Vier Buchtipps: Internet, Eishockey, Jimi Hendrix und Hannover

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Gerald Fricke –
Dienstanweisung Internet

Frank Schäfer –
Being Jimi Hendrix

Frank Bröker –
Eishockey

Pottzblitz –
Geschichten aus der verbotenen Stadt


Gerald Fricke – Dienstanweisung Internet; Frank Bröker – Eishockey; Frank Schäfer – Being Jimi Hendrix – Verlag Andreas Reiffer 2012

Gleich drei neue Bände der „Edition Wissenswertes“ veröffentlicht Andreas Reiffer in seinem Verlag:

„Dienstanweisung Internet – So funktionieren Aktenordner, Telefon, Facebook & Co.“ von Gerald Fricke, „Eishockey – Das Spiel, seine Regeln und ein Schuss übertriebene Härte“ von Frank Bröker und „Being Jimi Hendrix – Ein Essay“ von Frank Schäfer. Gemein indes haben sie lediglich das von Patrick Schmitz gestaltete Titelbild – darüber hinaus könnten sie unterschiedlicher kaum sein: Fricke entblößt vermeintliche soziale Netzwerke in lockeren Lexikoneinträgen, Bröker erklärt detailgetreu die Sportart mit allem, was dazugehört, und Schäfer erzählt die kurze Lebensgeschichte des Gitarrensounderneuerers aus Seattle mit hilfreichen Blicken abseits des Sujets.

Aus Frickes Büchlein quillt die pure, satte Ironie. Das geht los mit dem Format des Lexikons mit den vermeintlich willkürlichen Einträgen und hört mit dem Sprachstil längst nicht auf. Eine wirkliche Hilfe durch den Social-Media-Dschungel ist das Buch mitnichten, will es auch gar nicht sein, sondern vielmehr eine Abrechnung mit dem Stellenwert, den fälschlich übersetzt so genante soziale Medien bei vielen Zeitgenossen einnehmen. Für diese Abrechnung befleißigt sich Fricke – typisch für ihn – der Wortwahl des kleinen Mannes. Darauf weist er in seinem Buch an mehreren Stellen ausdrücklich hin und lästert etwa über die grassierende Verwendung der ironischen Distanzierungshäkchen, auf die er selbst dennoch unablässig zurückgreift. Es ist gut, dass er den Abstand zwischen sich und seinem Schreibstil verdeutlicht, weil ansonsten womöglich der Verdacht aufkäme, er habe gar keine eigene Sprache; ertragen kann man Leute, die so reden, wie Fricke häufig schreibt, nämlich nicht dauerhaft. Die gelegentlichen langen Lexikoneinträge belehren den Leser eines Besseren: Fricke kann auch anders und eigen.

Fricke zieht Querverweise in alle möglichen und unmöglichen Richtungen, thematisch, historisch, technisch, kulturell, und schafft damit etwas, was den Nutzern sozialer Medien größtenteils abgeht: Er betrachtet die Welt holistisch. Insofern ist sein Lexikon tatsächlich wissenswert. Indem er diese Verbindungen herstellt, übt er bissigste Kritik. Einen Eintrag zu „Kafka, Franz“ etwa erwartet man nicht unbedingt, ebensowenig die „Neubaugebiets-Lüge, die große deutsche“, die da lautet: „In zehn Minuten biste inner Innenstadt, ehrlich“. Wer sich nicht so intensiv auf Facebook, Twitter und ähnlichen Plattformen bewegt, versteht möglicherweise nicht jeden Querschuss; unter „Ranking“ etwa steht: „Obwohl, früher haben elegante Monokelträger noch hübsch „Hitparade“ dazu gesagt. Was ich damit sagen will: Ich hätte jetzt die innere Bereitschaft für ein Stückchen Baumkuchen „erreicht“.“

Mit seinem ätzenden Lexikon erreicht Fricke auf jeden Fall alljene Zeitgenossen, denen dieser ganze Internethype, das Facebookgefave und die Smartphoneabhängigkeit größtenteils wurscht sind und die ihr Mobiltelefon bestenfalls dazu nutzen, sich mit Freunden in der Kneipe auf ein Bier zu verabreden. Ungewöhnlich ist, wie er das macht; genau das macht dieses Büchlein so relevant, denn alles andere wäre blöde Comedy und damit nicht im Sinne des Autors. Fricke ist einzigartig, aber schwierig.

Schwierig ist gleich das ganze „Eishockey“-Buch von Bröker. Es beinhaltet nämlich genau das, was draufsteht: die Spielregeln mit allen, sämtlichen und noch einigen weiteren Details. Etwa solchen wie den genauen Abmaßen der Plexiglasscheibe über dem Trainersitzplatz oder so. Wer sich noch gar nicht für Eishockey interessiert, hat es auch nach der Lektüre noch schwer mit der Sportart. Wer bereits Kenntnisse besitzt, findet sich womöglich schnell in dem Buch wieder; das müssen Fans sagen. Wer allerdings vorhat, in die Materie tiefer einzusteigen, bekommt hier alles nötige Wissen kompakt serviert. Schwierig ist für Nicht-Fans an dem Buch jedoch, dass Bröker die dichte Informationsfülle nicht mit einer vergnüglichen, versierten Sprache abbildet; aus purem Vergnügen ist es schwer zu lesen. Der Sprachwitz reicht über einige gebräuchliche Redewendungen kaum hinaus, Beispiel: „Es geht meist zu wie in einem gut ausgelasteten Ehebett. Drunter und drüber.“ So richtig warmherzig wird das Buch erst im Nachwort, in dem Bröker seinen The-Russian-Doctors-Mitmusiker Dr. Holger „Makarios“ Oley erzählen lässt, wie sie beide überhaupt Eishockey-Fans wurden. Und da wird dann klar, was dem Buch bei aller Fülle fehlt: der persönliche Bezug des Autoren zur Materie, der Grund für die detailverliebte Leidenschaft.

