„Das wird keine Fassade für ein Einkaufscenter, das wird ein richtiges Schloss“ (7. Folge)

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8. „Die Rekonstruktion des 1960 abgerissenen Residenzschlosses beginnt.“ – Das Ende der Schamfrist

Ziemlich genau ein Jahr nach der Presseratsrüge war für die Braunschweiger Zeitung die Schamfrist jedenfalls vorbei. Das Ankleben der ersten Sandsteinplatten an den Betonrohbau des „Schlosses“ wurde jedenfalls am 1.4.06 von Ernst-Johann Zauner in der BZ kommentiert mit „Die Rekonstruktion des 1960 abgerissenen Residenzschlosses beginnt.“ Der Text ist ansonsten auf gewohnte Weise tendenziös, aber nicht irgendwie besonders erwähnenswert.*

Von diesem Zeitpunkt an wurde der Begriff „Schloss“ in all seinen Variationen von der BZ wieder ohne weiteres verwendet. Die Kommunalwahl nahte, der OB brauchte sein „Residenzschloss“, um die Wahl am 11.9.06 zu gewinnen. Nicht zufällig inszenierte die ECE am 27.8.06 für die angeblich kurz vor der OB-Wahl fertiggestellte, tatsächlich jedoch kaum mehr als halbfertige Schlossfassade eine Enthüllungsfeier, die BZ begleitete dieses Spektakel ausgiebig und feierte das ‚neu errichtete Residenzschloss’ (25.8.06) bzw. das ‚rekonstruierte Braunschweiger Schloss’ (28.8.06; Seite 11); der Presserat schaute zu und gab sein Plazet.**

9. „Wir bauen dort tatsächlich mit der Schlossrekonstruktion das alte Schloss […] original 1:1 wieder auf.“ – Auf dem Weg zur Wiederwahl von Dr. Gert Hoffmann

Am Samstag, 15.6.06 brachte die BZ eine Leserinterview-Sonderseite zur OB-Wahl im Zusammenhang mit dem Thema ‚Schloss’. Die große überschrift lautete:

Herr Possemeyer, wenn Sie Oberbürgermeister werden, wollen sie das Schloss abreißen lassen?

Natürlich ist das nur die Wiedergabe einer Leserfrage. Eine so polemische, falsche Tatsachen unterstellende Frage aber als Titel zu nehmen, ist eine Entscheidung der Redaktion. Neben der Frage war u.a. ein Bild eines strahlend lächelnden OB Hoffmann und ein Schnappschuss des Herausforderers Possemeyer mit Fischmaul zu sehen.
Zunächst gibt die BZ Possemeyers Antwort wieder, dass es kein Schloss, sondern nur eine Mogelpackung geben würde, eine reine Fassade mit angehängten ECE-Center. Dann wird OB Hoffmann wie folgt zitiert:

Ich empfehle eine Baustellenbesichtigung, dann sieht man, dass das nicht nur eine bloße Fassade ist. Wir bauen dort tatsächlich mit der Schlossrekonstruktion das alte Schloss unter Verwendung alter Bauteile und hochwertigen Sandsteins original 1:1 wieder auf.

In einem vom Hauptartikel abgesetzten Kasten werden diese Aussagen dann noch einmal unter der überschrift „Positionen“ zusammengefasst. Ein klärendes Wort der Zeitung zu dem, was tatsächlich gebaut wird, ist nicht zu finden. Hoffmanns glatte Lüge wird unkommentiert gelassen, obwohl die BZ es natürlich besser wusste. Schlimmer noch: Sie hatte bis dato nicht ein einziges Mal die Wahrheit berichtet – die Possemeyer ausgesprochen hat. So macht die BZ zur Meinungssache, was entscheidbare Tatsachenfragen sind. Und noch schlimmer: Ihre gesamte bisherige Berichterstattung hatte den Boden dafür bereitet, dass dem arglosen BZ-Leser Hoffmanns Aussage (der es ja schließlich als OB wissen sollte) glaubwürdiger erscheinen musste als die Aussage des Zugereisten und Nicht-Eingeweihten Possemeyer.

