„Fritz Bauer: Der deutsche Generalstaatsanwalt – oder: wie Fritz Bauer immer wieder zum Juden gemacht wurde“

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Fritz Bauer hatte sich in erster Linie als Jurist und Sozialdemokrat empfunden. Immer wieder musste er aber erleben, dass er von anderen als Jude gesehen wurde – von Gegnern und von Freunden.

 

Die Bezeichnung, „Fritz Bauer -ein deutscher Generalsstaatsanwalt“, klingt so normal und selbstverständlich – und ist sie doch nicht. Immer wieder wird bei Fritz Bauer auf dessen jüdische Wurzeln verwiesen, teilweise wird er auch als Jude gesehen und als solcher bezeichnet. Nicht nur im 3.Reich oder im Exil in Dänemark, als er sozusagen als deutscher „Jude“ nach Schweden fliehen musste, um der Gestapo zu entgehen.

Etwas merkwürdig Verqueres und Tragisches liegt hier vor, denn Fritz Bauer hat sich im Grunde selbst nicht als Jude gesehen und empfunden – er wurde zum „Juden“ gemacht – von seinen Gegnern, aber auch von seinen Freunden und Unterstützern. Und das ist schon eine eigenartige Angelegenheit.

Fritz Bauer kommt zwar aus einer jüdischen Familie, aber schon seine Eltern hatten keine größeren Bezüge zum Judentum. Sie waren assimilierte deutsche Juden. Irmtrud Wojak beschreibt in ihrer Bauer Biographie, dass schon die Eltern von Fritz Bauer nicht mehr in die Synagoge gingen, auch nicht an hohen Festtagen. Sie waren ganz eingebunden in ihrer deutschen Umgebung. (1) Im Grunde waren sie – und auch schon die Großeltern – eher patriotisch, ganz im Denken und Fühlen der wilhelminischen Zeit eingebunden. Der Vater war in Stuttgart im Regiment „Olga“ und kämpfte im 1.Weltkrieg selbstverständlich auf deutscher Seite. Er erhielt einen Verdienstorden und war später – als alter Mann in den 30iger Jahren – völlig irritiert über den ausgrenzenden und widerwärtigen Antisemitismus der Hitlerzeit. Er wurde ausgegrenzt – und verstand die Welt nicht mehr.

Ein Kindheitserlebnis

Auch Fritz Bauer selbst fühlte sich nicht – trotz seiner jüdischen Wurzeln – als Jude. Im Grunde wurde er zum Juden gemacht. Das vielleicht erste Mal, wo er es spürte, war in der Kindheit im Alter von sechs Jahren, als er gerade in die Schule gekommen war. In seinem biographischen Aufsatz „Im Kampf um des Menschen Rechte“ (1955) – sozusagen noch in seiner Braunschweiger Zeit – beschreibt er es so:

„Das Berufsbild, das ich mir als Elfjähriger machte (er wollte „Oberstaatsanwalt“ werden, Anm. U.D.), hatte seine Geschichte. Der „staatliche Rechtsanwalt“, der mir damals vorschwebte, entsprach dem Polizisten mit Pickelhaube, Schleppsäbel  und martialischem Schnurrbart, der mir noch einige Jahre zuvor als das Großartigste auf Erden erschienen war, aber meinen Ansprüchen nun nicht mehr genügte. Warum ich aber Polizist werden wollte, weiß ich noch ganz genau. Als ich einige Wochen in die „Elementarschule“ ging, zeigte der Lehrer eine kleine Büchse und fragte, was wohl drinnen sei. Wir riefen „Schreibfedern“, „Schwamm“ und alles mögliche andere. Alles war falsch. Endlich antwortete ich „Luft“ und bekam die Büchse. Einige meiner Kameraden waren sehr böse. Sie wollten die Büchse. Dabei schrie einer (und andere folgten ihm nach): Du und deine Eltern, Ihr habt Christus umgebracht! Nach einigen Minuten wurde es ihnen zu dumm und zu langweilig, sie hörten damit auf. Bei meiner Mutter suchte ich mir Trost. Sie bemühte sich redlich. Trotzdem war ich sehr unglücklich. Damals wollte ich Polizist werden, weil man ihm mit seinem Säbel nichts anhaben konnte.“ (2)

