Vor etwa drei Jahren sind im Internet Filme mit Ufos aufgetaucht, deren Echtheit vom US-Verteidigungsministerium bestätigt wurden. Für den 25. Juni war ein erster Bericht dazu angekündigt worden.
Von Jan T. Solo
„Bis jetzt existiert kein konkreter Beweis für oder wider die Existenz der sogenannten fliegenden Untertassen. Es bleibt jedoch eine Anzahl von Sichtungen, die die Ermittler der Air Force nicht erklären konnten. Solange sich dies so verhält, wird die Air Force mit der Untersuchung der fliegenden Untertassen fortfahren.“ US Air Force, 1952 (4)
In Amerika stieg der Druck, seit wir uns dem Publikationsdatum näherten. Der Bericht war für den 25. Juni angekündigt worden. Davor hatte es bereits Vorabinformationen für ausgewählte Parlamentsmitglieder gegeben, und es wurde schon einmal Öl auf die Wogen der Aufregung gegossen – wir sollten nicht zuviel erwarten.
Vor etwa drei Jahren waren drei kurze Filmchen veröffentlicht worden, auf denen PilotInnen von F18-Jagdflugzeugen ‚Flugobjekte‘ beobachteten und – hörbar überrascht – nicht verfolgen konnten. Das Pentagon bestätigte die Echtheit der Aufnahmen und vor einem Jahr wurde die Untersuchung angekündigt. An der Debatte in der veröffentlichten Meinung erkennt man die hohen Erwartungen. In Voraberklärungen war von 120 Sichtungsberichten die Rede, und in Interviewsendungen wirkten die PilotInnen der Jagdflugzeuge zumindest beeindruckt. (1)
Versteckspiel
Die Berichterstattung in Deutschland ist traditionell zurückhaltend, was grundsätzlich der offiziösen amerikanischen Position entspricht. Wer mag, kann Parallelen in der medialen Behandlung von Julian Assange und Alexej Nawalni sehen: von Nawalni und „dem Putin“ kann man fast täglich hören; im Fall Assange war der Folterbeauftragt der UNO Nils Melzer so frustriert von den europäischen Regierungen, dass dieses Jahr ein Buch von ihm zum Thema erschien. (2) Dieses Kommunikationsverhalten ist allein schon deshalb nicht gut, da es Verschwörungstheorien zu bestätigen scheint – ganz abgesehen davon ist es kaum nachzuvollziehen.
Es hatte – seit es Ufos gibt – schon ähnliche Situationen in der Politik gegeben. Der Kern der Roswell-Geschichte sind zwei Presseerklärungen (3), die ersten über eine ‚fliegende Untertasse‘ von der Basis in Roswell mit schweren B29-Bombern in Neu Mexiko. Aber die Schlagzeilen wurden schnell gedeckelt mit der zweiten ‚Wetterballon‘-Meldung von der vorgesetzten Dienststelle in Fort Worth, Texas. Der ‚Welle von Washington‘ im Jahr 1953 (4) folgte die größte Pressekonferenz seit dem zweiten Weltkrieg. Ende der 60er Jahre zwang der öffentliche Druck erst Parlamentsanhörungen (5) und in Folge die Condon-Untersuchung (6, 6b), auf deren Ergebnissen die offizielle Haltung noch immer beruht: Ufos stellen keine militärische Bedrohung dar.
Die Rolle der Wissenschaft
Aber trotz feierlicher Erklärungen bleibt die Geschichte nicht stehen. Das American Institute of Aeronautics und Astronautics AIAA – eine Vereinigung aus Luft- und Raumfahrtwissenschaftlern – bildete ein eigenes ‚technisches Kommittee‘ über Ufos (8), aber seinem Leiter Joachim Küttner gelang es trotz großem Interesse nicht, das Kommittee zu erhalten. In den 70er Jahren widerlegten ForscherInnen mit Informationsfreiheitsanfragen (auf englisch FOIA) die Erklärungen, daß sich in der Luftwaffe niemand mehr mit Ufos beschäftigte, und während in Amerika die Situation vor sich hin kochte, ereignete sich in Belgien eine enorme Ufo-Welle, einschliesslich Abfangversuchen mit F16-Flugzeugen und Ausschussitzungen im Europaparlament (11, 29).