Die BZ hätte wohl einen zusätzlichen, richtig stellenden Kasten „Fakten“ neben dem Kasten „Positionen“ als Einmischung in den Wahlkampf empfunden. Partei ergreift aber derjenige, der die Wahrheit kennt und sie nicht ausspricht, um einen Lügner zu decken.

Seitenbemerkung zur Schloss-Lüge von Oberbürgermeister Hoffmann

Hoffmann erklärte nach seinem den Herausforderer deklassierenden Wahlerfolg, dass seine Wiederwahl auch eine Abstimmung über das „Schloss“ gewesen sei. Falls er recht hat, hat er die Wahl mit einer Lüge gewonnen, die mit den unerfüllbaren Hoffnungen seiner meist älteren Wähler spielte. Und doch braucht er den Zorn seiner gutgläubigen Anhängerschaft nicht fürchten.

Danach gefragt, was sie dazu sagten, dass der OB vor der Wahl doch ein ganzes 1:1 original rekonstruiertes Schloss versprochen hätte, jetzt aber offensichtlich außer der Fassade nichts vom ursprünglichen Schloss zu entdecken sei, antworteten Passanten dem Autor mehrfach sinngemäß: „Darüber sind wir auch enttäuscht. Aber so ist das eben. ECE baut, wie es will.“

Der treue BZ-Leser kann sich einfach nicht vorstellen, dass ihr Oberbürgermeister, von dem die BZ nur Gutes zu berichten weiß, gelogen haben könnten. Dann müsste es doch wohl in der Zeitung stehen. Da die Zeitung aber schweigt, muss wohl ECE Schuld sein, wenn der OB Hoffmann nicht Recht behält.

So ist es aber nicht. Das ECE-Center ist getreu den Bauplänen errichtet, die ab Anfang 2004 vorlagen und bald darauf problemlos jedem Interessierten zugänglich waren. Alle, der Oberbürgermeister, die die Redakteure der Braunschweiger Zeitung und die Schlossfassaden-Architekten haben seit 2004 gewusst was anstelle des Ottmer-Schlosses gebaut wird. Sie haben es nur nicht gesagt, sondern die Braunschweiger aus leicht durchschaubaren eigennützigen Gründen gemeinsam systematisch in die Irre geführt.

Nicht ein einziges Mal war in der BZ die befreiende Aussage zu lesen, das erlösende Wort fehlte, dabei wäre es doch so leicht auszusprechen gewesen wäre. Der OB selbst hat es vorgeführt:

Es ist natürlich nicht das alte Schloss. Das weiß doch jeder. Weder ist es komplett aufgebaut noch wohnt der Herzog drin. Es ist der Aufbau der Schlossfassade und das ist dann das Schloss. Und das andere ist die Schloss-Arkade.

Leider wurde diese Aussage des OBs erst am 1. April 07 öffentlich – 4 Tage, nachdem das ECE eröffnet worden war, ein halbes Jahr nach seiner Wiederwahl. Mit dieser Aussage zu diesem Zeitpunkt erweist sich OB Hoffman als Zyniker. In dem Moment, wo die Stunde der Wahrheit gekommen ist, gibt er die, die an ihn und seine Wahrhaftigkeit geglaubt haben, der Lächerlichkeit preis. „Es ist natürlich nicht das alte Schloss. Das weiß doch jeder.“ Das weiß doch jeder? „Aber sie waren es doch, der uns jahrelang das Gegenteil weiß machen wollte!“ möchte man ihm entgegnen. Aber es wäre wohl sinnlos, von Herrn Hoffmann Rechtfertigung oder Entschuldigung zu erwarten.

10. Epilog

Nach der Wiederwahl Dr. Hoffmanns am 11.9.06 waren sämtliche Ziele erreicht, die mit der „Schloss“-Propaganda verfolgt worden waren: ECE kam nach Braunschweig, und damit war ein zahlungskräftiger und dankbarer Anzeigenkunde der BZ gesichert; und OB Hoffmann war für 8 Jahre wiedergewählt.

