„Das Schloss ist auch ohne Quadriga ein Schloss“

0

Wir führten hier am 21.06.08 ein Gedankenspiel aus: Gemäß § 946 BGB müsse die Quadriga umgehend in das Eigentum der Credit Suisse übergehen, sobald sie auf dem Podest über der Schloss-Fassade befestigt ist, denn, einmal mit dem Baukörper verbunden, würde sie zum Teil desselben und das Eigentum der geschäftstüchtigen Eidgenossen erstreckte sich dann über den ganzen Baukörper auf alle dessen Glieder, auch auf die neu eingegliederten, auch über die Quadriga.

Dagegen wendet „Credit-Suisse-Schloss“-Mieterin Anja Hesse in der Braunschweiger Zeitung vom 28.06.08 nun ein, dass dies nur der Fall sei, wenn nach einer Trennung die Einzelsachen nicht mehr „für sich brauchbar“ wären. „Das Schloss, so Hesse, sei aber auch ohne Quadriga ein Schloss.“

Das soll hier Anlass sein, das „Schloss“, um das es geht, noch einmal zu beschreiben. Es handelt sich um ein großes, zusammenhängendes Bauwerk, das verschiedene Funktionen beherbergt, die innerhalb des Gebäudes räumlich voneinander abgegrenzt sind, so wie etwa in einem Wohnhaus durch innere Wände ein Arbeitszimmer getrennt ist von einem Schlafzimmer oder ein Klo von einer Küche.

In der Braunschweiger Adelsherberge paart sich hinter dem Schaustück einer Schlossfassade im fröhlich-sportlichen Körperkontakt Kommerz und Kultur mit parkenden Autos: durch Wände getrennt, über Türen und Treppen, Aufzüge, Rolltreppen und Rampen miteinander verbunden.

Die „Brauchbarkeit“ (Hesse) des Braunschweiger Schlossbaukörpers fächert sich auf in die räumlich voneinander abgesetzten folgenden Funktionen:
– Einzelhandel und Gastronomiebetriebe brauchen den Braunschweiger Schlossbau um ihre Konsum-Produkte zu verkaufen (das Kaufschloss)
– Anfahrende Kunden brauchen den Braunschweiger Schlossbau als Abstellplatz für ihre motorisierten Fahrzeuge (das Parkschloss)
– Bibliotheken, Kulturinstitut und Stadtarchiv brauchen den Bau zum Verteilen und Vermitteln von Informationen und Informationsträgern (das Kulturschloss)
– Davon unterscheidbar wird die rekonstruierte Fassade des Braunschweiger Schlossbaus „gebraucht“ zur Vermittlung eines adligen Status getragen von Luxus, imposanter Macht und erhabener Schönheit entwickelt aus dem Gleichmaß idealer Proportionen (das Schauschloss, oder auch Prunk-, Schmuck-, oder Zierschloss).

  • Selbstverständlich ist das Kaufschloss auch ohne Quadriga noch brauchbar als Kaufhaus zum Einkaufen und Kaffeetrinken. Das Kaufschloss bleibt Kaufschloss, auch wenn man die einmal angebrachte Quadriga wieder entfernen würde.

 

  • Selbstverständlich ist das Parkschloss auch ohne Quadriga noch brauchbar als Parkhaus. Das Parkschloss bleibt Parkschloss, auch wenn man die einmal angebrachte Quadriga wieder entfernen würde.

 

  • Selbstverständlich ist das Kulturschloss auch ohne Quadriga noch brauchbar zur Bücherausleihe, zum Recherchieren in historischem Quellenmaterial und zum Besuch kultureller Veranstaltungen. Das Kulturschloss bleibt Kulturschloss, auch wenn man die einmal angebrachte Quadriga wieder entfernen würde.

