Von Dirk Schadt
Die aktuelle Krise bei Volkswagen ist größer, als viele vermuten. Der Diesel-Skandal hat das Vertrauen in die Marke stark erschüttert und zu hohen finanziellen Strafen geführt. Die Umstellung auf autonom fahrende Elektromobilität erfordert massive Investitionen, die die Gewinnmargen belasten. Zudem ist die Lieferkette durch globale Engpässe beeinträchtigt, was die Produktion und den Absatz von Fahrzeugen erschwert. Die eigentliche große Krise steht jedoch noch bevor: die Einführung des autonom fahrenden Autos, die zu einer Disruption der gesamten Automobilbranche führen wird.
Um es deutlich zu sagen: VW steckt in einer großen Krise, möglicherweise existenziellen Krise, und sollte die Entwicklung so weitergehen, dann ist es nicht sicher, dass VW die nächsten zehn Jahre überleben wird.
Dieser Essay gliedert sich in drei Teile: Im ersten beschreibe ich die disruptiven Folgen der Einführung des autonom fahrenden Autos, im zweiten skizziere ich die Auswirkungen einer VW-Pleite auf die Region und im dritten schließe ich mit möglichen Auswegen aus der Krise. Machen Sie sich bereit für eine rasante Fahrt durch ein schwieriges Terrain!
1) Die disruptive Herausforderung: autonom fahrende Autos
Autonom fahrende Autos sind keine Zukunftsmusik mehr: Die Firma Waymo absolviert jede Woche über 100.000 Fahrten mit Passagieren in vier US-Städten – und das ohne Fahrer. Auch Tesla präsentierte am 11. Oktober das autonom fahrende Robotaxi. Diese Entwicklungen werden erhebliche Auswirkungen auf den Automarkt und die Mobilität insgesamt haben: Zukünftig werden durch Robotaxis, die rund um die Uhr im Einsatz sind, rund 70 Prozent weniger Autos benötigt. Zudem wird es günstiger sein, sich ein Robotaxi zu mieten, als ein eigenes Auto zu besitzen.
Wie disruptiv diese Entwicklung für Autohersteller ist, beschreibt Tony Seba sehr anschaulich in seinem Vortrag „Clean Disruption“ im Jahr 2017:
Tony Seba – „Clean Disruption“ auf Youtube
Und auch Volkswagen war diese Entwicklung hinlänglich bekannt, ebenfalls im Jahr 2017 hat der damalige VW-Vorstand Johann Jungwirth die positiven Eigenschaften selbstfahrender Autos erstaunlich treffend vorausgesagt:
Johann Jungwirth – Die Neuerfindung der Moblität
Und was ist passiert? VW hat diese Entwicklung ignoriert und verschlafen mit der Folge: In spätestens zehn Jahren wird es keinen Grund mehr geben, sich einen VW zu kaufen. Autonom fahrende Autos sind günstiger, effizienter, benötigen keine Versicherungen oder Reparaturen und bieten eine höhere Sicherheit. Anders ausgedrückt: Das Robotaxi für VW ist vergleichbar mit der Digitalkamera für Kodak, dem Smartphone für Nokia oder Wikipedia für Brockhaus. Das Geschäftsmodell des individuellen Autos ist ein Auslaufmodell.
Vielleicht besteht noch ein Zeitfenster mit geringen Spaltmaßen, in dem VW in dieses neue Geschäftsmodell einsteigen kann, ansonsten folgt unabweislich Punkt:
2) Die Pleite von VW und die Folgen für die Region
Ich halte mich hier kurz, da jeder Leser sich die katastrophalen Folgen einer Pleite von VW für Wolfsburg und die Region Braunschweig gut vorstellen kann. Zwei historische Parallelen seien dennoch erwähnt: Der Fall Detroits ist in vielen Punkten vergleichbar. Und falls man eine sozialwissenschaftliche Studie sucht, was Massen-Arbeitslosigkeit aus einer Region macht, dann ist man mit „Die Arbeitslosen von Marienthal“ von Marie Jahoda et al. gut beraten.