Die Berichterstattung über das „Schloss“ wurde nachrangig. R.-H. Meyer und E.-J. Zauner wurden als „Schloss“-Berichterstatter durch Norbert Jonscher ausgewechselt. Wohl schrieb auch er ärgerliche Artikel zum „Schloss“, die den Regeln eines guten Journalismus kaum entsprechen. Der Charakter der systematischen Desinformation jedoch, der die Artikel von Ralph-Herbert Meyer und Ernst-Johann Zauner auszeichnete, fehlte Jonschers Artikeln. Statt dessen wirkten diese in ihrem offensichtlichen Verstoß gegen die Regeln manchmal geradezu skurril. *** Vielleicht wurde ein an sich moderater Redakteur wie Jonscher für die weitere Berichterstattung gewählt, um eine weiche Landung bei der unvermeidlichen Konfrontation mit der Realität nach der Eröffnung des ECE am 27.3.07 vorzubereiten.

Sehr viel Mühe gab man sich seitens der BZ allerdings nicht. Man berichtete noch etwas ausführlicher über die geplante historisierende Innenausstattung des „Schlosses“, wobei der Leser en passant erführ, dass bisher die „Schloss“-Räumlichkeiten nur äußerst schlicht und keineswegs originalgetreu geplant gewesen waren. Irgendwann wenige Tage vor der Eröffnung des ECE wurden in der BZ erstmals die korrekten Pläne des gesamten Centers veröffentlicht, aus denen auch ersichtlich wurde, dass es den vielbeschworenen originalgetreue Grund-Umriss des „Schlosses“ in den unteren Geschossen gar nicht gibt und von einer Schlossrekonstruktion über die Fassade hinaus schwerlich die Rede sein kann. Erläuterungen, warum bisher immer anderes suggeriert worden war, gab es nicht. Man rechnete wohl zu Recht darauf, dass die Leserschaft sich diese Widersprüche -wenn sie ihr denn auffielen- irgendwie zurechtreimen würde: „ECE baut, wie es will“.

Schon am 29.12.06 erschien in der BZ unter der überschrift „’Schloss’ und der Kampf um Worte“ ein Artikel von BZ-Chefredakteur P.-J. Raue, der einen Schlusspunkt unter die Debatte über die ‚Schloss’-Berichterstattung der BZ setzen sollte. Dieser Artikel ist seinerseits selbst ein letztes Musterbeispiel für die verlogene und irreführende Berichterstattung, die die BZ im Zusammenhang mit dem ‚Schloss’ an den Tag gelegt hat. Das sei kurz erläutert.

Was in Braunschweig im Krieg zerstört und nach dem Krieg abgerissen wurde, war ein Schloss, unzweifelhaft. Warum sollte ein Gebäude an der selben Stelle und mit dem selben Grundriss, rekonstruiert und mit Nebengebäuden ergänzt, nicht auch ‚Schloss’ heißen?

fragt BZ-Chefredakteur P.-J. Raue eingangs des Artikels. Man sollte meinen, dass Herr Raue die Antwort kennt: Weil es an dieser Stelle kein Gebäude mit dem von ihm beschriebenen Qualitäten gibt. Das ist der Fluch der bösen Tat. Irreführen muss die BZ nun nicht mehr, um das ECE durchzusetzen oder Dr. Hoffmann die Wiederwahl zu sichern, sondern um ihre eigene irreführende Berichterstattung zu rechtfertigen. ****

Bemerkenswert ist zudem, dass Paul-Josef Raue in seinem Artikel es so darstellt, dass das einzige Problem an der Berichterstattung der BZ in den zurückliegenden Jahren die problematische Verwendung des einen Wortes „Schloss“ gewesen sei. Erinnert sei dabei an die bereits hier ganz zu Anfang in der Einleitung zitierten ersten Sätze des Artikels von Raue, die angesichts der ausgebufften Systematik, mit der die BZ ihre Desinformationskampagne in Sachen „Schloss“ betrieben hat, wie Hohn wirken:

