzwischen als „Systempartei“ wahr genommen. Die „Kümmerer- Partei“ war nützlich im Osten, wo ihre Klientel inzwischen aber einfach wegstirbt, hat aber gesamtdeutsch nie ein klares Profil entwickelt, z.B. ein ausgereiftes, detailliertes sozialökologisches Zukunftsprogramm.
Dafür ist es jetzt allerhöchste Zeit, wenn die LINKE politisch überleben will und wenn es eine handlungsfähige, progressive grün-rote Einheitsfront gegen die Rechtsverschiebung und Militarisierung der Gesellschaft und gegen die Ignoranz angesichts der Klimakatastrophe geben soll.
Das Versagen der GRÜNEN und der SPD
Drei entscheidende Jahre im Kampf gegen die Klimakatastrophe wurden einfach verspielt.
Die sogenannte „Fortschrittskoalition“ hat eine ernstgemeinte sozialökologische Transformation nicht einmal versucht und da war nicht nur die FDP dran schuld. Die Ampel hat sich von der fossilen und politischen „Konterrevolution“ vor sich her treiben lassen. Und statt die Politik zu verändern, haben sich die GRÜNEN selbst zur Unkenntlichkeit verändert. Die Einbindung der GRÜNEN in die Regierung diente nur der Entschärfung der systemsprengenden Dimension einer wirklichen sozialökologischen Wende und verhinderte so möglicherweise die letzte Chance für die notwendige Große Transformation.
Die GRÜNEN haben progressive und ökologische Positionen preisgegeben und die Interessen der Jugend und der kommenden Generationen verraten,- worauf die Jugend reagierte.
Gerade die Erstwähler und die jungen Wähler wenden sich inzwischen enttäuscht von der einstigen Friedens- und Klimapartei ab. Von 34% bei den Jungwählern bis 26, wie noch bei der letzten Europawahl, stürzten die Grünen bei der jüngsten Europawahl auf etwa 11% ab.
Ende September 2024 erklärte der zehnköpfige Vorstand der Grünen Jugend, der Jugendorganisation der GRÜNEN, seinen Austritt aus der Partei…, Vorstände der Landesverbände folgten.
Nicht wenige sehen nunmehr in der LINKEN eine neue politische Heimat. Die LINKE sollte sie mit weit offenen Armen empfangen. In Berlin wollen inzwischen 27 % der Jungwähler die LINKE wählen und auch bundesweit geht es laut Umfragen mit der Linken wieder aufwärts, auf derzeit 6-7 %.
Auch in der SPD gibt es an der Basis eine große Unzufriedenheit mit der Klimapolitik der Partei und der Regierung und erheblichen Widerstand gegen die Politik der Aufrüstung und der militärischen Eskalation.
Die Ampelregierung missachtete eindeutig internationales und nationales Recht zum Klimaschutz und entsprechende Gerichtsbeschlüsse, aber auch die im Grundgesetz festgeschriebene Friedenspflicht und spielte in beiden Bereichen mit dem Feuer. Die progressiven Sozialdemokraten und Grünen sollten einen Aufbruch und einen Ausbruch aus der Parteidisziplin im Falschen wagen. Die Zeit scheint reif für etwas Neues, für eine soziale und ökologische Alternative für Klimaschutz, Frieden und soziale Gerechtigkeit.
Die Entwicklungen in Frankreich zeigen, was kurzfristig möglich ist, wenn man es denn ernsthaft will und entschlossen handelt. Es kann nicht sein, dass die einst progressive Jugend zunehmend in der AfD die Alternative sieht.
Welche Gesellschaft und welche Wirtschaft wir brauchen und wollen, das ist eine Frage, die angesichts der Klimakatastrophe und der Kriegsgefahr neu entschieden werden muss!
Es gilt, eine breite Öffentlichkeit zu erreichen und zu überzeugen, dass eine andere, bessere Welt nicht nur immer dringender nötig wird, sondern auch möglich ist und wie diese Welt aussehen könnte. Statt weiter an die Klimaschutzunwilligen und wirtschaftsfreundlichen Parteien zu appellieren, wäre eine neue offene LINKE und Wahlalternative für entschlossenen Klimaschutz auf die Beine zu stellen, um die derzeitige Alternativlosigkeit zu beenden. Eine wirkliche ökologische Wende und wirklichen Klimaschutz kann es nur gegen die Großkonzerne geben, sie erfordert letztlich eine weitgehende Entmachtung des fossil-mobil-militaristischen Machtkomplexes in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.
