Bericht aus Bumsdorf XII

0

Die 70er Jahre gingen ihrem Ende entgegen, als meine Eltern auf die unglückselige Idee kamen, mich in einen Sommerurlaub zu entführen. Sie packten mich, die Badehosen und meine jüngste Schwester (die anderen beiden blieben verschont und zu Hause) in den Mittelklassewagen und fuhren mit uns nach Damp 2000 an der westdeutschen Ostsee. Hier gab es ein ganz spezielles Urlaubsfeeling, den besonderen Kick, denn Damp 2000 war neu und modern, der Ort war innerhalb kürzester Zeit aus dem Boden gestampft worden. Ein beschaulicher Hafen mit Fischerbooten? Eine gemütliche Altstadt mit Seefahrerromantik? Alles unnötiger Quatsch. Hier gab es die knallharte Erholung ohne irgendwelchen traditionellen Schnickschnack.

Leider war dies der schlechteste Sommer seit Menschengedenken und so saßen wir zwei Wochen lang in dieser Retortenstadt fest, in einem dreieckigen Haus hockend, während der Regen auf das Dach pladderte. Die meiste Zeit über spielten wir eine der 327 Varianten des Kartenspiels „11er“ raus, stritten uns über die Spielregeln und hofften, dass das Martyrium bald ein Ende haben möge. Auch ein Ausflug nach Sylt und ein Besuch des Schwimmbades brachten nicht die gewünschte Abwechslung. Was nützt das auch alles, wenn doch die Eltern dabei sind, die einem schon zu Hause auf die Nerven gehen, wo man ihnen aber wenigstens ausweichen kann. Hier dagegen waren wir ihnen und ihrer schlechten Laune schutzlos ausgeliefert.

Unsere Erzeuger hatten auch ein Einsehen und brachen den Urlaub vorzeitig ab. Meine beiden älteren Schwestern gerieten angesichts des in die Einfahrt einbiegenden Autos in Panik, denn wie sollten sie so schnell die betrunkenen und sonst wie benebelten Jugendlichen aus dem Partykeller, dem Kinderzimmer, dem Elternschlafzimmer und der Badewanne herausbekommen? Nun, sie schafften es natürlich nicht in den paar Minuten und ich kann mich nicht mehr en detail daran erinnern (habe es wohl verdrängt, um meine kindliche Seele zu schützen), wie meine Eltern reagierten, als sie bemerkten, dass ihr Lebenswerk (das Eigenheim!) zerstört worden war von einem Mob Halbstarker.

Essenvorräte gab es auch nicht mehr, von Getränken ganz zu schweigen, ja, sogar das zurückgelassene Haushaltsgeld war gestohlen und vermutlich in Haschisch angelegt worden, hatte sich also in Rauch aufgelöst. Und das Treppengeländer drohte noch Monate später, endgültig von der Wand abzufallen, bis mein Vater es endlich wieder befestigte. Im nachhinein konnte nicht mehr geklärt werden, welcher von den „langhaarigen Bombenlegern“ für diese Zerstörungsaktion verantwortlich gewesen war, uns kleineren Kindern diente es jedoch als Mahnung, nicht jedem dahergelaufenen Hardrock-Fan unbegrenzt Vertrauen zu schenken – jedenfalls solange, bis wir selbst in dem entsprechenden Alter waren.

Wohl unnötig zu sagen, dass dies der letzte gemeinsame Urlaub mit meinen Eltern war und dafür bin ich auch sehr dankbar! Stattdessen bekam ich jetzt am Anfang des Sommers immer eine Dauerkarte für die „Badeanstalt“, womit ich alles hatte, was das Herz begehrte: nämlich viel Wasser und einen riesigen Rasen, der „Liegefläche“ genannt wurde. Die folgenden Sommer waren auch wieder angenehm temperiert, die Sonne schien und brutzelte freundlich auf uns herab, Sonnenbrand gab’s trotzdem noch nicht, denn das Ozonloch befand sich noch in der Bauphase.

———————————————————————————————–

Mehr von Braunschweiger Autoren in der
Bumsdorfer Gerüchteküche – Braunschweigs leckerste Lesebühne
Donnerstag, 5. Juni, 20:00 Uhr,
Kaufbar im DRK-Sprungbrett, Bolchentwete 1, Braunschweig

Wie jeden Monat findet auch im Juni wieder die Bumsdorfer Gerüchteküche statt. Diesmal haben sich die Stammköche den Küchengast Frank Schäfer eingeladen, der aus seinem jüngst erschienenen „Episoden-Roman“ „Generation Rock“ lesen wird. Das musikalische Rahmenprogramm wird von dem Singer/Songwriter-Duo Rob’n’Rol bestritten. Literatur, Satire, Slam Poetry und Musik live, mit Axel Klingenberg, Marcel Pollex, Daniel Terek, Frank Schäfer und Rob’n’Rol.

Möchten Sie den Artikel kommentieren

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.