Anders verhält es sich aber mit der Brauchbarkeit der Schlossfassade für ein Schauschloss. Auf der im Geiste des platonischen Vollkommenheitsideals entworfenen, wohlproportionierten klassizistischen Schlossfassade lastet der Makel der Unfertigkeit und Unvollständigkeit, wenn das Podest über der Fassade leer bleibt, ohne Quadriga, die für eine „originalgetreue“ Fassadenrekonstruktion sicherlich nicht beliebig austauschbar ist mit irgend einem anderen Gefährt.

Für das Wesentlichkeitsmerkmal der Fassadenbestandteile gilt nach Othmar Jauernig (BGB-Kommentar § 94), dass es „Gleichgültig ist, ob die Einfügung vom Zweck erfordert oder Luxus war.“ Entscheidend für wesentliche Bestandteile ist vielmehr, dass der Baukörper „ohne sie … noch nicht fertiggestellt ist.“ Wesentlich ist „die bauwerkprägende Ausstattung“ der Gebäude, wesentlich sind Teile, die, „da besonders angepasst, mit dem Baukörper eine Einheit bilden.“

Und Helmut Heinrichs (Palandt, BGB-Kommentar § 94) betont: „Auch überflüssiger Zierrat wird wesentlicher Bestandteil, Ausstattungen und Einrichtungen aber nur dann, wenn sie dem Baukörper besonders angepasst und deswegen mit ihm eine Einheit bilden.“ Das ist aber bei Quadriga und Schlossfassade eindeutig der Fall, das Podest als solches und komplexe statische Verstärkungen sind eigens angebracht und eingerichtet, um die Quadriga dort und nur dort aufnehmen zu können und schließlich auch aufzunehmen.

Die Quadriga trägt – einmal aufgesetzt – definitiv entscheidend und prägend zum Gesamteindruck der Schlossfassade bei. Die Quadriga kann auch nur dort, über der Schlossfassade, die ihr eigene Wirkung entfalten. Anderen Orts, wo sie nicht „hingehörte“, ginge das nicht.

Nach weiteren Überlegungen verabschieden wir uns von der Vorläufigkeit eines bloß mutmaßenden Gedankenspiels und legen uns hiermit auf eine Behauptung fest:
Einmal auf das Fassadenpodest aufgesetzt und damit in das Gesamtgefüge der Fassadendetails aus Sandsteinsäulen, -sockeln und -platten, Statuen, Reliefs und Wappen eingegliedert, wird die Quadriga definitiv zum wesentlichen Bestandteil der rekonstruierten klassizistischen Schaufassade des Braunschweiger Ottmer-Schlossbaus.

Daraus folgt aber weiter: „Mit der Verbindung, genauer mit dem Eintritt des Verbindungserfolgs, geht das Eigentum über, und zwar zum Zeitpunkt des Eintritts des Verbindungserfolgs … Zu diesem Zeitpunkt erlischt das Eigentum an der früheren beweglichen Sache und das Eigentum am Grundstück erstreckt sich auf den Bestandteil. Der Rechtserfolg ist endgültig und wird durch spätere Trennung nicht wieder aufgehoben.“ (Friedrich Quack in Rebmann, BGB-Kommentar, § 946), d. h.: wenn nicht besondere Vorkehrungen getroffen werden, wird die Quadriga, einmal aufgesetzt, genau zu dem Zeitpunkt, zu dem die Stadt Braunschweig die Quadriga von der Borek Stiftung als Geschenk überreicht bekommt, zum

Eigentum der Credit Suisse Asset Management Immobilien Kapitalanlagegesellschaft mbH

Auch wenn sich die umtriebigen Manager der Credit Suisse zugleich mit der Schlossfassade nun auch die Quadriga in ihr aufnahmebereites Einkaufssäcklein stecken können – kostenlos, freigiebig gesponsort von der Stadt Braunschweig und nun auch von der Borek-Stiftung – der Stadt wird dennoch nicht alles verlorengehen: Kosten für Unterhaltung und Renovierung der Quadriga werden schon an ihr hängenbleiben.

Möchten Sie den Artikel kommentieren

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.