Ein Bündnis für das Leben
könnte eine neue politische Heimat für viele enttäuschte (Ex-) Grüne und für viele enttäuschte friedensbewegte (Ex-) SPD ler sein. Hier sind auch die ÖDP, die Tierschutzpartei, all die großen Umweltverbände, die Klimabewegung u.a. zur entschlossenen Mitwirkung aufgefordert.
Das wäre wohl auch die einzige realistische Chance für die LINKE (Aktion Silberlocke ist doch Kinderei), die ÖDP und die Klimabewegung und all die anderen, eine Vertretung der progressiven Kräfte in den Bundestag zu bekommen und der Stimme der Vernunft Gehör zu verschaffen,- also die 5 Prozent-Hürde zu überspringen. Das sollten sich alle Angesprochenen und Interessierten gut überlegen! Notwendig wäre so etwas, wie ein Historischer Kompromiss, -nunmehr angesichts der Klimakatastrophe und eines drohenden 3.Weltkrieges-, der das Gemeinsame betont und das Trennende zurückstellt. Die neue Sammlungsbewegung sollte gemeinsam mit Klima, Umwelt, 3.Welt, Alternativ- und Friedensbewegung, Künstlern, Linken aller Couleur, mit der Wissenschaft, mit Kirchen, Gewerkschaften und Verbänden ein breites Bündnis für eine gesellschaftliche Alternative bilden. Die bisher zersplitterten progressiven Kräfte sollten gemeinsam eine geistige und letztlich natürlich auch eine politische Hegemonie in der Gesellschaft anstreben, eine Alternative für das Leben und dafür Druck machen.
Dass die LINKE für die Klima- und Umweltbewegung natürlicher Verbündeter und möglichst auch politische Heimat sein sollte, versteht sich (noch nicht) von selbst, sollte aber so sein.
Doch es geht um weit mehr,- die LINKE selbst muss sich grundlegend verändern und die Hinzukommenden nicht nur als (wohl)gelittene Gäste, Wahlkampfhelfer und „Stimmenbringer“ betrachten, sondern als Gleichberechtigte, mit denen gemeinsam der Aufbruch zu einer neuen Partei und Bewegung erfolgt, die sehr viel „grüner“ sein muss, die das ganze Land meint und die über eine gesellschaftliche Alternative nicht nur redet, sondern diese wirklich durchsetzen will. Dazu braucht es viele gute und kluge Köpfe aus der SPD, von den Grünen, aus der ganzen Gesellschaft.
Eine Neue Linke, die sich in alle Richtungen weit öffnet und die zersplitterten progressiven Kräfte endlich vereint, könnte eine reale Wahlalternative zu den etablierten, von Wirtschafts- und Lobbyinteressen vereinnahmten, politischen Strukturen bieten.
Hier sollte die LINKE schnell initiativ werden und zu einer Bündniskonferenz einladen um noch eine klare Wahlempfehlung für die neue LINKE zu erreichen und den Verbündeten dafür gute Listenplätze einräumen. Letzte Gelegenheit! Diese Chance kommt vielleicht nicht wieder…
Für einen solchen Aufbruch ist es jetzt allerhöchste Zeit,- es braucht ein starkes links-grün-alternatives Gegengewicht in der Gesellschaft, an dem nicht einfach so vorbei regiert werden kann.
Vertiefend findet sich Einiges auch in meinem Artikel zur Bundestagswahl 2021 „Aufbruch 21 – Eine Alternative für das Leben“, der in der Tarantel 91/92 veröffentlicht wurde.
Jürgen Tallig, Februar 2025
Dieser Beitrag, der bereits vor der Bundestagswahl erstellt wurde, ist eine erweiterte Fassung des Artikels „Bündnis für das Leben“, der gerade in der Februar/März- Ausgabe des „Raben Ralf „ erschienen ist und den wir mit freundlicher Genehmigung des Autors veröffentlichen dürfen. Ein weiterer Artikel Jürgen Talligs, der im Braunschweig-Spiegel erschienen ist, beschäftigt sich mit Krieg und Klimakatastrophe.
Der Autor war Mitbegründer des Neuen Forums in Leipzig und hat zahlreiche Artikel zu Klima und Klimapolitik veröffentlicht, 20 Artikel finden sich hier: https://raberalf.de/archiv/juergen-tallig