Es wird eine Herausforderung sein, VW aus dieser Krise zu führen. Da es jedoch wenig Sinn macht, sich im Kofferraum zu verstecken, kommen wir zu Punkt drei:
3) Mögliche Auswege aus der Krise
Bei einer existenziellen Krise ist es wichtig, zunächst das Problem zu erkennen, und dabei sind wir bei
a) Die disruptive Entwicklung der Automobilbranche erkennen
Dies ist der entscheidende Punkt: VW muss sofort alle Kräfte im Tank bündeln und in die Entwicklung autonom fahrender VW-Robotaxis investieren, die spätestens 2027, besser noch 2026, auf den Markt kommen müssen.
b) Gemeinsam an einen Strang ziehen
Eine solche Entwicklung ist nur möglich, wenn alle Beteiligten von VW an einem Strang ziehen und die notwendigen Sparmaßnahmen treffen, um in die Entwicklung autonom fahrender Autos und die dazugehörige Ladeinfrastruktur zu investieren. Sinnvoll wäre es zum Beispiel, wenn die Vorstände bis zur Entwicklung eines VW-Robotaxis auf 40 Prozent (!!) ihrer Gehälter und Boni verzichten, Mitarbeiter auf 20 Prozent (!) ihres Lohns und Aktionäre selbstverständlich auf ihre Dividende. Das wäre ein deutliches und mutiges Zeichen für einen neuen Weg aus der Krise und schafft den notwendigen finanziellen Rückhalt.
c) „VW steht nicht mehr für Volkswagen, sondern für VerkehrsWende“
Dieser Slogan aus der „Verkehrswendestadt Wolfsburg“ hat einen wahren Kern: Die Mobilität der Zukunft wird vielfältiger. Daher wäre es sinnvoll, dass VW sein Geschäftsmodell erweitert, um durch Diversifikation die Probleme eines Sektors in einem anderen auszugleichen und frühzeitig in neue Technologien einzusteigen.
Doch wie ist das möglich? Kommen wir daher zum letzten Punkt:
d) Erweiterung des Mobilitätsangebots und neue Geschäftsfelder
VW hat kürzlich vier Milliarden Euro in das Software-Unternehmen Rivian investiert. Diese Summe wirft Fragen auf, ob sie sich wirklich rentiert. Klar ist jedoch: VW muss in neue Geschäftsfelder investieren. Hier einige Start-ups, die aktuell relativ günstig zu erwerben sind und VW bei der Diversifikation unterstützen könnten:
Diese Firma produziert die E-Schwalbe, einen beliebten Elektro-Motorroller. Mit ein bisschen Marketing und einer durch Skalierung günstigeren Produktion könnte man daraus einen Volksroller machen, sodass sich ein Kauf der Firma für VW schnell amortisiert.
Dieses Unternehmen rüstet Dieselbusse auf Elektroantrieb um. Um die EU-Vorgaben zu erfüllen, müssen bis 2030 in Europa 38.000 elektrische Busse angeschafft werden – eine Herausforderung, die durch Umrüstung bestehender Flotten adressiert werden kann.
Ähnlich wie To Zero rüstet Hero Motors Transporter und Kleinbusse auf Elektromobilität um.
Junges Start-Up, das auf automatisierten Gütertransport spezialisiert ist.
Ein Unternehmen, das automatisierte Transportroboter als Ersatz für Gabelstapler produziert, u.a. Bewässerungsroboter für Friedhöfe.
Produziert polymergebundene Permanentmagneten für Elektromotoren. Sollte die Technik funktionieren, könnte dies VW helfen, unabhängiger von seltenen Erden zu werden.
Das Unternehmen produziert eine Mischung aus E-Fahrrad mit dem Komfort eines Kleinwagens. Wird sich in den Städten vermutlich nicht durchsetzen, mit einer günstigen Produktion aufgrund der Skalierung könnte es jedoch auch für VW interessant sein.
Das erste elektrisch betriebene Motorrad aus Deutschland. Ist ein Anbieter von mehreren, als Ergänzung für VW wäre ein E-Motorrad im Angebot sicherlich sinnvoll.
Eines von vielen Unternehmen, die öffentliche Ladeinfrastruktur aufbauen – ein essentielles Geschäftsfeld für die Zukunft von VW.
Dies sind nur ein paar Beispiele, mit welchen Firmen VW die Mobilitätswende voranbringen könnte.
Fazit: Der klare Fokus auf autonome Robotaxis inklusive Aufbau der Ladeinfrastruktur mit zusätzlichen Investitionen in die Zukunft der Mobilität könnten VW aus der Krise helfen. Ein solches Umdenken erfordert jedoch eine klare Linie des Managements und die Unterstützung der Mitarbeiter. Aktuell sehe ich schwarz für die Zukunft von VW, aber ich wäre erfreut, mich zu irren. Und bisher hat VW alle Krisen überwunden!