Und er berichtet weiter:

„Aber es ging doch noch einiges mehr in meinem Kopf herum. Die Polizisten sind dazu da, dass niemandem Unrecht geschieht, und ich hatte das Gefühl, es geschehe mir Unrecht. Dass Unrecht geschehen könne, war mir eine neue Erfahrung. Ich war auch über Christus, den Prozess gegen ihn und die Kreuzigung, erschrocken. Das sei damals gewesen, sagte mir meine Mutter, heute würde dergleichen bestimmt nicht mehr vorkommen. Damals, so resümierte ich, hat es noch keine Polizisten gegeben, sie hätten sicher verhütet, dass etwas Verkehrtes geschehe.“(3)

Dieses Kindheitserlebnis war für Bauer ein wichtiger Einschnitt, und zwar in der Hinsicht, dass sein Gerechtigkeitsgefühl angesprochen wurde. Hier entwickelte sich auch sein Widerstandswille und ein „Tagtraum“ von einer besseren, einer guten Welt.

Antisemitische Erfahrungen in der Studentenzeit

Auch weiterhin – trotz dieses Erlebnisses – fühlte sich Fritz Bauer nicht als Jude. Wenn, dann erfolgten solche Zuordnungen und Ausgrenzungen von außen. Ein weiteres späteres Erlebnis ist aus seiner Studentenzeit bekannt. Als er in Heidelberg Jura studierte, gab es einen Konflikt mit einem anderen Studenten um ein gemeinsames Boot. Daraufhin wechselte er nach München.

„Der Umzug (nach München, Anm. U.D.) mag auch mit dem Ärger oder gar Tiefschlag zu tun gehabt haben, den er erlitt, als man ihn als Juden bei einem studentischen Sportclub in Heidelberg abwies und er das Kanu, das er mit einem nichtjüdischen Freund teilte, verkaufen musste. Jedenfalls wurde die Münchener Zeit für Fritz Bauer zu einer Erfahrung, die ihn vor allem wegen seiner jüdischen Herkunft herausforderte und ihn zu einem politischen – was bei ihm hieß: zu einem republikanischen – Juristen machte. Denn kaum in München angekommen, geschah das Attentat, das man als den Beginn der größten Krise der Weimarer Republik bezeichnen kann: die Ermordung des Reichsaußenministers Walther Rathenau.“(4)

Und in München sieht er zudem als erstes auch die großen Plakate mit der Aufschrift: „Juden ist der Zutritt verboten.“ Er sah die „Radauumzüge“ der Nationalsozialisten und hatte nach dem Tod Rathenaus mit seinen Freunden dort das Gefühl, dass „die Weimarer Demokratie, an der unser Herz hing, um der Grundrechte willen, dass sie gefährdet war.“(5)

Eine Anmerkung sei an dieser Stelle angebracht. Auch Carl Schmitt, der spätere reaktionäre Völkerrechtler und Opportunist, wechselt im selben Jahr nach München. (6) Er hat aber eine ganz andere Wahrnehmung von der Stadt. Die antijüdischen Plakate spielen in seiner Wahrnehmung kaum eine Rolle, falls er sie überhaupt wahrgenommen hat.

Bauer wird Mitglied der SPD

Das Interessante ist nun, wie Bauer in München auf diese antisemitischen Erfahrungen reagiert. Er sucht keinen Kontakt zu jüdischen Zusammenhängen, sei es in einer Synagoge oder in einer jüdischen Gemeinde, sondern er schließt sich der SPD an. Hier findet er seine geistige und politische Heimat. Etwas später dann in Stuttgart hat er gleich engere Kontakte zu Kurt Schumacher und anderen Mitgliedern der SPD. Dort wird er auch Mitglied des „Reichsbanners Schwarz- Rot- Gold“, einer Organisation, die der SPD nahestand.

Das „Reichsbanner“ war 1924 als Gegenorganisation zum deutschnationalen „Stahlhelm“ gegründet worden.

