Zukunftsperspektiven der postfossilen Stadt

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Im Haus der Wissenschaft der TU fand am Di, 18.01. eine Podiumsdiskussion mit vorherigen Kurzreferaten der fünf eingeladenen Gäste statt.

Als Veranstalter stellte zuerst Prof. Stephan Rammler (HBK, Institut für Transportation Design) die Frage nach einer anderen Art der Mobilität. Um die Denkweise für eine andere Art der Mobilität zu begründen, nannte er – frei nach Helmut Schmidt – vier kulturelle Transformationsprozesse, die uns vor gewaltige Herausforderungen stellen werden:

  1. Die Zunahme der Weltbevölkerung
  2. Religiös-fundamental motivierte Kriege
  3. Den Klimawandel mit seinen Folgen
  4. Den Umgang der Politik mit Ressourcen

Rammler wirbt für eine Änderung der Region durch Strategien gelingenden Lebens.

Der ebenso rhetorisch begabte Prof. Mönninger (HBK, Geschichte und Theorie der Raum- und Baukunst) stellte einige Flächennutzungspläne der Stadt Braunschweig ab 1945 vor. Er hob hervor, dass 50% der zersiedelten Fläche in Braunschweig Verkehrsflächen sind. Das verwundert auch nicht, da der Städtebau in Verbindung mit der Zersiedelungspolitik die Wirtschaftskraft schlechthin im 21. Jahrhundert darstellte. Es wurde eine so genannte Konsumstimulanz geschaffen durch den Bau von Vororteigenheimen bevorzugt für den gehobenen Mittelstand (BS-Lincolnsiedlung).

Prof. Uwe Brederlau (TU Braunschweig, Institut für Städtebau und Landschaftsplanung) stellt ebenfalls ein Szenario bestehend aus drei Aspekten vor:

  1. Explosionsartiger Zuwachs des Städtebaus in den letzten Jahren
  2. Die Verknappung der Rohstoffe (es gibt Prognosen nach denen der Peakoil schon im Jahre 2010 überschritten wurde)
  3. Die Phänomene des Klimawandels

Brederlau wünscht sich angesichts dieser Fakten ein Weiterdenken innerhalb der Gesellschaft. Solch ein Weiterdenken würde zu einem Umbau der Stadt Braunschweig führen.

Prof. Johannes Fiedler (ebenfalls vom Institut für Städtebau und Landschaftsplanung) stellt die Hypothese „unser Wohlstand basiert auf der Nutzung der fossilen Mobilität“ in den Raum. Aufgrund dieser Nutzung lässt sich der Verlust an räumlichen Strukturen beklagen. Durch das hohe Verkehrsaufkommen in der City Braunschweigs ist der Anreiz, mit dem Fahrrad in die Innenstadt zu fahren oder zu Fuß zu gehen, gleich Null.
Die extensive urbane Landschaft würde es bspw. in Wien nicht zulassen, mit dem Auto zur Arbeit oder in die Oper zu fahren, da es keine Vorteile bringt. Auf dem Weg zur postfossilen Urbanität müssen wir uns von der Idee einer Funktionalisierung der Räume verabschieden, denn nur dieser Weg wird uns zu einem Qualitätsgewinn führen.

Helmut Jäger, Geschäftsführer Solvis GmbH & Co KG, wurde 17jährig von der ersten Erdölkrise 1973 beeinflusst und nicht zuletzt deswegen faszinierte ihn die Sonne. Jäger argumentiert, dass die Sonnenenergie 2000 mal höher liege als deren Verbrauch. Er spricht sich daher für eine intelligente Nutzung der Sonne aus. Ebenso plädiert Jäger für eine weitaus höhere Quote bei der Bausubstanzsanierung, die in Deutschland bei nur 1 % liegt. Daher ist es kontraproduktiv, die staatliche Förderung für Sanierungsmaßnahmen durch das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung drosseln zu lassen. Die Gebäude der Zukunft werden, so Jäger, keine Energieverbraucher, sondern Energiequellen sein. Allein in Braunschweig ließen sich 70 % der Energie durch Photovoltaikanlagen auf Dächern abdecken.

Rammler verweist auf andere Konzepte der Mobilität und führt als Beispiele Amsterdam, die Schweiz, Kopenhagen und generell die skandinavischen Länder an. Die Kollegen auf dem Podium ergänzten, dass Freiburg und natürlich zahlreiche ländliche Bioenergiedörfer auch dazugehören.
Ein Silberstreif am Horizont sind die vielen Milliarden aus Privathaushalten, die in die Energieversorgung Deutschlands fließen. Eine Publikumsfrage veranlasst Rammler, zur aktuellen Debatte über den Ausbau der A 2 Stellung zu nehmen. Für ihn wird definitiv der Straßenverkehr an Bedeutung verlieren, und es wird uns nichts anderes übrigbleiben, als den massiven Ausbau des öffentlichen Verkehrs zu forcieren. Diesbezüglich muss es, so Jäger, eine Rekommunalisierung der Energiesysteme geben, und er verweist damit auf den Dokumentarfilm „water makes money“. (Skurril an diesem Verweis auf den Film ist, dass die Podiumsdiskussion ausgerechnet im Raum „Veolia“ stattfand.)

Abschließend stellte der Moderator Markus Weißkopf die Frage, „was jeder einzelne im Publikum tun kann, um in puncto Mobilität und Energieersparnis anders zu leben“. Prof. Fiedler sieht den Anfang darin, im Alltag innerhalb der Stadt Braunschweig den Pkw nicht mehr zu benutzen. Es geht ihm dabei um die Änderung der Alltagsgewohnheiten eines jeden einzelnen im Publikum.
Das Statement von Rammler auf die o.g. Frage ist sehr präzise: Wir sollen Kunden bei Lichtblick [unabhängiges Energieunternehmen für Öko-Strom] werden, uns vegetarisch ernähren, Nahrungsmittel aus der Region kaufen, Carsharing praktizieren, Solaranlagen installieren und Konsumverzicht üben (bspw. nicht ständig neue Kleidung kaufen). In einem zweiten Gesichtspunkt appelliert Rammler an uns, mehr Begegnungen innerhalb sozialer Strukturen zu schaffen und Bürgerinitiativen und Nachbarschaftshilfen zu gründen. Jeder einzelne solle sich ein hohes Maß an Demut aneignen und bei den oben genannten Themen experimentierfreudiger sein. Letztlich, sozusagen als Mutmacher, sagte Rammler: „Irgendetwas kann jeder tun.“

Braunschweig als Modellregion für innovative Mobilität! Das wäre doch etwas, wofür es sich zu kämpfen lohnt und bei dem das Institut für Transportation Design der HBK (und den entsprechenden Instituten der TU) eine bundesweit führende Rolle übernehmen könnte …

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