Am Anfang waren wir Redakteure arglos, wenn nicht sogar leichtfertig. Denn wir müssen eigentlich wissen, das Worte eine Wirkung, erst recht eine politische Wirkung haben müssen, selbst harmlose Worte wie „Schloss“

Unschuldig wäre eine solche Verwendung im übrigen auch bei ansonsten korrekter Berichterstattung nicht gewesen. Wer ein Gebäudeteil eines Centers, der sich vom Rest des Centers nur per Definition abhebt, mit einem Begriff wie „rekonstruiertes Braunschweiger Schloss“ belegt, also mit einem Begriff, der nicht etwa eine Wortneuschöpfung ist, sondern der im allgemeinen Sprachgebrauch bereits etabliert ist und etwas anderes bezeichnet als das, mit dem er nun belegt wird, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, bewußt eine Sprachverwirrung mit dem Ziel zu provozieren, dass Ursprungsbedeutung und neu verliehene Bedeutung des Begriffs (in diesem Fall also Ottmer-Schloss und „Schloss“) sprachlich und gedanklich verwechselbar werden. Wer dem „Schloss“, diesem als abgrenzbare Einheit nur in der Phantasie der Spitzenbeamten der Stadtverwaltung existenten Teil des ECE-Centers, unbedingt einen eigenen Namen geben wollte, hätte dafür leicht einen bislang noch unbelegten Begriff wie „ECE-Schloss“ finden können.

Herr Raue führte zur Belegung seiner These, dass die Begrifflichkeit „Schloss“ für das „Schloss“ natürlich dem Sprachgebrauch entspricht, die Fachleute an:

Es ist ein Unding, im 21. Jahrhundert ein altes Schloss wiederaufzubauen, das war eine durchaus verständliche Kritik von Denkmalschützern. Aber auch sie brauchten dafür das Wort „Schloss“

Ein Braunschweiger Denkmalschützer versicherte dem Autor, dass der Braunschweiger Denkmalschutz für das „Schloss“ natürlich nie den Begriff „Schloss“ verwendet hätte. Auf Nachfrage konnte Herr Raue nur einen einzigen konkreten Hinweis für seine Behauptung geben: der Bezirkskonservator Roseneck hätte im BZ-Interview vom 4.April 2004***** in bezug auf das „Schloss“ vom „Schloss-Projekt“ und vom „sogenannten Braunschweiger Schloss“ (Hervorhebung durch den Autor) gesprochen. Herr Raue vereinnahmte also als einzigen Zeugen für die angebliche Korrektheit des von der BZ gepflegten Sprachgebrauchs ausgerechnet einen Denkmalschützer, der sich von diesem Sprachgebrauch ausdrücklich distanziert.

Nachdem Herr Raue solcherart im Artikel klargestellt hat, dass das „Schloss“ natürlich gemäß allgemeinem Sprachgebrauch auch „Schloss“ zu nennen sei, fragt er sich, warum die Kritiker des Projektes -offensichtlich doch wider den Sprachgebrauch- das Wort „Schloss“ verteufelt hätten. Und stellt kurz gesagt fest, dass dies geschehen sei, weil dieses Wort bei den meisten Menschen, und mehr noch bei den Braunschweigern, ein wohliges, gar romantisches Gefühl auslöst. Und fährt dann mit folgendem Satz fort:

Die Schloss-Gegner erhofften sich somit in der öffentlichen Debatte mehr Chancen, wenn sie gegen ein riesiges Einkaufszentrum kämpften als gegen das neue Schloss.

Die ECE-Gegner mutieren hier unter Raues Feder -nur konsequent gemäß seinem Sprachverständnis- flugs zu Schloss-Gegnern. Und wenn man Raues seltsam undeutlich formuliertem Satz einen Sinn zu entnehmen sucht, kann es wohl nur der sein, dass diese „Schloss-Gegner“ den Gegenstand ihrer Gegnerschaft -also das „Schloss“- nicht als solches benannt wissen wollten, sondern es vorzogen, von einem „riesiges Einkaufszentrum“ zu reden, weil sie dadurch ihre Chancen auf Erfolg zu verbessern hofften.