„Um staatlichen Repressionen keine Angriffsfläche zu bieten, riefen die Initiatoren eine überparteilich republikanische und keine sozialdemokratische Organisation ins Leben, hoffend, auf diese Weise weniger den Anfeindungen von rechts ausgesetzt zu sein… Bereits im Oktober 1924 zählte das Reichsbanner 2,25 Millionen Mitglieder, im Februar 1925 drei Millionen. Zu 90% kamen sie aus den Reihen der Sozialdemokratie.“ (7)

Das „Reichsbanner“ verstand sich als „Republikschutzorganisation“ und machte den Rechten Begriffe wie „Vaterland“ und „Nation“ streitig. Man sprach betont von „wahrer Volksgemeinschaft“, die einen Volksstaat ohne soziale Privilegien bilden sollte. Allerdings blieb das „Reichsbanner“ als Kampfbund sowohl in der SPD als auch in anderen Parteien wegen seiner paramilitärischen Organisationsform und seines Bekenntnisses zur bürgerlichen Republik umstritten. (8)

Auch in SPD-Kreisen wird Bauer zunächst als Jude gesehen

Auffällig ist auch hier wieder, wie Bauer selbst in SPD-Kreisen als Jude gesehen wird, obwohl er sich nicht als solcher fühlte. Fritz Bauer lernte z.B. Helmut Mielke, einen der Stuttgarter Reichsbanner-Kämpfer und den Stellvertretenden Vorsitzenden der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ), in den Jahren 1926/27 kennen und freundete sich mit ihm an. Irmtrud Wojak schreibt dazu:

„Laut Helmut Mielke war  Bauer ‚ damals der einzige Jude‘, der öffentlich auftrat und ‚durch sein  Wissen großen Eindruck‘ machte… Er ging oft mit ihm zum Berthold-Auerbach- Verein, wo Bauer als Sozialdemokrat geredet habe. Er sei ‚bei den Juden auch sehr bekannt, aber nicht sehr beliebt‘ gewesen, denn er habe keine ‚jüdische Gesinnung‘ zur Schau getragen. Kurzum: ‚Der Fritz war ein bisschen ein Außenseiter.‘ „(9)

Es ist schon merkwürdig, wie Bauer selbst unter Sozialdemokraten zunächst als Jude  – und weil er sich aber als solcher nicht empfindet- als „Außenseiter“ gesehen wird. Trotzdem bestehen zu den Parteifreunden gute und freundschaftliche  Kontakte.

Nach 1933 – Verhaftung und Emigration

Ein nächster wichtiger Einschnitt ist 1933. Schon wenige Wochen nach  der Machtübernahme Hitlers – insbesondere nach dem Reichstagsbrand  – erfolgt der Schritt, die innenpolitische Opposition auszuschalten. Die ersten Opfer waren Kommunisten und Sozialdemokraten, die nun reichsweit heftig verfolgt wurden.  Im Freistaat Braunschweig unter Ministerpräsident Klagges verlief es besonders brutal, aber auch in Stuttgart wurden führende Kommunisten und Sozialdemokraten verhaftet und „fortgeschafft“.

Fritz Bauer wird in der 2.Verhaftungswelle um den 23.März 1933 festgenommen bzw. „in Schutzhaft genommen“. Verhaftet wurde er als Richter, der der SPD und zugleich dem inzwischen aufgelösten Reichsbanner angehörte. Er wurde auf dem Heuberg inhaftiert, das damals das erste Konzentrationslager in Württemberg war. Schon Ende März 1933 waren bereits 2000 „Schutzhäftlinge“ dort untergebracht.

Die Verhaftung erfolgte hier also, weil er Mitglied der SPD und des Reichsbanners, nicht weil er Jude war. Er blieb dort etwa 8 Monate und wurde dann nach einer kurzen Verlegung auf den Oberen Kahlberg freigelassen. – Inzwischen hatte er aber seine Entlassung aus dem Justizdienst erhalten. Am 7.April 1933 hatte es das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ gegeben. Als Richter mit jüdischem Hintergrund war er nun ausgegrenzt und nunmehr ohne berufliche Zukunft. (10)

1936 emigrierte er schließlich nach Dänemark. Hier in Deutschland war er durch die Gesetze als Jude diskriminiert worden. Aus den Jahren vor der Emigration gibt es kaum Unterlagen oder Berichte von ihm, auch nicht zu den Nürnberger Rassegesetzen von 1935, die in diese Zeit fielen. Da er nicht zu denen gehörte, die glaubten, man werde als Jude die Nazis überstehen – im Gegensatz zu vielen anderen Juden, die glaubten, die Nürnberger Gesetze werden einen Schlusspunkt unter die antisemitischen Maßnahmen des Regimes setzen – zog er die Konsequenzen und verließ das Land. Noch ging es relativ leicht.
 
