Verfahrenseinstellung gegen Antifaschisten am Landgericht Braunschweig

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Landgericht Braunschweig in der Münzstraße. Symbolbild Foto: Ines Richlick

Von Ines Richlick

Am 14.12.2022 endete am Landgericht Braunschweig eine Berufungsverhandlung gegen einen Antifaschisten mit einer Verfahrenseinstellung gegen Auflage gemäß § 153 a StPO (5 Ns 211 Js 47007/21). In erster Instanz war der Angeklagte noch zu einer Geldstrafe in Höhe von 2 500 € verurteilt worden.

Gegen 9:00 Uhr versammelten sich knapp ein Dutzend Männer in Zivil, um sich ausgiebig auszutauschen. 4 Polizeibeamte waren als Zeugen geladen und verblieben anschließend auf dem Flur, der Rest nahm im Zuschauerbereich des Saales 125 Platz. Weitere Zuschauende waren zur Unterstützung des Angeklagten gekommen und einige Schüler:innen wohnten der Verhandlung bei.

Zur Vermeidung von Störungen schaltete die Berichterstatterin vor Verhandlungsbeginn ihr Mobiltelefon aus. Die Folge war ein lautstarkes, aggressives Anbrüllen durch eine Justizwachtmeisterin, ob die Autorin jetzt ihr „Handy“ auf „Aufnahme“ gestellt hätte.

Die Zusammenfassung des bisherigen Prozessgeschehens nach Aktenlage durch die vorsitzende Richterin Bock-Hamel mündete gleich zu Verhandlungsbeginn in ihrer vorläufigen Einschätzung des voraussichtlichen Verfahrensausgangs nach eventuell umfassender Beweisaufnahme.

Im Rahmen des Protestes gegen den AfD-Landesparteitag in Braunschweig am 15.5.2021 sei der Angeklagte an einer Fahrbahnblockade in der Elbestraße beteiligt gewesen, um die Anreise der AfD zu erschweren. Dabei sei er von dem Polizeibeamten St. aufgefordert worden: „Runter von der Fahrbahn!“ Als er dieser Aufforderung nicht nachgekommen sei, habe der Beamte ihn zur Seite geschoben. Dabei sei es zu einem Gerangel gekommen, bei dem der Beschuldigte einen Schritt nach hinten getätigt, sich gesperrt und einen Arm erhoben habe. Dieses Verhalten erfülle nach einschlägiger Rechtsprechung den Straftatbestand des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte gemäß § 113 StGB.

Dementsprechend sei am 26.9.2021 ein Strafbefehl i. H. v. 50 Tagessätzen à 50 € ergangen, gegen den der Beschuldigte Einspruch eingelegt habe. Mit Urteil vom 22.3.2022 sei am Amtsgericht Braunschweig eine Geldstrafe in gleicher Höhe ausgesprochen worden. Dagegen sei durch den Göttinger Strafverteidiger Rasmus Kahlen Berufung mit dem Ziel eines Freispruches eingelegt worden.

Nach langen moralischen Vorhaltungen unter mitleidsvollen Exkursen über die eigene Tochter und Mutter sowie Zuschreibungen und Beurteilungen von vermeintlichen Wesenseigenschaften des Angeklagten, in die sie sogleich die gesamte Zuhörerschaft von ca. 20 Personen mit einbezog, bewertete die Richterin die Amtshandlung des Polizisten vorläufig als rechtmäßig und schätzte das Risiko einer Verurteilung als hoch ein.

Anmerkung der Autorin: Bei einer vollumfänglichen Beweisaufnahme hätten u. a. die genauen Ansagen und Aufforderungen der Polizei sowie eine erforderliche Auflösung der Versammlung vor Rechtmäßigkeit des polizeilichen Eingreifens geklärt werden müssen.

Offensichtlich aus prozessökonomischen Gründen, insbesondere in Bezug auf eine Vielzahl noch anhängiger Verfahren in gleicher Sache, sowie im Hinblick auf die niederschwellige Widerstandshandlung durch Entgegenstemmen schlug die Vorsitzende die Einstellung des Verfahrens gegen eine Geldbuße zugunsten der Polizeistiftung Rheinland-Pfalz vor, die u. a. die Angehörigen der am 31.1.2022 getöteten Polizeikräfte im Landkreis Kusel unterstützt.

Rechtsanwalt Kahlen verwies ausdrücklich auf die nicht berücksichtigte Problematik der Polizeifestigkeit des Versammlungsgesetzes und die damit verbundene fragliche Rechtmäßigkeit des polizeilichen Handelns, erklärte sich aber nach Rücksprache mit seinem Mandanten mit einer Verfahrenseinstellung einverstanden. Dabei schlug er allerdings eine zu begünstigende regionale Einrichtung, wie z. B. ein Kinderhospiz o. ä. vor.

Am Ende einigten sich alle Verfahrensbeteiligten, auch vor dem Hintergrund der Verfahrensdauer von über 1,5 Jahren und der bisherigen Straffreiheit des Angeklagten, auf die Einstellung des Verfahrens gegen eine Geldauflage i. H. v. 500 € zugunsten des Kinderhospizes Löwenherz in Braunschweig, zahlbar bis zum 31.12.2022. Der Angeklagte bleibt somit weiterhin ohne Eintragungen im Bundeszentralregister, muss allerdings die Kosten seiner Verteidigung selbst tragen, jedoch nicht die des Gerichtes und der Zeugen.

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