Nicht die Spitzen der Stadtverwaltung und die Braunschweiger Zeitung, nein, die ECE-Gegner werden hier also von Raue dingfest gemacht als der Personenkreis, der sich auf manipulative Weise der deutschen Sprache bemächtigen wollte, um seine Interessen durchzusetzen. Anstelle des oben zitierten Satzes hätte natürlich stehen müssen:

Die ECE-Befürworter erhofften sich somit in der öffentlichen Debatte mehr Chancen, das Projekt durchzusetzen, wenn sie das geplante riesiges Einkaufszentrum „Schloss“ nennen würden.

Aber als Gefangener des von der BZ und der Spitzen der Stadtverwaltung eingeführten Sondersprachgebrauchs, demgemäß das „Schloss“ natürlich ein richtiges Schloss ist, kann Paul-Josef Raue dieses Eingeständnis nicht machen. Es wäre müßig, Raues Text weiter zu analysieren. So sei abschließend nur konstatiert:

Die BZ beschloss ihre dreijährige Berichterstattung über das „Schloss“ vielleicht nicht würdig, aber stilgerecht mit einem Artikel, in dem unter der Maske der nachdenklichen Selbstreflektion der Chefredakteur der Zeitung -der Mitverfasser eines Handbuchs über journalistische Ethik ist- noch einmal ein dichtgedrängtes Potpourri an Irreführungen, Verdrehungen und Unwahrheiten darbrachte, wie man es auch in der BZ nicht alle Tage geboten bekommt.

D. Resumee

Aus der Zusammenschau der BZ-Artikel über die „Schloss-Rekonstruktion“ wird ersichtlich, dass die BZ in enger Tuchfühlung mit der Stadtverwaltung systematisch und mit lückenloser Konsequenz die Irreführung ihrer Leser betrieb:

– durch Ausblendung entscheidender Tatsachen,

– durch absichtliches Missverstehen gegnerischer Argumente,

– durch Begriffsbildungen, die dem üblichen Sprachgebrauch spotten,

– durch unlautere Zitiermethoden und schließlich auch

– durch schlichtes Behaupten von Unwahrheiten.

Bei der unvoreingenommenen Leserschaft wurden damit Erwartungen über die ‚Schloss-Rekonstruktion’ geweckt, die weit über das tatsächlich Geplante hinausgingen.

Systematisch war die Irreführung, insofern in den Artikeln immer wieder die gleichen Dinge ausgeblendet, die gleichen falschen Dinge behauptet wurden, etc.
Konsequent war die Irreführung, insofern es keine Artikel in den Jahren 2004 bis 2006 gab, denen der Leser den wahren Sachverhalt hätte entnehmen können.
In enger Tuchfühlung mit der Stadtverwaltung ging die BZ vor, insofern Zeitung und Stadt mit gleichlautenden Irreführungen zeitgleich -im Dezember 2003- begannen. Zuvor berichteten beide Institutionen wahrheitsgemäß, dass im Zuge des ECE-Projektes eine Schlossfassade vor dem ECE-Center errichtet werden solle. Nach diesem Zeitpunkt war unisono vom „wiederaufgebauten Residenzschloss“ die Rede, obwohl sich in der Planung des Projekts nichts geändert hatte, was diese Änderung in der Beschreibung hätte rechtfertigen können.

Im einzelnen gingen Stadtverwaltung und der BZ konform, indem beide gleichermaßen
– wahrheitswidrig behaupteten, dass ein eigenständiger Baukörper ‚Schloss’ mit dem Volumen des Ottmer-Schlosses geplant sei.
– wahrheitswidrig suggerierten, dass das ‚Schloss’ nur kulturell genutzt werde und jedenfalls der Bereich direkt hinter dem Portikus nicht vollständig kommerzialisiert werde.
– mittels konsequent unscharfer Formulierungen diffuse Erwartungen über den beabsichtigten Wiederaufbau schürten, die weit über das hinausgingen, was tatsächlich rekonstruiert werden sollte.