Nicht einfach mag es für ihn gewesen sein, die Eltern zurückzulassen. Sein Vater, Ludwig Bauer, hatte ja noch im 1.Weltkrieg für das „Vaterland“ gekämpft, wofür ihm jetzt erst – am 15.Mai 1935 – im Namen des Führers und Reichskanzlers , das vom damaligen Reichspräsidenten von Hindenburg gestiftete „Ehrenkreuz für Kriegsteilnehmer“ durch den Stuttgarter Polizeipräsidenten verliehen wurde.

Fritz Bauers Schwester Margot war schon 1934 mit ihrem Mann nach Kopenhagen gegangen, da es dorthin Geschäftskontakte gab, die ihr die Ausreise erleichterten. Margot und Walter Tiefenthal konnten dort eine neue Existenz in der Textilbranche aufbauen und ließen ihre beiden Söhne, den 6jährigen Rolf und den 3jährigen Peter, im Juni 1935  nachkommen.

Im Exil in Dänemark

Auch in Dänemark suchte Fritz Bauer die Kontakte zur dortigen SPD und Gewerkschaft. Obwohl er in Deutschland nun offiziell auch – insbesondere durch die Rassengesetze von 1935  – zum Juden erklärt worden war, suchte er nicht die Nähe zu jüdischen Organisationen.

Immerhin gab es als wichtige Hilfsorganisation in Dänemark das „Komitee der Jüdischen Gemeinde“ sowie ein „Komitee zur Unterstützung landesflüchtiger Geistesarbeiter“ von Arge Fries. Dann gab es aber noch das „Matteotti- Komitee“ der Sozialdemokratischen Partei und der Gewerkschaft. Dies war ein Netzwerk von Freiwilligen, die verfolgten Sozialdemokraten Hilfe und finanzielle Unterstützung gewährten. (11)

Allerdings war es für Fritz Bauer nicht einfach, hier Unterstützung zu erhalten, da er zum einen eine Zusammenarbeit mit KPD-Flüchtlingen nicht ausschloss (was das Matteotti-Komitee nicht befürwortete) und dazu noch jüdischer Herkunft war. Auch sein ordentlicher Pass machte ihn zunächst noch verdächtig. Man wusste nicht, ob er wirklich ein politisch Verfolgter war oder ein Spitzel aus Nazi-Deutschland. Es bedurfte eines einstündigen Gespräches mit dem späteren Ministerpräsidenten Hedthoft, um ihn und das Matteotti-Komitee zu überzeugen. Schließlich wurde Bauer als politischer Flüchtling anerkannt und erhielt eine Aufenthaltsgenehmigung in Dänemark. (12)

Nach einigen Querelen wegen der Verlängerung der Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis im Jahr 1937 (die deutsche Konsularabteilung hatte den Pass von Bauer nicht mehr verlängert) wurde Oluf Carlsson tätig und beantragte am 3.Juli 1937 im Namen des Matteotti- Komitees und des dänischen Gewerkschaftsverbandes einen Flüchtlingspass für Fritz Bauer mit der Begründung, dass er sich als Repräsentant für eine tschechische Firma in Schweden und Norwegen betätigen würde.

Da es Geldsorgen gab, war auch eine Erlaubnis für ihn wichtig, für ausländische Zeitungen schreiben zu können. So schrieb er u.a. auch für die „Central-Verein Zeitung – Allgemeine Zeitung des Judentums“, wobei das Honorar nicht zu ihm ins Ausland, sondern an seine Eltern in Stuttgart. geschickt wurde.