Den macht Schäfer wiederum in seinem Hendrix-Essay mehr als deutlich. Um die Lebensgeschichte des Gitarristen nachzuzeichnen, bedient sich Schäfer verschiedenster Quellen: Er zitiert Biografen, zeitgenössische Presse und Musikmagazine sowie Hendrix selbst. Was dem Buch guttut: Schäfer traf sich extra dafür mit dem versierten Hendrix-Biografen Klaus Theweleit zum Gespräch. Schäfers vertrauter intellektueller Sprachwitz und die Ausflüge in kulturhistorische Randbereiche (Woodstock, Bob Dylan, Drogenkonsum, Psychologie des Musikhörens) reißen auch dann den Leser mit, wenn dem Hendrix nicht allzu allumfassend wichtig ist. Zum Ende gibt Schäfer mit minutiös dokumentierten Aussagen zu Hendrix’ Todesumständen allen Verschwörungstheoretikern und Krimifans ordentlich Stoff zum Kombinieren an die Hand und liefert die beste Erklärung für all die Theorien gleich selbst: „Der verständliche Wunsch nämlich, dass wenigstens der Tod eines so exorbitanten Künstlers etwas zu bedeuten hat.“ Außerdem gibt Schäfer einen verlässlichen Überblick über die wichtigsten und sammelnswertesten Alben, die nach Hendrix’ Tod veröffentlicht wurden.

Schäfer ist glühender Verehrer, das wird mehr als deutlich und steckt an. Nach der Lektüre dreht man die vier zu Hendrix’ Lebzeiten erschienenen Alben beim neuerlichen Hören noch einmal etwas lauter.

Erhältlich hier:
Verlag Andreas Reiffer
Kingking Shop



Pottzblitz – Geschichten aus der verbotenen Stadt – Blaulicht-Verlag 2012

Jetzt gibt es den für das Hannoveraner Internet-Journal „Langeleine.de“ gestaltete Online-Comic endlich auch als Buch. Damit fällt der Comic vielmehr in die Kategorie Graphic Novel. Ohne Worte erzählt Pott die Geschichte eines Mannes, der seine Frau nicht nur an den Alkohol verliert und dann vereinsamt. Zumindest ist das ein Teil dessen, was er abbildet. Nicht textet: Die 24 Episoden kommen komplett ohne Worte aus. Das lässt viele Interpretationsmöglichkeiten zu und Fragen offen, etwa die, weshalb Elemente der Geschichte sich wiederholen – oder gleich rückwärts laufen. Die Bilder sind im für Pott typischen Stil gestaltet, in Schwarz, Weiß und Blau, mit dicken Linien, vielen Details, gestempelten Versatzstücken und den in seinem Werk immerzu auftauchenden Figuren wie den Affen, dem traurigen Roboter und diversen Monstren. Auch ohne Worte ist das Buch nicht einfach durchzugucken: Man sollte es zweimal nacheinander betrachten, und das sehr konzentriert.

Erst gegen Ende erschließt sich, was die Denkblasen bedeuten, die der skelettierten Hauptfigur aus dem Kopf quillen: Dass das offenbar von kleinen Robotern gesteuerte Wesen nicht etwa telepathisch die Realität beeinflusst, sondern sich an seine eigene Vergangenheit erinnert. Okay, das Hemd war ein Indiz. Die Hauptgeschichte erzählt, wie die Freundin des Hauptcharakters in Braunschweig in die Psychiatrie kommt. Nach ihrer Heilung geht der Mann seiner Arbeit nach, während die Frau keine neue findet, daran zerbricht, Alkoholikerin wird und sich erhängt. Erst dann und zurück in Hannover, der aus Braunschweiger Sicht „verbotenen Stadt“, wird aus dem Mann das deprimierte, vereinsamte Skelett, das diese Geschichte erzählt.

So weit, so schlüssig; so einfach macht es Pott dem Betrachter aber nicht. In der Geschichte tauchen immer wieder bestimmte Figuren auf: Das Affenpaar schlägt sich und verträgt sich, bis der Affenmann parallel zur Hauptfigur den Drogen und dem Alkohol zuspricht. Quer in der Geschichte verteilt und an allen möglichen und unmöglichen Orten stehen zwei sich unterhaltende Frauen, die immer absolut identisch aussehen. Am Anfang begegnet das Skelett einer Frau, die ganz offensichtlich rückwärts geht. Und die Aufmerksamkeit des Skeletts erregt, dessen Schädeldecke abspringt und kleine Roboter freigibt, die die Frau abscannen. Jede Frau, die der Mann auf dem Heimweg trifft, ruft neue Erinnerungen hoch – und so kommt die Geschichte in Gang. Gerade dieses Zyklische erfordert es, das Buch mehrmals durchzugucken.

Und macht es zu etwas Besonderem. Wäre die Geschichte einfach zu entschlüsseln, wäre sie nur eine von vielen. Auch wegen des Detailreichtums kombiniert mit den klaren Linien möchte man in jedes Bild lang abtauchen und auf Entdeckungsreise gehen. Allein, gute Laune bekommt man von der Geschichte nicht, aber das ist ja nichts Schlimmes.


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