Es ist kein Zufall, dass die Stadtverwaltung diese Prioritäten der Irreführung setzte. Die Spitzen der Stadtverwaltung wollten die Braunschweigern Glauben machen, dass das Herzstück des ECE-Projektes die Rekonstruktion des dann kulturell zu nutzenden Ottmer-Schlosses wäre, um so zunächst das ECE-Projekt in der Bevölkerung durchzusetzen und anschließend dem OB und Verwaltungschef Dr. Gert Hoffmann die Wiederwahl zu sichern. Eine Schloss-Rekonstruktion ohne entsprechenden Baukörper wäre aber auch dem gutgläubigsten Braunschweiger nicht als solche zu vermitteln gewesen. Und ein Schloss, das direkt hinter dem Portikus, der auch dem Laien ohne weiteres als der herrschaftliche Eingang erkennbar ist, kommerziell genutzt würde, wäre in wesentlichen Teilen zu einem Kaufhaus degradiert.

Die BZ bediente also konkrete Anliegen der Spitzen der Stadtverwaltung, wenn sie in ihrer Berichterstattung treu der städtischen Linie folgte.

Bemerkenswert ist, mit welchem Geschick die Irreführung betrieben wurde, ein Umstand, der vor allem anhand der zwei Architekten-Artikel von Ralph-Herbert Meyer verdeutlicht wurde. Die oft gehörte Aussage, dass die BZ ein typisches Provinzblatt sei, dessen Qualitätsgrenzen aufgrund der Beschränktheit ihrer Redakteure eng gesteckt sind, taugt nicht als Entschuldigung für die hier zur Debatte stehende Berichterstattung. Die Verfasser der zur Rede stehenden Artikel beweisen Fähigkeiten – leider nicht im Sinne von Lesern, die wahrheitsgemäß informiert werden wollen.

Ein Versuch, die mangelhafte Berichterstattung der BZ mit der Schwierigkeit zu erklären, die korrekten Sachverhalte in Erfahrung zu bringen, muss scheitern; denn spätestens seit Mitte des Jahres 2004 war durch ein Nachblättern in den öffentlichen Ratsunterlagen für das Projekt die einfache Wahrheit zu erfahren:

Im südwestlichen Teil des ehemaligen Schlossparks, ungefähr am Ort des früheren, dreigeschossigen Ottmer-Schlosses, sollte ein vier- bis fünfgeschossiger Stahlbetonbau gebaut werden, der mit seinem Vorgängerbau so gut wie nichts gemein hat außer drei repräsentative Fassaden und die Umrisse der Obergeschosse, die auf einen sehr viel größeren Baukörper aufgesetzt wurden. Ein befreiendes Eingeständnis dieser einfachen Wahrheit war in der BZ nie zu lesen.

Wohl wurde die von Zeitung und Verwaltung gemeinsam behauptete wundersame „Original-Rekonstruktion“ des Ottmer-Schlosses sang- und klanglos ad acta gelegt, nachdem die Bevölkerung mit eigenen Augen hinter die Fassaden des „Schlosses“ blicken konnte. Die Redakteure der BZ, die für diese Berichterstattung verantwortlich zeichnen, wirken aber in gleichem Sinn und Stil in den selben Positionen in vielen entscheidenden Fragen weiter einvernehmlich mit den Spitzen der Stadtverwaltung, die ebenfalls heute wie damals dieselben sind.