In dieser Zeitung schrieb er u.a. den „Sonderbericht“ mit dem Titel „Die glückliche Insel Dänemark“, der am 24.Dezember 1936 in Berlin erschien. So konnte er für die in Deutschland zurückgebliebenen Juden schreiben, sie ermutigen und auf einen möglichen Ausweg bzw. Fluchtweg hinweisen.

Ein besonderer Hinweis in dem Artikel galt dem Theaterstück „Hinter den Mauern“ von Henri Nathansens, das in Kopenhagen seit einiger Zeit aufgeführt wurde und das dänische Pendant  zu Lessings „Nathan der Weise“ war. Darin ging es um die Frage, ob man seine Kinder richtig erziehe, wenn man bloß wolle, dass sie einmal rechte Christen oder rechte Juden werden sollten. Bauer zitiert hier den Satz: „Menschen sollen sie werden.“ (13)

Immer wieder, selbst in dieser Situation, kommt der menschheitliche Ansatz von Bauer zum Ausdruck. Es sei gleich, ob man Jude oder Christ sei, wichtig sei eben, dass man „Mensch“ ist. In dem Artikel kommt indirekt auch ein Abstand von Bauer zum Zionismus zum Ausdruck, wie bei den meisten Deutschen mit jüdischen Wurzeln, die sich in erster Linie als Deutsche oder Europäer fühlten.

In Dänemark selber fühlte er sich relativ wohl und lernte zahlreiche junge Sozialdemokraten kennen. Beziehungen zur jüdischen Emigration bzw. zur jüdischen Gemeinde hatte er nicht. Für Irmtrud Wojak liegen die Ursachen für diese Distanz wahrscheinlich – wie schon früher in Stuttgart – in seiner sozialistischen Überzeugung und seinen politischen Aktivitäten. „Seine linke Position ließ sich nicht mit einer jüdischen Emigration in Einklang bringen, die sich selbst als politisch neutral bezeichnete.“ (14)

1938 – offizielle Ausbürgerung von Bauer aus Deutschland

Inzwischen erfolgte die offizielle Ausbürgerung von Bauer aus Deutschland. Den Antrag dazu hatte die Gestapo in Berlin am 12.Juli 1938 mit der Begründung gestellt: „Bauer zählte zu den prominenten Mitgliedern der SPD. Seit dem Jahr 1930 entfaltete er außerdem eine überaus lebhafte Tätigkeit für das Reichbanner Schwarz-Rot-Gold.“  Und dann folgt der „jüdische“ Zusatz: „Mit echt jüdischer Frechheit hetzte er bei jeder Gelegenheit gegen die nationalsozialistische Bewegung.“ (kursiv von U.D.)

Grundlage für die Ausbürgerung waren die Richtlinien vom Chef der Sicherheitspolizei und des SD, Reinhard Heydrich, die besagten, dass bei Emigranten, die Spitzenfunktionäre der KPD und der SPD waren, die Tatsache des Aufenthalts im Ausland genüge, um gegen sie das Verfahren der Aberkennung der deutschen Reichsangehörigkeit einzuleiten. Im Falle von Bauer nahm in Berlin der Chef des Judendezernats im Geheimen Staatspolizeiamt, Kurt Lischka, den Antrag entgegen. Am 23.September 1938 hatte Bauer dann die deutsche Staatsangehörigkeit verloren.


„Arisierung“ der Geschäfte der Familie Bauer

Der Rest von Bauers Familie und Verwandtschaft erlitt in Stuttgart und Tübingen ein für jüdische Familien typisches Schicksal. Fritz Bauers Onkel Leopold Hirsch, der in Tübingen ein Textilgeschäft hatte, sah sich im Sommer 1938 wegen mangelnder Kundschaft zum Verkauf des väterlichen Geschäfts gezwungen. Die Notlage nutzte Josef Tressel, NSDAP-Mitglied und SA-Mann, der zehn Jahre zuvor selbst im Geschäftshaus in der Kronenstraße gearbeitet hatte, aus und machte ein profitables Arisierungs-Geschäft. Nach der Pogromnacht am 9.Nov.1938 wurde er verhaftet und in Dachau interniert. Nach seiner Entlassung gelang ihm am 21.April 1939 mit seiner Frau Johanna die Flucht nach Südafrika, wo sie ihren Sohn Walter wiedersahen, der Mitte 1935 ausgewandert war. Ihre Tochter Eleonora konnte nach Rhodesien fliehen, sie hatte keine Aufenthaltsgenehmigung für Südafrika mehr bekommen. (15)

