Von Ines Richlick
Der Versammlungsleiterin einer Demonstration vom 18.3.2023 war mit Bußgeldbescheid vom 28.6.2023 vorgeworfen worden, einer beschränkenden Verfügung der Braunschweiger Versammlungsbehörde zuwidergehandelt zu haben. Das sah das Amtsgericht Braunschweig in der Hauptverhandlung vom 23.1.2024 schon allein wegen der fehlenden Begründung einer konkreten Gefahrenprognose anders und stellte das Verfahren gemäß § 47 Abs. 2 OWiG ein [5 OWi 703 Js 58409/23 (144/23)].
Auf der Demonstration sei ein Frontbanner von 5 m Breite statt der verfügten max. 3 m getragen worden und einige Transparente seien unerlaubterweise aneinandergeknotet gewesen, hatte die Versammlungsbehörde der Versammlungsleiterin im Nachhinein vorgeworfen und wollte dies mit einem Bußgeld im mittleren dreistelligen Bereich ahnden lassen. Die Bußgeldstelle erließ daraufhin ein Bußgeld in Höhe von 100,- €. Dagegen richtete sich der Einspruch der Betroffenen.
Verteidiger Moritz Müller kritisierte, dass die beschränkende Verfügung keine erforderliche konkrete Gefahrenprognose enthielte und somit rechtswidrig sei. Ferner habe es zuvor klärende Kooperationsgespräche gegeben und die Betroffene habe die Beschränkungen auf der Versammlung verlesen. Des Weiteren habe sie dafür gesorgt, dass die Transparente entknotet wurden. Anstatt aber vor Ort auf die Betroffene wegen der Vorhaltungen zuzugehen, habe die Verwaltung nachträglich Fotos des vermeintlichen Unrechts präsentiert.
Richterin Pia Genius merkte an, dass hier allein der Versammlungsleiterin die Verantwortung zugeschrieben werde, obwohl sie die Auflagen verlesen habe.
Der als Zeuge geladene Sachbearbeiter der Versammlungsbehörde sagte aus, dass die Versammlung friedlich verlaufen sei und es auch keine weiteren Beanstandungen gegeben habe. Auf Nachfrage führte er aus, dass die Betroffene schon öfter Versammlungen angezeigt und geleitet habe, bei denen es nie Probleme gegeben habe. Auf die Vorhaltung, dass es der Verfügung an einer konkreten Gefahrenprognose mangele, stattdessen aber nur von einer abstrakten Gefahr ausgegangen worden sei, antwortete der Zeuge, dass diese Verfügungen grundsätzlich derart erlassen würden, egal, wer die Versammlung anmelde. Hinter den Transparenten könne man sich schließlich versammeln, um Straftaten zu begehen und z. B. Gegenstände zu werfen oder Pyrotechnik zu zünden.
Richterin Genius hielt dem Zeugen vor, damit alle Versammlungsteilnehmenden unter Generalverdacht zu stellen, denn Straftaten könne man schließlich überall begehen. Beschränkungen müssten aber sachlich begründet sein. Zudem müsste man in diesem Fall einen möglichen Verstoß gegen Versammlungsauflagen auch explizit der Versammlungsleiterin zurechnen können.
Der Zeuge konnte nur vorbringen, dass laut Polizei irgendwann einmal etwas passiert sein müsse. Deswegen würden die Beschränkungen generell so erlassen. Weitere Konkretisierungen konnte er nicht vornehmen.
Rechtsanwalt Müller bemängelte an der Verfügung insbesondere den ausdrücklichen Verzicht auf eine vorgeschriebene konkrete, individuelle Gefahrenprognose und verwies dabei u. a. auf den Beschluss des VGH München vom 13.9.2023 (10 CS 23.1650) laut dem unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit beim Erlass von versammlungsrechtlichen Beschränkungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose gestellt werden dürfen. Sie ist auf konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte zu stützen, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben.
Richterin Genius fasste zusammen, dass die gesamte Verfügung nicht bei den Akten liege, ebenso wenig die Empfangsbestätigung, es keine konkrete, sondern nur eine sehr abstrakte Gefahrenprognose gäbe, es im Vorfeld Kooperationsgespräche gegeben habe und die Versammlung friedlich verlaufen sei. Zudem hätte es auch im Vorfeld keine Hinweise auf drohende Straftaten gegeben. Die abstrakte Gefahr des Missbrauchs von Transparenten sei für eine derartige Versammlungsbeschränkung nicht ausreichend.
Daher sähe sie keine Veranlassung zur Verhängung eines Bußgeldes und schlug die Verfahrenseinstellung gemäß § 47Abs. 2 OWiG und § 467 Abs. 1 StPO i. V. m. § 46 OWiG vor mit Tragen der Kosten und Auslagen durch die Landeskasse.
Die Diskrepanz der angeblichen Tatzeit des 16.3.2023 bei Durchführung der Versammlung am 18.3.2023 wollte die Richterin wegen der Angreifbarkeit ungern zum Thema eines Freispruches machen.
Nach Beratung mit seiner Mandantin verkündete Rechtsanwalt Müller die Zustimmung zur Verfahrenseinstellung. Die Entscheidung ist somit, im Gegensatz zu einem Urteil, nicht mehr anfechtbar.
Um welche der Demos die an diesem Tag stattfanden gehts dabei?
https://www.braunschweiger-zeitung.de/braunschweig/article237927267/Polizeiaufgebot-in-der-Braunschweiger-Innenstadt-Das-war-los.html
Hallo Corinna,
betroffen war die Demo „Solidarity wins – Gemeinsam gegen die Kriminalisierung von Antifaschismus“.
Viele Grüße
Ines