Zum Ende des letzten Jahrtausends trat die Cometa-Gruppe (30) in Frankreich an die Öffentlichkeit, zusammengesetzt aus OffizierInnen von Luftwaffe und Polizei (die in Frankreich Ufo-Meldungen annehmen muss) und WissenschaftlerInnen der zivilen und militärischen Forschungsstellen. Der Bericht „Auf was müssen wir unsvorbereiten?“ richtete sich an die Politik in Frankreich mit der Forderung die Initiative zu ergreifen.
Scheitert die Wissenschaft?
Wer sich mit Ufos beschäftigt, wird als ‚gläubig‘ verschrieen. Dabei wird gerne übersehen, daß es immer schon einen wissenschaftlichen Untergrund in der Angelegenheit gegeben hat. Der beratende Astronom Prof. Joseph Allen Hynek (7) von der Universität Chikago änderte verärgert seine Meinung im Lauf der Untersuchungen (und erscheint als Statist – wie Hitchcock in seinen Filmen – in Spielbergs „Begegnung der dritten Art“), sein Mitarbeiter Jacques Vallee ist das Rollenmodell für den Uno-Berater im Film. PhysikerInnen wie Joachim Küttner (8), Peter Sturrock (9) aus Stanford, Stan Friedman, Bruce Maccabee (27) – bis zu seiner Pensionierung bei der Marineforschung – oder James Macdonald (8, 10) leisteten eigene Forschungsarbeit und drängten die Politik zu einer ernsthaften Untersuchung der Beobachtungen. Und manchmal führt es zum Erfolg: der ehemalige Leiter der europäischen Raketenbasis in Courou, Yves Sillard, inspirierte die Gründung des französischen Ufo-Büros (damals SEPRA, heute GEIPAN), das in die fränzösische Raumforschungsorganisation CNES integriert ist.
Glaubt man dem Astronomen Avi Loeb (12), so hat sich mit den amerikanischen Filmen ein neuer Aspekt ergeben. Die besten Berichte dieser Art stammten immer von glaubwürdigen ZeugInnen: Zivil- und Militärpersonal, TechnikerInnen und IngeneurInnen, Flugüberwachung, WissenschaftlerInnen und AstronomInnen. In gutenFällen kamen auch einzelne Geräte dazu, Fotoapparate und Kameras, Radar, Sonar -aber meistens nur eines. Mittlerweile gehört zur militärischen Überwachung ein ganzes Bündel von Messinstrumenten. Zu den AugenzeugInnen kommen nun verschiedene Sensoren im sichtbaren, IR- oder UV-, Mikrowellen-Bereich dazu. Mehrfache Erfassung schließt viele Fehlerquellen (etwa Lichtspiegelungen oder ‚Radarengel‘) aus.
Und eine gewisse Ufo-Debatte findet mittlerweile statt. Seriöse Zeitschriften wie Foreign Policy, Politico (13) oder Scientific American (14) sind anscheinend gezwungen, die Alien-Diskussion nicht nur Internet-Plattformen wie der von Jeremy Corbell oder TheDrive.com/the-war-zone (15) zu überlassen. Auch in Spektrum der Wissenschaft (16) erschien im letzten Jahr ein Bericht mit Verweis auf Michael Schetsche, einem Sozialwissenschaftler, der mit KollegInnen zusammen die Exosoziologie etablieren will. Die Forschungsrichtung beschäftigt sich mit der Untersuchung der menschlichen Reaktion auf den Kontakt mit Außerirdischen. (17)
In der SETI-Forschung denkt man über die ‚Rio-Skala‘ (18) nach, mit der versucht wird, Kontakt-Risiken zu beschreiben. Eine Entdeckung erdähnlicher Planeten bewirkt geringere gesellschaftliche Erschütterungen als entfernte ETI-Nachrichten, vor tausend Jahren abgeschickt, und diese wieder geringere als der archäologische Fund in einer Millionen Jahre alten Erdschicht. Je geringer der räumliche und zeitliche Abstand umso größer die Irritation des menschlichen Selbstbewußtseins. Die Debatte ist notwendig, da die AstronomInnen immer mehr erdähnliche Planeten finden.