Das Geschäft in Stuttgart von Fritz Bauers Brüdern Ludwig und Julius Bauer sowie ihrem Neffen Manfred Bauer, eine Webwaren-Großhandlung war am 24.Oktober 1938 „arisiert“ worden und wurde von den Kaufleuten Hugo Eisele und Otto Bossert weitergeführt. – Die Eltern von Fritz Bauer litten unter den Verfolgungen in Tübingen, kamen aber nicht ins KZ. Sie konnten schließlich am 1.1.1940 nach Dänemark ausreisen.

Die Habgier, die bei vielen NS-Volksgenossen im Rahmen der Arisierung zu beobachten war – und hier am Beispiel der Familie Bauer exemplarisch erscheint, ist ausführlich und eindrücklich in dem Buch von Götz Aly über „Hitlers Volksstaat“ beschrieben worden. (16)

Ein weiterer Zug niederer Gesinnung war der skrupellose Karriererismus, der sich bei vielen Akademikern und Intellektuellen zeigte, die plötzlich freiwerdende Stellen besetzen oder beruflich aufsteigen konnten. Als besonders herausragendes und niederträchtiges Beispiel von Neid, Missgunst und Intrige ist hier insbesondere der „Völkerrechtler“ Carl Schmitt zu nennen, stellvertretend für viele andere. (17)

Allerdings sind nicht nur Neid, Missgunst, Profitgier und Karrierestreben Kennzeichen dieses Antisemitismus, deren Opfer jüdische Mitbürger wurden. Eine ganz zentrale Rolle spielt hier noch eine besondere Form der „Moralität“  auf die Raphael Gross in seinem beeindruckenden Buch über die nationalsozialistische Moral hinweist. (18). Der hohe Grad der Zustimmung in der Bevölkerung mag gerade mit dieser besonderen „Moralität“ zusammenhängen (mit Werten wie Anstand, Treue, Ehre, Kameradschaft usw.), die aber nur für eine bestimmte Gruppe (den NS-Volksgenossen) galt. Andere waren von dieser „Moralität“ ausgeschlossen, was für Minderheiten im Reich dann zur Katastrophe führte.

Und diese Form von „Moral“ als Gefüge tiefsitzender Wertungen und Haltungen mit der Form von Ausgrenzungen im Rahmen einer partikularen Moral erhält sich dann auch über den Zusammenbruch von 1945 hinaus und wird weiterhin ein Problem, nicht zuletzt sichtbar in der Walser-Bubis-Debatte von 1998.(19)


Bauer im Exil in Schweden und Wunsch nach Rückkehr („aus politischen Gründen“)

Aber zurück zu Fritz Bauer. – Nach der abenteuerlichen Flucht der deutsch-jüdischen Emigranten im Jahre 1943 von Dänemark nach Schweden, um der Gestapo und der Deportation nach Auschwitz zu entgehen, schließt sich Bauer in Schweden der Exil-SPD, der SoPaDe, an. Auch jetzt hat er wieder eher Kontakt zu Sozialdemokraten (u.a. lernt er hier Willy Brandt kennen) und sucht keine Nähe zu jüdischen Organisationen.

Nach dem Krieg kehrt er gleich – am 7.Juni 1945 – nach Dänemark zurück und überlegt, wieder nach Deutschland zurückzugehen. Für die meisten jüdischen Emigranten war dieser Gedanke eine Zumutung. Er selber fühlte sich aber eher als politischer Emigrant (mit Sehnsucht nach seiner schwäbischen Heimat) und erklärte z.B. dem Sozialdemokraten Kurt Heinig gegenüber seine prinzipielle Entschlossenheit, „aus politischen Gründen“ zurückzukehren.

