Schatzkammer der Natur und Flächenfraß

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Naturwald und FFH-Gebiet Rieseberg. Diese alten und wertvollen Wälder im Nahbereich des geplanten Gewerbegebietes, wären verloren, wenn das geplante große Gewerbegebiet bei Scheppau gebaut werden würde. Foto: Karl-Friedrich Weber

Karl-Friedrich Weber vom BUND spricht von der einmaligen geologischen Konstellation und von der einzigartigen natürlichen und landschaftlichen Vielfalt unserer Region, vor allem im Raum östlich von Braunschweig. Trotz verschiedener Zerschneidungen (z.B. durch die A 2 und die A 39)) handle es sich um schützenswerte Gebiete von hoher ökologischer Bedeutung. „Schatzkammer der Natur“ lautet seine Zusammenfassung, und eine wachsende Zahl von Bürgern hat – gerade in Zeiten der Pandemie – ein Gefühl dafür bekommen, dass das nicht übertrieben ist.

Auch diese offene Landschaft zwischen Abbenrode-Wohld und Scheppau soll Gewerbegebiet werden. Foto: Bernhard Brockmann

Einen solchen Schatz lässt man sich nicht gern zerstören. Das ist der Grund, warum das geplante Gewerbegebiet Scheppau auf wenig Gegenliebe stößt. Dementsprechend zeichnet sich erheblicher Widerstand ab, und das nicht nur von den direkt betroffenen Anwohnern, sondern von Bürgern der gesamten Region, nicht zuletzt aus Braunschweig und Wolfsburg, die ihren Erholungsraum schätzen und nicht weiter zusammenstreichen lassen wollen.

Grafik: Koreg- Flächensteckbriefe Landkreis Helmstedt

In Deutschland Flächenfraß von 11.184 Quadratkilometern seit 1992

Wenn man den Blick von der Region auf Deutschland insgesamt richtet, stellt man fest, dass die kritisierte Entwicklung Teil eines allgemeinen Problems ist. Das Statistische Bundesamt gibt an, dass in Deutschland 51.489 Quadratkilometer als Siedlungs- und Verkehrsfläche belegt sind (2019). 1992 waren es noch 11.184 Quadratkilometer weniger; um mehr als ein Viertel hat also die Fläche zugenommen (die dann durchschnittlich etwa zur Hälfte versiegelt ist). In weiten Teilen vollzog sich das zu Lasten der Natur und der Landwirtschaft. Nicht nur, aber auch wegen neuer Gewerbegebiete.

Was das für das Klima und die Artenvielfalt bedeutet, ist bekannt und kaum umstritten. Schon 2002 hat deshalb die Bundesregierung eine Nachhaltigkeitsstrategie entworfen. Sie sah u. a. vor, dass bis zum Jahr 2020 die tägliche Inanspruchnahme neuer Siedlungs- und Verkehrsflächen auf höchstens 30 ha pro Tag reduziert werden sollte. In Wirklichkeit wurden aber im vergangenen Jahr immer noch deutlich mehr als 50 ha pro Tag verbraucht!

Ziel der Bundesregierung: in 30 Jahren auf „netto null“

Im Klimaschutzplan der Regierung von 2016 wird für 2050 das Ziel gesetzt, beim Flächenfraß „netto null“ zu erreichen; dann soll eine sogenannte Flächenkreislaufwirtschaft eingerichtet sein. Wer eine zusätzliche Fläche benötigt, muss entweder Brachflächen nutzen oder sich nach einer schon genutzten, aber nicht mehr benötigten Fläche umsehen.

Aber was helfen alle Pläne und Ziele, wenn sie nicht oder nur unzureichend umgesetzt werden?

Starke Kräfte für ein „Weiter so“

Vor allem: Die Kräfte, die sich für ein „Weiter so!“ stark machen, lassen nicht nach. Im Gegenteil. Hier ein interessantes Beispiel zum Thema Gewerbegebiete (alle Angaben aus: FAZ, 5.3.2021):

Nach Schätzung der Immobilienfirma Bulwiengesa beträgt der Neuflächenbedarf in Deutschland zwischen 6,5 und 7 Millionen Quadratmeter – pro Jahr! Besonders Logistikimmobilien seien so stark nachgefragt, dass sie sich seit 2015 spürbar verteuert haben. Der Online-Handel sei meist in der Lage, höhere Immobilienmieten (bzw. -preise) zu zahlen als andere. Unwillkürlich denkt man an das Logistikzentrum von Amazon an der A 2 bei Barmke, Amazon ist übrigens auch bei Garbsen an der A 2 vertreten, ebenso in Wunstorf. Auf dem Markt für Logistikflächen herrscht inzwischen ein Verdrängungswettbewerb von so erheblichen Ausmaßen, dass sogar „Standorte in B-Lagen und ländliche Gebiete in der Fläche attraktiv geworden“ seien. Fachleute für Immobilienfragen rechnen auch nicht mit einer nachlassenden Nachfrage nach Flächen, etwa infolge der Corona – Pandemie.

Sofort fühlt man sich an die Beschlussvorlage 21-15041 der Stadt Braunschweig zum geplanten Gewerbegebiet erinnert. Da wimmelt es nur so von Winken mit dem Zaunpfahl: „idealer Autobahnanschluss“, Bezug zur „Logistik-Achse Berlin-Hamburg-Ruhrgebiet“, „Standort … für Logistikunternehmen interessant“, „vermutlich realisierbare 24/7-Flächen“, die es „mit dieser Qualität in der Region“ kaum gebe; der Gipfel wird mit folgendem Satz erreicht:

„Als zentral gelegener Logistik-Hotspot könnte der Standort hierbei als Ausganspunkt für regionale Lieferbeziehungen fungieren und Logistikbeziehungen in der Region neu sortieren.“

Die Politik muss dem „weiter so“ entgegenwirken – wer denn sonst?