In der Raumfahrtforschung läuft in den Fachzeitschriften wie ‚Icarus‘ seit den 60er Jahren eine unauffällige Debatte, wie schnell die Galaxis mit Unterlichtantrieben besiedelt werden könnte (z.B. (19)). Daß anscheinend niemand hier ist, wird als Fermi-Paradox (20) bezeichnet. Eine der letzten Veröffentlichungen dazu – eine Simulationsrechnung zur Besiedelung der Galaxis – wurde am 17. Juni auf der Webpage des renommierten, auf Computer-Technik spezialisierten Heise-Verlages beschrieben (21).
Wasser – und Leben?
Das kopernikanische Prinzip besagt, das Sonnensystem ist kein einzigartiger Ort im Universum – dieselben Naturgesetze hier wie auf Proxima Centauri oder in der Magellan’schen Wolke. Auf der Erde gibt es eine Zivilisation – was ist mit den anderen 300 Milliarden Sternen unserer Milchstraße?
Wir finden immer mehr Planeten außerhalb des Sonnensystems (28). Wasser gilt als wesentliche Voraussetzung für eine Ökologie, selbst in unserem Sonnensystem gibt es an mehr Orten Wasser als wir selbst vor 10 Jahren erwartet hätten: Eis auf dem Mond und auf Merkur, dem Asteroiden Vesta (22) und vermutlich auf dem Mars (23). Meere so tief wie die auf der Erde befinden sich (subglacial) auf einigen der Saturn- und Jupitermonde (24), möglicherweise etwas ähnliches sogar auf dem Pluto (25). Der Titan trägt so etwas ‚Geographie‘ wenn nicht auf Wasser-, dann auf der Basis von Kohlenwasserstoff-Verbindungen (26). Selbst auf dem Boden ‚unserer‘ Ozeane und kilometertief im Erdmantel leben extremophile Lebewesen.
Ich kann verstehen daß Menschen sich vor einem Kontakt fürchten. Michael Schetsche rechnet „mindestens mit einem Börsencrash“. Wir hatten derartige Korrekturen unseres Welt- und Selbstbildes in der Vergangenheit: die Aufklärung machte aus uns Waisen statt Gottes Kinder. Die Astronomie versetzte die Erde aus der Mitte des Universums in einen Vorort der Galaxis, und mit der Evolution waren wir nicht mehr die ‚Krone der Schöpfung‘. Die Psychologie erklärte uns das Unterbewußtsein, das unser Wollen steuert, und die Ökonomie beschrieb den Einfluß des Kapitals auf die Gesellschaft. Und wir haben im Moment nur eine Wissenschaft, die sich mit Wesen beschäftigt, die schlauer sind als wir, und das ist die Theologie.
Trotzdem – oder gerade deswegen: wenn wir unsere Probleme wie die Klimakatastrophe und das Artensterben überleben wollen, wenn wir eine Wirtschaftsform finden wollen, die nicht sinnlos ‚Vermögen‘ anhäuft, wenn wir unsere zivilisatorischen Krisen überleben wollen, müssen wir den Fakten ins Gesicht sehen. Probleme nicht leugnen sondern lösen – klar daß viele von uns davor Angst haben.
Vielleicht waren es ja auch nur russische oder chinesische Hyperschall-Drohnen (32).
Anmerkung: die Quellen sind wenn möglich auf deutsch. Einige Dokumente wie der Text zur Anhörung im amerikanischen Parlamentsausschuß für Raumfahrt wurde nicht übersetzt. Manche der Links verweisen auf Webseiten, die sich zwar mit ‚Grenzwissenschaft‘ beschäftigen, dort aber auf Berichte von Wissenschaftlern (oft wieder auf englisch) verweisen; manche Hinweise führen nur auf bessere Wikipedia-Artikel, die man u.U. nicht erwarten würde. Hinweis Nr.12 ist ein Podcast mit einem Interview (englisch); Nr.29 ist ein Buch (deutsch, ca.900 S., nicht online).