Später wird er sich zu seinen Motiven für die Rückkehr folgendermaßen äußern: „… weil ich glaubte, etwas von dem Optimismus und der Glaubwürdigkeit der jungen Demokraten in der Weimarer Republik, vom Widerstandsgeist und Widerstandswillen  der Emigration im Kampf gegen staatliches Unrecht mitbringen zu können. (…) Schon einmal hatte die Justiz, als es galt, die Demokratie zu verteidigen, ihre Macht missbraucht, und im Unrechtsstaat der Jahre 1933 bis 1945 war der staatlichen Verbrechen kein Ende. Ich wollte ein Jurist sein, der dem Gesetz und dem Recht, der Menschlichkeit und dem Frieden nicht nur Lippendienste leistet.“
(20)

Rückkehr nach Deutschland

Von Dänemark aus suchte er den Kontakt zur SPD in Deutschland. Diese hatte nach dem Krieg ihre Zentrale zunächst in Hannover, und dort war auch Kurt Schumacher, der SPD-Kollege aus alten Zeiten. Mit ihm hatte er einen engen Briefwechsel; er fand Unterstützung und erhielt schließlich – nach einer langen Wartezeit, die er als „Schwebezustand“ empfand – im Jahre 1949, letztlich mit Hilfe der SPD, die Stelle als Direktor des Landgerichts in Braunschweig. Auch Hinrich Wilhelm Kopf, erster Ministerpräsident des neugegründeten Landes Niedersachsen und SPD-Mitglied, hatte die Bewerbung Bauers unterstützt.

In Braunschweig fühlte sich Bauer als Jurist, der wieder die Nähe zur SPD suchte, sich oft in der dortigen SPD-Zentrale im Volksfreundehaus in der Schlossstraße aufhielt, obwohl er auch oft Kritik an den Zuständen in der Partei übte. Hier suchte er auch seine menschlichen Kontakte und lernte zum Beispiel die Familie Ausmeier  kennen, mit der er jahrelang befreundet war und die ihn auch später noch in Frankfurt besuchten. (21)

Andererseits wurde er aber auch in Braunschweig als Jude wahrgenommen, insbesondere auch bei seinem Remer-Prozess. Dass es ihm hier um Aufklärung und Aufarbeitung der Vergangenheit ging und nicht um Vergeltungsjustiz, spielte für viele kaum eine Rolle.

Das Eigenartige ist, dass er später – nach seinem plötzlichen Tod 1968 – auch von seiner Partei, der SPD, fast ganz vergessen wurde. Anders war es dann in Frankfurt, als später zunächst der Förderverein für ein Fritz Bauer Institut gegründet wurde (1993) und schließlich im Januar 1995 das Fritz Bauer Institut entstand, als „Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte und Wirkung des Holocaust“. Hier wurde aber der Name Fritz Bauer in erster Linie wieder mit der jüdischen Seite der NS-Verbrechen verbunden.

Hiermit ist im Grunde eine eigenartige Ambivalenz verbunden. Fritz Bauer hat sich ja nicht nur mit dem Holocaust beschäftigt. Schon in Braunschweig beim Remer-Prozess ging es ihm um die Männer des 20.Juli und deren Rehabilitierung, dabei auch um die Frage des Widerstandes und einer Begründung des Widerstandsrechtsrechtes (wobei er sich letztlich auf die Magna Charta und den Sachsenspiegel von Eike von Repgow aus dem Jahre 1215 bezog und den Kern des germanischen Widerstandsrechtes herausarbeitete).

Bei den Ermittlungen gegen Schlegelberger und anderen NS-Juristen ging es ihm nicht in erster Linie um den Holocaust, sondern darum, wie Juristen ihre Macht missbrauchen und zu willfährigen Handlangern eines Unrechtssystems werden konnten. Auch bei den Ermittlungen zur NS-Euthanasie spielt der Holocaust keine weitere Rolle. Hier ging es um die Verbrechen der Krankenmorde, um ihre Durchführung und ihre Legitimierung. Auch diese Verbrechen und ihre Aufarbeitung lagen Fritz Bauer am Herzen.

