Braunschweig und sein Schuldenberg: Was sagt „Die FRAKTION“?

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Foto: Uwe Meier

16 Jahre sind es her, dass in der Stadt massiv gestritten wurde wie sinnvoll es ist, die Stadtentwässerung zu privatisieren. Man sprach von einem „Haushaltswunder“, das der damalige Oberbürgermeiter Dr. Hoffmann durch die Privatisierung angeblich geschaffen hat.

Die damals geschlossenen Verträge zur Abwasserprivatisierung laufen im Jahr 2035 laufen aus. Nun hat die Verwaltung im Finanzausschuss am 2. Februar des Jahres mitgeteilt, dass für die dann vorzunehmende Rückübertragung eine Summe von 600 bis 800 Millionen Euro aufzubringen sein wird. Der 2005 amtierende Oberbürgermeister hatte dagegen eine Summe von 215 Millionen Euro veranschlagt, die „z. B. mittels Bank-Kredit“ erfolgen könne; der Rückerwerb und seine Finanzierung würden gebührenneutral zu bewerkstelligen sein (Schreiben an die Fraktion Die Grünen vom 15.11.2005). Die nun von der Verwaltung genannten Zahlen ergeben offenbar ein gänzlich anderes, unserer Meinung nach für die Stadt Braunschweig eher bedrohliches Bild.

Der Braunschweig–Spiegel möchte über die damit verbundene große Herausforderung informieren und gleichzeitig Vorschläge der Rats-Fraktionen vorstellen, auf welche Weise sie das Problem sinnvoll angehen möchten. Wir hatten dazu eine Reihe von Fragen an die Fraktionen geschickt mit der Bitte, diese zu beantworten.

Nachfolgend dokumentieren wir hier die Antworten von Udo Sommerfeld (Die FRAKTION):

Vorbemerkung von Udo Sommerfeld:

Die Verwaltung hat nicht am 02.02.2023 mitgeteilt, „dass für die dann vorzunehmende Rückübertragung eine Summe von 600 bis 800 Millionen Euro aufzubringen sein wird“. Vielmehr gab es bereits im Juli 2020 eine Beschlussvorlage (Vorlage 20-13613) wo es im Sachverhalt heißt:

„6.2 Finanzierung des Anlagevermögens

Aufgrund der vorgesehenen Erhöhung des Planbudgets erhöht sich auch der am Vertragsende zu erwartende Rückübertragungswert des während des Privatisierungszeitraumes neu geschaffenen Anlagevermögens. Auf Basis der bisherigen Regelungen wird derzeit von einem Rückübertragungswert in Höhe von etwa 400 – 500 Mio. € brutto ausgegangen. Durch die zusätzlichen Investitionen könnte sich der Rückübertragungswert aus derzeitiger Sicht auf bis zu 800 Mio. € brutto erhöhen. Auch wenn dies für den Gebührenhaushalt ohne Bedeutung ist, führt es zu einem höheren Finanzierungsrisiko am Vertragsende.“

Am 2. Februar ist nicht die Verwaltung auf die Vorlage aus 2020 eingegangen sondern der Ausschussvorsitzende Frank Flake (SPD).

Zu dieser Vorlage gibt es ein umfangreiches Protokoll der Vorberatung im damaligen Bauausschuss am 30.06.2020. Das Protokoll habe ich beigefügt. Hinweis: Die damalige Linksfraktion hat die Vorlage abgelehnt.

Ende der Vorbemerkung

Frage 1: Wie hat sich Ihre Fraktion damals (2005) in der Abstimmung über das Abwassergeschäft
verhalten ?

2005 existierte keine der 3 Parteien die unsere Ratsgruppe bilden. Ich war als einzelmandatiertes Ratsmitglied für die PDS im Stadtrat und habe der Privatisierung (natürlich) nicht zugestimmt.

Frage 2: Wie beurteilen Sie aus heutiger Sicht die damalige Begründung der Stadt für den Abwasservertrag, er würde die Stadt schuldenfrei stellen und dafür sorgen, dass sowohl die Stadt als auch die Bürger langfristig von diesem Vertrag profitieren würden?

Die Begründung zur Notwendigkeit der Abwasserprivatisierung war reine Propaganda und schon 2005 falsch. Es ist aber auch nicht richtig, dass der damalige OB Dr. Hoffmann und die ihm angeschlossenen Fraktionen aus CDU und FDP mit der Abwasserprivatisierung die Schuldenfreiheit erreichen wollten. Dieses Argument wurde wesentlich bei der Zerschlagung und Privatisierung unseres Stadtwerke-Unternehmens (BS Energy) angeführt. Auch hier handelte es sich allerdings um reine Propaganda.

Frage 3: Halten Sie im Nachhinein diesen Vertrag – ganz oder teilweise – für einen Fehler?

Dieser Vertrag war von Beginn an ein Fehler und ist dies auch im Nachhinein vollumfänglich geblieben.

Frage 4: Angesichts der nun für Ende 2035 angekündigten 600 – 800 Millionen Euro an Rückkaufwerten aus 30 Schuldverschreibungen: Wie plant Ihre Fraktion die Gefahr eines Zahlungsverzuges für das Jahr 2035 abzuwenden?

a. Soll die Endschuld dann direkt abgelöst werden?
b. Soll eine Anschlussfinanzierung durch Umschuldung erreicht  werden?
c. Was sollte in der Zeit bis 2035 vorbeugend getan werden?
d. Sind durch den drohenden Schuldenberg schon jetzt aktuelle Projekte (z.B. Sanierung Stadthalle, Neubau Musikschule mit Konzertsaal, Klinikum) gefährdet?