Eine Bemerkung zum Schluss: Wenn im vorliegenden Text viel von „der Stadtverwaltung“ die Rede gewesen, gilt es in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass das ECE-Projekt Chefsache von OB und Verwaltungschef Hoffmann war. Der Autor fragte im Frühjahr 2004 untergeordnete Stellen der Verwaltung, warum sie plötzlich vom „rekonstruierten Schloss“ statt wie bisher von „rekonstruierten Schlossfassaden“ reden würden. Er erhielt die Antwort, dass sie das auch nicht wüssten, es sich aber um eine Anweisung von oben handele. Auf mittlerer Ebene wurde die Existenz einer solchen Anweisung bestritten. Die stereotypen immer gleichen Satzbausteine der diversen städtischen Verlautbarungen ab ungefähr der Jahreswende 2003/ 2004 lassen jedoch auf genau so eine zentrale Steuerung schließen. Ist in dem vorliegenden Text also die Stadtverwaltung wegen ihrer irreführenden Aussagen und Begriffswahl angegriffen worden, bezieht sich das ausschließlich auf die Personen der Stadtverwaltung, die die entsprechenden Sprachregelungen veranlasst haben, nicht aber diejenigen Personen der Stadtverwaltung, die sie notgedrungen anwenden mussten.

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* Dass aus dem Text hervorgeht, dass ca. 80% der Fassadenteile restaurierte Originalteile sein würden (tatsächlich sind es ca. 20%), mag keine vorsätzliche Desinformation sein, sondern schlicht eine aus Wunschdenken geborene Fehlleistung von Herrn Zauner. In das Schema der von der Stadtverwaltung und BZ gemeinsam verbreiteten Halbwahrheiten und Irreführungen passt diese Falschaussage jedenfalls nicht.

** Siehe dazu letzte Fußnote der 6. Folge.

*** Als Beispiel sei hier nur der Artikel „Es soll so prächtig werden wie zu Herzogs Zeiten“ vom 6.10.06 genannt, in dem Norbert Jonscher eine ganze Seite lang davon berichtet, dass „es“ überlegt würde, weitere Millionen in den Innenausbau des „Schlosses“ zu stecken, „es“ hinterfragt wird, ob….etc. „Es“ wird sogar wörtlich zitiert, aber nicht einmal verrät Jonscher, wer oder was „es“ eigentlich ist.

**** P.-J. Raue macht hier -der alte Trick- keinerlei Aussagen darüber, wieweit das ‚Schloss’ eben nicht dem Ottmer-Schloss entspricht, sondern er macht ausschließlich Aussagen über die angebliche Identität von Grundriss, Volumen und Material zwischen beide Bauwerken. Diese Aussagen sind zudem -was wohl im großen und ganzen keiner Erläuterung bedarf- tatsachenwidrig.
Ein Punkt ist dabei vielleicht erwähnenswert: Herr Raue redet vom ‚Schloss’ als von einem um Nebengebäude ergänztes Gebäude mit dem selben Grundriss wie das Ottmer-Schloss. Der Begriff ‚Gebäude’ bezeichnet nach allgemeinem Sprachgebrauch eine funktionelle Einheit. Das ‚Schloss’ hat für sich genommen jedoch in seinem vom Center genutzten Teil gar keine eigene Erschließung. Diese findet über die von P.-J. Raue so bezeichneten ‚Nebengebäude’ statt.
Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang auch die später in P.-J. Raues Artikel gebrachte Aufzählung der Argumente, die pro und contra Verwendung des Begriffs „Schloss“ für das sogenannte Schloss sprechen: Contra „Schloss“ spricht nach P.-J. Raues Meinung, dass der so zu bezeichnende Gebäudeteil mit dem Einkaufszentrum verbunden ist. Dagegen spreche auch, dass sogar der Eingang des Schlosses gleichzeitig der Eingang des Centers ist. Das wichtigste Argument aber, dass nämlich das ‚Schloss’ schlicht und einfach mit Ausnahme der Fassade so gut wie nichts mit seinem Vorgängerbau gemeinsam hat, blendet er einfach aus. Einen Absatz später behauptet P.-J.-Raue, dass das ‚Schloss’ die gleiche Masse (Volumen?) wie das Ottmer-Schloss hätte und überwiegend mit den alten Materialien gebaut ist.
Das annähernd gleiche Volumen ist -wie beschrieben- mit dem Ziel der Irreführung herbeidefiniert worden, die Behauptung bezüglich der alten Materialien schlicht unwahr.

***** Siehe dazu hier Pkt.7 in der 6. Folge: „Ein Interview im Gefolge der Presseratsrüge“

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