Insofern ist der Holocaust nur eines – wenn auch eines der bedrückendsten Themen von Bauer. Er selber sah sich als Anwalt der Menschlichkeit. Das Verdienst des Fritz Bauer Institutes ist es schließlich, dass er nicht ganz und gar vergessen wurde. Allerdings geht sein Anliegen insgesamt weit über die Aufarbeitung des Holocausts hinaus. Er wollte einerseits einen Widerstandsbegriff neu begründen und für eine Justiz eintreten, die sich an universellen Werten orientiert. Immer wieder suchte er dazu die Nähe die SPD, nicht zuletzt in seinem Aufsatz zur großen Strafrechtsreform der SPD von 1959, in dem er humane Kriterien für ein neues Strafrecht entwickelte, das über das alte Vergeltungstrafrecht hinausging. Bildhaft wollte er es ersetzen durch das Bild einer neuen Justitia, die nicht mehr mit verbundenen Augen die Waage hält, sondern mit offenen Augen die Menschen in ihren Händen trägt.

Es wäre schön, wenn insgesamt der menschheitliche Ansatz von Fritz Bauer zum Tragen käme, der eigentlich über die Grenzen und Parteien und Religionen hinausgeht. Er war ein Mensch mit jüdischen Wurzeln, er fühlte sich aber als Deutscher mit universellen Werten – der Würde des Menschen und den Menschenrechten verbunden. In dieser Weise kann er vielen ein Vorbild sein, insbesondere auch hinsichtlich der Bereitschaft, gegen den Strom zu schwimmen, wenn es heißt, sich für Menschen und ihre Rechte einzusetzen.

Udo Dittmann

Anmerkungen:
1. Wojak, Irmtrud: Fritz Bauer – eine Biographie. München. 2009.
2. Bauer, Fritz: Im Kampf um des Menschen Rechte. In: Perels/ Wojak: Die Humanität der Rechtsordnung. Ausgewählte Schriften. Frankfurt. 1998. S.38
3. a.a.O. S.38
4. Wojak, a.a.O., S.97
5. Fritz Bauer, zitiert aus Wojak, a.a.O. S.98
6. siehe Mehring, Reinhard: Carl Schmitt – Aufstieg und Fall. Eine Biographie. München. 2009
7. Wojak, a.a.O. S.108
8. Wojak, ebd. S.108
9. ebd. S.108f
10. ebd. S.133
11. ebd. S.125
12. ebd. S.127f
13. vgl. Wojak S.132
14. Wojak, S.133
15. Wojak, S.136f
16. Götz Aly: Hitlers Volksstaat – Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus. Frankfurt. 2005
17. siehe Mehring, Reinhard: Carl Schmitt – Aufstieg und Fall. Eine Biographie. München. 2009
18, Gross, Raphael: Anständig geblieben. Nationalsozialistische Moral. Frankfurt. 2010. S.14
19. siehe auch Gross, Raphael: „Unvergängliche Schande“: Martin Walser und das Fortwirken der NS-Moral. In: Gross, Raphael: Anständig geblieben. Nationalsozialistische Moral. Frankfurt. 2010. S.201-236
20. vgl. Fritz Bauer: Die Kriegsverbrecher vor Gericht. Zürich. New York. 1945. zitiert nach
Wojak, Irmtrud: Fritz Bauer und die Aufarbeitung der NS-Verbrechen nach 1945. Publikation der Hessischen Landeszentrale für Politische Bildung. Wiesbaden. 2003. S.1f
21. Der Familie schrieb er auch gern Briefe oder Postkarten, wenn er auf Urlaubsreisen war, z.B. aus Capri oder aus New Orleans. (Gespräch mit Frau Ausmeier mit U.D.)


s. auch: „Fritz Bauer – Tod auf Raten“ Folge 1 und Folge 2. Die Folge 3 befasste sich mit dem, was an Fritz Bauer in unserer Stadt erinnert, die Folge 4 mit seinen Verdiensten für Deutschland und Folge 5 über einen Freundeskreis in Braunschweig. Die Folge 6 enthält aktuelle Ankündigungen und Reportagen zu Fritz Bauer und die Folge 7 Neues über Fritz Bauer in Stuttgart. Folge 8

 


Kommentare   
 
0 #1 Claudia Hartung 2011-12-23 23:41
Es gibt eine „Persönlichkeit stafel“ in der Jasperallee, die an Fritz Bauer erinnert. Text ist im Internet zu finden unter: www.braunschweig.de/blik
 

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