Aegidienmarkt: Ungenutzt, ungeliebt, und schon kaputt

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Wildkraut, Müllcontainer, Betonquader: Für 1,7 Millionen Euro Steuergeld hat das Stadtbauamt aus dem Aegidienmarkt eine seelenlose Steinwüste gemacht. Das jahrhundertealte historische Kopfsteinpflaster wurde rausgerissen. Biodiversität? Fehlanzeige. Foto: Klaus Knodt

Dabei dürfte es den Aegidienmarkt gar nicht mehr geben

Die Stadt spendierte Zuckerwatte für die Kinder, Bier für das Volk und zur Erbauung spielte ein Leierkastenmann. Mit viel Pomp und schönen Reden von einer eigens errichteten Bühne herab weihte Stadtbaurat Heinz-Georg Leuer vor zwei Jahren den für 1,7 Millionen Euro neu gestalteten Aegidienmarkt ein.

Inzwischen ist viel Gras über den Aegidienmarkt-Umbau gewachsen, und ab und zaghaft auch das eine oder andere Un- bzw. Wildkraut. Es spriesst hervor aus den Ritzen zwischen den neu verlegten Pflastersteinterassen, schlängelt sich empor an den brutalistischen Zementblöcken, die als Sitzbänke dienen sollten, und sonnt sich im Schatten der gräulichen Normpapierkörbe und Müllcontainer, die von ortsansässigen Gastronomen nun mal irgendwo hingestellt werden müssen.

Schäbig, ungepflegt, defekt. Unkräuter suchen sich zwischen den seelenlosen Betonklötzen ihren Weg ans Licht. Die Lichtbänder in den „Freisitzen“ funktionieren nur noch sporadisch. Foto: Klaus Knodt

Dabei dürfte es den Platz in seiner jetzigen Form gar nicht mehr geben. Denn er stellt exakt das dar, was der Rat der Stadt in seiner letzten Sitzung auf Antrag der CDU privaten Häuslebauern in Lamme und Rautheim verboten hat: Eine „befestigte Fläche“, die eigentlich „entsiegelt“ gehört. Zum Wohl der „Biodiversität“ und als Habitat für Bienchen, Schmetterlinge, Wildkräuter und Co.

Einen „neuen, urbanen Anziehungspunkt für die südliche Innenstadt“, hatte Stadtbaurat Leuer bei der Einweihung der langweiligen Steinwüste versprochen. Man habe Wert gelegt auf eine „hochwertige Ausführung“ der Baulichkeiten. LED-Lichtbänder sollten den Platz, für den über 30 Parkplätze geopfert wurden, des Abends festlich „illuminieren“.

Draus geworden ist nichts. Die Parkplätze sind weg und die Lichtbänder leuchten nur temporär. Sogar das Wort „sporadisch“ bietet sich hier an. Die Baulichkeiten verfallen jetzt schon: Die Sitzauflagen der Bänke aus billigstem Baumarkt-Holz haben ihre ersten zwei Winter nicht überstanden. Einige sind aus der Verankerung gerissen, andere durchgebrochen, gesplittert oder verformt. „Man darf da nur drauf sitzen, wenn man eine Jeans oder schwarze Hose an hat“, sagt Maria (34). „Ich mache hier nur Pause, weil man in der Fussgängerzone noch weniger Plätze hat, um mal auf eine Mail zu antworten.“

Schon marode: Die „hochwertigen Sitzmöbel“ auf dem Aegidienmarkt haben nicht mal zwei Winter überstanden. Sie bilden einen öden Betongarten, den die Stadt ihren eigenen Bürgern jetzt verbietet, weil sie plötzlich ihr Herz für die Artenvielfalt entdeckt hat. Foto: Klaus Knodt

Der Lärm, die öde Aussicht auf vier Autospuren und zwei Straßenbahngleise sowie die Abholzung des „Platzbegleitgrüns“ haben aus dem Aegidienmarkt eine Steinwüste gemacht, gegen die manch politisch verfemter privater „Schottergarten“ geradezu naturnah anmutet. Die zwei tapfer durchhaltenden Gastronomen müssen ihre Gäste an Tischen auf klar abgegrenzten Grandflächen platzieren, wo sie ohne Hecken oder eine kleine Efeu-Laube dem zweiminütlichen Ampelsprint eiliger Wolfenbütteler/Innen ausgesetzt sind. Stadtplanung, bitte setzen. Herr Leuer, bitte abtreten. Man kann nur hoffen, dass dieser „Experte“ nicht auch noch den Hagenmarkt umgestaltet.

Auf der östlichen Fläche des Aegidienmarkts sollten mal „Kinder spielen“. Tatsächlich schuf die Stadt hier eine öde Brache ohne Aufenthaltsqualität und viel zu dicht an der vierspurigen, abgasbelasteten Stobenstraße. Für Bienchen und Schmetterlinge ist schon gar kein Platz. Foto: Klaus Knodt

Angesichts solcher Bausünden, die sich aber nahtlos in die Abholzung der grünen Lunge Schosspark (beschlossen von CDU und FDP) zugunsten einer fünf Fussballfelder großen Shopping-Mall inclusive „Betonsteinwüste“ drumrum einfügen, stellt sich die Frage: Wie ernst darf man einen Rat und eine Stadtverwaltung eigentlich noch nehmen, die just in Zusammenarbeit mit dem Julius-Kühn-Institut (JKI) das „Vorreiterprojekt Bienenstadt Braunschweig“ ausgerufen hat? Mit viel Tamtam („Bienen“-Stück im Jungen Staatstheater, wissenschaftlichen Arbeitstreffen, medialer Begleitung sowie Sponsorensuche) und städtischen Eigenmitteln in Höhe von 1,2 Millionen Euro? Das sind stadtweit gerade mal zwei Drittel der Summe, die man allein für die Betonisierung des Aegidienmarkts ausgegeben hat. Auch hier drängt sich ein Wort auf, und das lautet „lächerlich“. Und ein bisschen Zähneklappern vor den Wahl- und Umfrageerfolgen der GRÜNEN umtreibt die GenossInnen und UnionistInnen im Stadtrat wohl auch.

Bleibt zum Schluss die Frage: Wo ist eigentlich das jahrhundertealte, historische Kopfsteinpflaster des Aegidienmarkts geblieben? Hat man das unterderhand verscheuert oder (aus Dummheit) einfach weggeworfen? Der Braunschweig-Spiegel hat die Stadtverwaltung zu diesem Thema schon vor einem Jahr um Stellungnahme gebeten. Die Antwort steht bis heute aus.

3 Kommentare

  1. Auch die Radfahrer haben ein Problem damit. Der getrennte Geh- und Radweg wurde zu einem gemeinsamen Weg umgestaltet. Die Fußgänger laufen jetzt überall und behindern Radfahrer. Vor dem Umbau gab es keine Falschparker im Weg, nun stehen Pkw, Sprinter oder sogar mal Sattelschlepper drauf.
    Herzlichen Dank an die besonders fähigen Planer und die Verwaltung der „Fahrradstadt“ Braunschweig.

  2. In der Verwaltung fehlen Mut und wohl auch Übung, die Dinge anzupacken, zu ändern und sich von alten Idealen zu verabschieden. Da kommt bei Umbauten auch nur wieder Braunschweig raus. Beispiele aus den letzten Jahren gibt es genug, eine wohnliche Stadt sieht anders aus.

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