Quellen
1. https://www.bbc.com/news/world-us-canada-57355192
2. https://www.nachdenkseiten.de/?p=72191 https://www.heise.de/tp/features/Wie-Julian-Assange-in-Grossbritannien-gefoltert-wird-6049826.html
3. http://www.roswellfiles.com/Articles/PressReports.htm
4. Hauptmann Edward Ruppelt: Bericht über Unbekannte Flugobjekte (deutsche Übersetzung) http://nicap.org/docs/GermanTransBooks/RUFO_GermanTranslation.pdf
s.S.113 – Kapitel 11 – die grosse Krise
5. http://nicap.org/books/1968Sym/1968_UFO_Symposium.pdf
6. http://cufon.org/cufon/tp_revue.htm6b. http://archiv.mufon-ces.org/text/deutsch/condon.htm
7. http://www.nicap.org/newstart.htm
8. http://www.nicap.org/papers/AIAA_rep1.pdf
9. https://en.wikipedia.org/wiki/Peter_A._Sturrock
9b. https://www.grenzwissenschaft-aktuell.de/astronomen-und-ufos-teil-1-die-sturrock-ufo-umfrage-unter-astronomen20180831/
10. http://www.project1947.com/articles/casia_68.htm
11. http://www.das-ufo-phaenomen.de/die-belgische-welle/
12. https://www.rt.com/podcast/526411-faith-stars-avi-loeb/
13. https://www.politico.com/news/2020/08/14/ufo-pentagon-task-froce-395683
14. https://www.scientificamerican.com/article/unidentified-aerial-phenomena-better-known-as-ufos-deserve-scientific-investigation/
14b. https://www.scientificamerican.com/article/astronomer-avi-loeb-says-aliens-have-visited-and-hes-not-kidding1/
15. https://www.thedrive.com/the-war-zone/41298/uap-task-force-report-offers-limited-answers-while-drawing-the-public-spotlight
16. https://www.spektrum.de/news/exosoziologen-proben-den-erstkontakt-mit-ausserirdischen/1744388
17. https://www.spektrum.de/rezension/buchkritik-zu-sie-sind-da/1712070
18. https://de.wikipedia.org/wiki/Rio-Skala
19. Jones, Eric M.: Colonization of the Galaxy Mercury, Proceedings of IAU Colloq. 34, held in Pasadena, CA, June, 1975. Edited by D. Morrison, Icarus 28, 1976., p.421
20. https://de.wikipedia.org/wiki/Fermi-Paradoxon
21. https://www.heise.de/news/Simulation-Zivilisationen-koennten-eine-ganze-Galaxie-rasch-besiedeln-6109467.html
21b. https://iopscience.iop.org/article/10.3847/2515-5172/ac091021c. https://www.grenzwissenschaft-aktuell.de/simulation-zeigt-wie-schnell-zivilisationen-eine-ganze-galaxie-besiedeln-koennten20210618/
22. https://www.welt.de/wissenschaft/weltraum/article109374521/Forscher-finden-ueberraschend-Wasser-auf-Asteroiden.html
23. https://www.sciencealert.com/those-underground-lakes-on-mars-just-got-more-mysterious
24. https://www.rnd.de/wissen/saturnmond-gibt-es-leben-auf-enceladus-4WMZGOK45JFYDGJWFXPV7NDY4Y.html
24b. https://www.spektrum.de/news/cassini-so-wahrscheinlich-ist-leben-unter-dem-eis-von-enceladus/1882114
25. https://medium.com/the-pluto-diaries/how-pluto-and-charon-could-have-water-ee2f9db960a4
25b. https://medium.com/predict/is-plutos-ocean-an-oasis-for-life-af311ed1f5e8
26. https://de.wikipedia.org/wiki/Titan_(Mond)
27. https://web.archive.org/web/20081108050107/http://brumac.8k.com/
28. https://phys.org/news/2020-06-billion-earth-like-planets-galaxy.html
29. „Ufo-Welle über Belgien“, SOBEPS, Verlag Zweitausendeins, Frankfurt a.M. 1994, ISBN 3861500086, mit einem Nachwort von General Wilfried de Brouwer
30. https://narcap.de/dokumente/COMETA-Report-englisch.pdf
31. https://de.wikipedia.org/wiki/Groupe_d%E2%80%99%C3%A9tudes_et_d%E2%80%99informations_sur_les_ph%C3%A9nom%C3%A8nes_a%C3%A9rospatiaux_non_identifi%C3%A9s
32. https://www.heise.de/tp/features/Aliens-oder-Antrieb-fuer-Aufruestung-6062942.html