Da ist von Umdenken nun gar nichts zu spüren. Hier soll offenbar bequem und phantasielos schlicht das „Weiter so“ bedient werden. Wenn aber die Entwicklung gestoppt werden soll und bis 2050 sogar auf jeglichen Verbrauch von Neuflächen verzichtet werden soll, muss dieses Ziel offenbar schon jetzt eine Rolle spielen. Je früher, desto eher kann das Ziel erreicht werden. Und eben auch die eigene Schatzkammer bewahrt werden.

Für das mögliche Gewerbegebiet Scheppau ist in der KOREG-Studie angegeben, dass es in 10 bis 15 Jahren „zeitlich verfügbar“ sein könnte. Das wäre dann in den Jahren zwischen 2030 und 2035, man wäre also nur noch 15 Jahre vom Zieljahr für „netto null“ entfernt.

Erfreulicherweise gibt es keinen Zeitdruck für unbedachtes Handeln, wie auch aus der KOREG-Studie hervorgeht. Die Stadt Braunschweig wie die ins Auge gefassten Partner können sich also – möglichst zusammen und für die gesamte Region – umsichtig und planvoll auf die veränderte Lage und das Ziel „netto null“ einstellen und in Ruhe ein entsprechendes Modell für die kommenden 30 Jahre entwickeln. Damit ließen sich Lorbeeren verdienen (und nebenbei eine gute Werbung für die Region erzielen), nicht aber mit einem weiteren, angeblich „modellhaften“ Gewerbegebiet.

2 Kommentare

  1. Guten Tag, werte Streiter für eine bessere Welt.
    Der Artikel erwähnt die Beschlussvorlage 21-15041 der Stadt Braunschweig zum geplanten Gewerbegebiet,
    und schon frage ich:
    wer steckt den dahinter?
    welches Netzwerk an direkten Interessenten, Günstlingen und ihren Helfern in der Verwaltung ist Treiber solcher aus der Ökologie-bewussten-Zeit gefallenen Projekte?
    Denn mindestens das akut-enttarnte versuchte Absahnen der MASKEN-Raffkes (Zitat aus der BILD, der für diese Formulierung dank gebührt) dürfte doch ALLEN klar werden lassen,
    dass hinter solchen Projekten immer Nutzniesser in Politik und Verwaltung stecken, deren Enttarnung leider so kompliziert ist, Männerbünde eben, TOXISCH im weitesten Sinne.

  2. Sind nicht nur die Gewerbegebiete, die Industriegebiete und Neubaugebiete für Wohnhäuser wachsen auch expotenziell. Bei letzterem muckt aber keiner auf, den Flächenfraß einzudämmen, schließlich gilt ein schickes Einfamilienhaus am Ortsrand auch als erstrebenswert. Und bloß keine Windkraftanlage in Sichtweite von Hein Blöds Häusle bauen, dann bildet sich gleich ne BI gegen Windkraft und hängt das Transparent neben das AufpASSEn-A gegen Atommüll, wie in Apelnstedt.

    Früher gings auch ohne den ganzen Kram, wir müssen uns einschränken im Konsum und nachhaltiger leben, ALLE. Es liegt nicht nur an den Konzernen und Politikern, sondern am Verbraucher. Ein Teil der Bevölkerung verbraucht soviel Ressourcen am Tag, wie andere nicht mal im ganzen Leben.

    Was ich immer wieder feststelle ist leider auch, dass diejenigen, die einst mal grün-alternative Lebensweisen aufzeigen wollten und sich entsprechend organsisierten auf den eigenen Luxus nicht verzichten und z.B. aufbegehren wenn vor der Haustüre Parkplätze entfallen sollen. Oder gerade in ländlichen um die Asse sah und roch ich schon häufiger alte rußende, nach Frittenöl stinkende Diesel-PKW mit Anti-Atomkraft-Sonne. Dabei waren genau die Alt68er Ökos es doch, die mit Biolatschen und Strickpulli nur noch auf dem Fahrrad fahren wollten und nun selbst die Umwelt verpesten (nicht alle, aber auch nicht wenige).
    Die, die es vor 40-50 Jahren besser und alternativer machen wollten, sind heute teilweise genauso im Mainstream gefangen, haben Ideologien längst aufgegeben und machen mit beim Konsum.

    Wir verbrauchen zu viel Energie, aber jeder Weg in jedem Dorf braucht alle 50m ne Straßenlaterne, damit ja keiner Angst im dunkeln haben muss. Unsere Alt68er-Radellobbyisten freuen sich auch über jede Laterne, auch wenn der Weg nachts so gut wie gar nicht benutzt wird und moderne Fahrradlampen ausreichen würden. Herr F. und Herr G. sitzen um die Uhrzeit auch schon längst daheim, basteln an lyrischen Einlagen und sind sich über die Folgen der Lichtverschmutzung wohl auch nicht so im Klaren.
    Und so richtig auf die Kacke hauen unsere Radelorganisationen, wenn es um die Radschnellwege nach Wolfenbüttel, Wolfsburg und Salzgitter geht, 4m breit und beleuchtet sollen die werden, durchs Naherholungsgebiet und Überschwemmungsgebiet… heilige Sch….. von Bescheidenheit ist bei den Radellobbyisten hier keine Spur mehr, Umweltschutz fehlanzeige. Viel mehr Klotzen statt Kleckern. Wo schon gute Wege sind, sollen noch mehr und noch breitere hin, gleichzeitig verfallen andere innerstädtische Radwege wegen Geldmangel.

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