Die Abwasserprivatisierung ist nicht das einzige Problem. So tragen außer uns, alle Fraktionen, von BIBS bis CDU, die Schulprivatisierung in PPP-Form mit. Außer uns waren alle Fraktionen, von BIBS bis CDU, für die Privatisierung der Stadthallensanierung- und Unterhaltung, die vollständig gescheitert ist. Das führt zu massiven Problemen, die von der Kommune nicht beherrschbar sind. Deshalb und weil die kommunale Hoheit auf Banken und Konzerne übertragen wird, sind wir ja gegen die Privatisierung der kommunalen Daseinsvorsorge.

Was den weiteren Umgang mit den Folgen der Abwasserprivatisierung angeht, erwarten wir von der Verwaltung so schnell wie möglich eine ehrliche Abwägung der Alternativen, um einen langfristig planbaren Weg einschlagen zu können. Die Expertise sowie die personellen Ressourcen, um für dieses Problem eine tragbare Lösung zu finden, können nur von der Stadtverwaltung bereitgestellt werden.

Außerdem erwarten wir, dass für zukünftige Großprojekte, bspw. die in der Frage genannten, von derartig desaströsen Finanzierungspraktiken Abstand genommen und aus der Vergangenheit gelernt wird. Heute sollte allen Verantwortlichen klar sein, dass wir uns ein solches Vorgehen zukünftig nicht mehr leisten werden können. Die genannten aktuellen Projekte sind, sofern nicht wieder auf ähnliche Privatisierungsmodelle zurückgegriffen wird, nicht per se gefährdet.

3 Kommentare

  1. > So tragen außer uns, alle Fraktionen, von BIBS bis CDU, die Schulprivatisierung in PPP-Form mit.

    Das ist so nicht richtig. Auch die Direkten Demokraten sprechen sich in Programmen und Überzeugungen für eine Rekommunalisierung und gegen PPP in jeder Form aus. Allerdings gab es Piratenpartei und BASIS 2005 auch noch nicht.

  2. Was mich immer sehr irritiert:
    zum Einen das Propaganda-Gerede mit „Linke koennen nicht wirtschaften“ oder „der Staat ist so teuer“,
    und zum Anderen: PPP ist ja meist teurer fuer die SteuerzahlerInnen als normal. Wer verdient da dran auch noch? Leute mit ‚guten Kontakten‘?

  3. PPP folgte auf die ein wenig übersichtlicher gestrickte Privatisierung; Ziele waren im wesentlichen identisch.

    Geschäftsgeheimnisse reichten immer weiter und wurden immer restriktiver – mit schwer absehbaren, dafür um so nachteiligeren Folgen für die Rechtssicherheit und Rechtsklarheit.

    Im Zweifelsfall entscheiden privatwirtschaftlich organisierte Schiedsgerichte über Streitfälle – mit eindeutiger Chancenverteilung zu Lasten der öffentlichen Hand.

    Gleichzeitig wurde die vorgebliche Interessengemeinschaft zwischen Staat und Konzernen mit einer immer ausgefeilteren Ideologie beschworen – entsprechende Folgen werden immer noch mangels Lerneffekten klaglos hingenommen, natürlich auch in BS:

    Bei vorher aus guten Gründen noch nie zugelassenen mRNA-Produkten wurde ebenfalls alles der PPP-Logik unterworfen
    und zwar im weltweiten Maßstab.

    Forschungsgelder ohne Rechenschaftspflicht wurden von der EU eingesammelt und verschenkt (Geberkonferenz)
    Die effektive Vermarktung wurde von Staat organisiert, bezahlt
    und juristisch / exekutiv durchgesetzt.
    Für die Privaten entfielen sowohl die Schadenshaftung als auch
    Marketing, Vertrieb (weitgehend, da Mega-Grossauftrag ohne Wettbewerb), grosse Teile der Lagerkosten, Bonus-Gelder für Ärzte und Krankenhäuser als auch das Bearbeiten unwilliger Teile der Bevölkerung mit juristischen Zwangsandrohungen und darüber hinaus. Alles kostenlos für die Konzerne – nichts konnte die privaten Gewinne schmälern.

    Wirtschaftliche Konzentrationsprozesse werden erst an ein Ende kommen, wenn der politische Wille dafür vorhanden ist- doch der fehlt.
    Fleissig wird an der Übernahme staatlicher Strukturen weiter-
    gearbeitet, die nur noch Dienstleistungs- und keine grundlegenden Steuerungsfunktion mehr besitzen und damit das Wahlvolk grundlegend ignorieren.
    In diesem Sinne wurde mittels „Covid“ eine neue Stufe des Gehorsams und des Demokratieverlustes gegenüber korporatistischen Eliten eingeübt

    Manchem (z.B. Nichtwähler) wird es egal sein – bei der wenig Vertrauen erweckenden Interessenausrichtung, die der Staat gegenüber den Untertanen vertritt.

    Die Hoffnung auf ein wenig gemeinschaftsdienlichen Sachverstand hat bei den vielen Resignierten nur noch Seltenheitswert…

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