Quo Vadis, Cinema Paradiso?

0

Wer erinnert sich noch? Vor 15 Jahren gab es kaum einen angekündigten Film, der nicht auch in Braunschweig gezeigt wurde. Für nur wenige Ausnahmen mußte man nach Hannover, Berlin oder Ravensburg fahren. Das Angebot war schier unbegrenzt, die Zahl der Leinwände und Kinosäle hoch: Capitol vier Leinwände, Universum drei Leinwände, Scala zwei Leinwände, Broadway, Lupe, City, Gloria und Hansa je eine Leinwand, macht zusammen 14 Präsentationsflächen für Kunst und Unterhaltung. Mittlerweile ist die Zahl der wöchentlichen Neustarts in Deutschland aufs Unüberschaubare angestiegen – und Braunschweig hat noch genau zwei Kinos: das Cinemaxx mit acht Leinwänden und das City. Darüber hinaus ist das City nun alleiniger Ersatz für ehemals drei Programmkino-Leinwände: Einst Lupe, Broadway, Scala II, dann immerhin das Universum, nun eben City. Wenn ein Kunstfilm wie „Emmas Glück“ dann im Cinemaxx läuft, sagen viele Braunschweiger: Da gucke ich den nicht, ich will in ein vernünftiges Kino gehen, nicht in einen Flughafen.

Vorbei die Zeit, als die Kassenschlange bei Robert Altmans „Short Cuts“ weit in die Innenstadt hineinreichte. Heute bekommt Altman bestenfalls den Mittwochstermin im einzigen Programmkino der Stadt, dem City. Vorbei die Zeit, als im Scala II „Blue“ von Derek Jarman massenweise Zuschauer begeisterte. Heute reicht die Filmkunst für wochenlang „Irina Palm“. Vorbei die Zeit, als es noch in der Woche eine Spätvorstellung gab, die mindestens von einem halben Dutzend Menschen besucht wurde. Heute freut sich das City, wenn es während der normalen Vorstellung so viele Zuschauer findet. Vorbei die Zeit, als es jeden dritten Tag einen anderen Filmhit oder Klassiker wie „Harold And Maude“, „Life Of Brian“ oder „Wir können auch anders!“ als Wiederholung gab. Heute würden solche Perlen nicht einmal mehr in Braunschweig anlaufen. Vorbei die Zeit, als manch kleiner Film aus Finnland auch mal im Original mit Untertiteln gezeigt wurde. Heute bekommt man nur noch gelegentliche Blockbuster im Original, bei denen es ohnehin nicht um Inhalte geht. Vorbei die Zeit, als Namen wie Lars von Trier, Kevin Smith oder David Lynch noch für volle Säle sorgten. Heute kann man froh sein, wenn deren Filme überhaupt noch einmal gezeigt werden – zur Not auch in Wolfsburg.

Wie steht es denn mit dem (Kino-)Kulturauftrag der Stadt? Ach, wir haben das Filmfest im Roten Saal im „Schloß“. Stimmt ja. Das Filmfest ist aber keine städtische Einrichtung, das Kulturinstitut stellt lediglich seinen Raum, wie einst die Brücke, zur Verfügung. Das Kulturinstitut ist stolz auf seine drei Arbeitsgruppen „Bildende Kunst“, „Musik und Literatur“ und „Theater und Soziokultur“, da ist von Kino keine Rede. Klickte man am 12. September 2007 auf der Internetseite des Institutes auf „Aktuelles“, las man: nichts. Und so nimmt der durchschnittliche Braunschweiger sein Kulturinstitut auch wahr. Das wirklich Interessante passiert unabhängig, man kann fast von einem Trend des „neuen do-it-yourself“ sprechen, auch wenn in den meisten Fällen die Räume noch städtisch sind. In Kellern passiert unglaublich viel, das nächste auf Hochglanzbühnen, dazwischen gibt es seit dem Wegfall des FBZ als Veranstaltungsort nichts mehr. Traurig für eine Stadt, die sich zur Kulturstadt Europas 2010 beworben hatte. Und auch hier lohnt sich mittlerweile ein Blick nach Wolfsburg, wo das Kulturzentrum Hallenbad sein Publikum in Braunschweig rekrutieren kann und das städtische Kulturbüro unter der neuen Leitung der ehemaligen LOT-Chefin Ulrike Lorenz auch kleine Privatveranstaltungen wie „Literatur im Café“ unterstützt. Das Hallenbad schlägt einen guten Bogen zurück zum Thema: Im dessen Kino laufen diverse Filme, die es in Braunschweig gar nicht zu sehen gibt.

Es ist ja nicht nur so, daß es kein Angebot gibt. Wo ist das Publikum hin? Oder verschwand das Publikum mit dem Angebot? Das Filmfest hat konkrete Pläne, das „Universum“ zu übernehmen. An sich ja schon eine herrliche Vorstellung, ist hier jedoch „nur“ das Kino gemeint. Allerdings will das Filmfest die Räume nur mieten und sucht also jemanden, der das Gebäude für seine, die des Filmfests, Zwecke kauft. Hat mal jemand 1,4 Millionen Euro übrig? Und was geschieht, wenn es die neuen zwei geplanten Kammern mit dem anspruchsvollen Programm gibt – kommt dann auch das Publikum zurück? Früher war der bildungsbedingte Anspruch der Intellektuellenriege rund um TU und HBK ein Garant für volle Säle, heute füllen diese Leute das Cinemaxx, wenn „Das Bourne Ultimatum“ oder „Harry Potter“ läuft. Was bleibt? Ein Beamer, eine Leinwand, ein paar DVDs, eine Kiste Bier und die Hoffnung, daß gelegentlich ein paar Freunde zum Mitgucken vorbeikommen. Bringt was zum Knabbern mit, es gibt „Dogme #4: The King Is Alive“ von Kristian Levring. Und dann: „Schröders wunderbare Welt“ von Michael Schorr, „L’enfer“ von Danis Tanovic und „Direktøren for det hele“ von Lars von Trier. Liefen alle nicht in Braunschweig. Noch nicht?

Möchten Sie den Artikel kommentieren

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.