Wertung der Architekten-Artikel – Kommentar
Ralph-Herbert Meyer informierte sich im Frühjahr 2004 nach eigenen Angaben persönlich bei den beiden Namensgebern des Architekturbüros, das mit der „Rekonstruktion des Schlosses“ beauftragt war, und ließ sich von ihnen die „Schloss“-Pläne zeigen und erläutern. Wurden ihm die Pläne, die dann auch zur Ausführung kamen, tatsächlich gezeigt, kann es für Meyer keinen Zweifel gegeben haben, dass die Befürchtungen der Kritiker sich vollständig bewahrheiten würden; und entsprechend hätte die unmißverständliche Botschaft seiner zwei Artikel, die aus den Gesprächen mit den Architekten folgte, sein müssen: „Das wird kein ganzes Schloss, sondern doch nur eine Schlossfassade vor einem X-beliebigem Stahlskelettbau.“
Tatsächlich eröffnete Meyer seinen ersten Architekten-Artikel jedoch mit genau der gegenteiligen Botschaft: „Das wird keine Fassade für ein Einkaufszentrum, das wird ein richtiges Schloss.“ Ein unbefangener Leser wird diese Aussage als redaktionelle Tatsachenbehauptung auffassen. Dass im zweiten Satz des Artikels en passant erwähnt wird, es handele sich bei dieser Aussage um eine Behauptung von Dipl.-Ing. Opfermann, wird bei den wenigsten Lesern dazu führen, die Botschaft dieser Aussage in Frage zu stellen, nachdem sie ihm erst einmal (im Indikativ) als bare Münze einer geplanten Realität präsentiert wurde.
Anderes zu erwarten, hieße Lesegewohnheiten einer Tageszeitungslektüre zu ignorieren. Diese ist in der Regel erst einmal flüchtig und der Leser erwartet zu Recht, dass ihm das Wichtigste zu Beginn und dann auch unmissverständlich mitgeteilt wird. Als erfahrener Redaktionsleiter muss Ralph-Herbert Meyer solche Lesegewohnheiten kennen. Es ist daher davon auszugehen, dass eine Eröffnung wie die von „Kaffeetrinken …“ kein Versehen ist, sondern das Missverständnis gerade heraufbeschwören soll.
Weiter ist „Kaffeetrinken auf Herzogs Balkon“ zu entnehmen, dass Opfermann
die Pläne seines Architekturbüros Dr. Richi, Opfermann und Partner für die Rekonstruktion des alten Braunschweiger Residenzschlosses
dem Redakteur persönlich vorgelegt und erläutert hat. Das verleiht dem Bericht eine durch Augenschein verbürgte Glaubwürdigkeit und ein Leser kann davon ausgehen, dass er vom Redakteur dann auch wahrheitsgemäß ins Bild darüber gesetzt wurde, was denn nun wirklich gebaut werden soll. Zitiert der Redakteur unter dieser Voraussetzung Ingenieur Opfermann mit der Behauptung, dass das Gebäude „ein richtiges Schloss“ und „keine Fassade für ein Einkaufszentrum“ würde und dass „das Schloss originalgetreu wieder“ aufgebaut würde, ohne dass sich Meyer inhaltlich von diesen Zitaten in irgendeiner Form distanziert, muss ein Leser vom quasi journalistisch überprüften und quasi verbürgten Wahrheitsgehalt solcher Zitate ausgehen.
Ein Verzicht auf jegliche Distanzierung und konjunktivische Infragestellung ist hier im strengen Sinn wohl keine Lüge, aber doch eine Aufkündigung der Regeln redlicher Kommunikation. Ralph-Herbert Meyer verzichtet aber nicht nur auf eine Distanzierung von etwas, was er besser wissen muss, vielmehr tut er sein Möglichstes, um den Unterschied zwischen Zitat und redaktioneller Tatsachenbehauptung aufzuheben und zu verwischen.
Meyer nutzt sein im persönlichen Umgang mit den Architekten angeeignetes intimes Wissen über den Baukörper nur, um dem Leser zu erläutern, dass sich die Stärke der Natursteinfassade von Einst und Jetzt um einige Zentimeter unterscheide. Indem er Opfermanns Einlassung aber nicht um die entscheidende Frage erweitert, sondern nur im nebensächlichen Detail vertieft, erweckt er beim Leser den Eindruck, die kritische Frage sei offensichtlich befriedigend abgearbeitet und alles Wesentliche zu diesem Punkt gesagt. Hier nicht einmal anzudeuten, dass sich hinter dieser Sandsteinfassade -sei sie nun 12 oder 20 cm dick- eben doch nichts als ein profaner Stahlskelettbau finden würde, der sich baulich nicht von den anderen Teilen des geplanten Centers unterscheidet- ist wiederum keine Lüge im strengen Sinne, aber ebenfalls ein Bruch der Regeln redlicher Kommunikation, ein Vetrauensbruch, darauf angelegt, die Leser der Braunschweiger Zeitung hinter das Licht zu führen. Findet als einziger Unterschied zwischen Original und Replik die unterschiedliche Stärke der Sandsteinfassadenteile Erwähnung (dies ist tatsächlich der einzige Unterschied zwischen ECE-„Schloss“ und Ottmer-Schloss, der im ganzen Artikel „Kaffeetrinken…..“ genannt wird), dann muss ein Leser nach allem davon ausgehen, dass es keine weiteren Unterschiede zwischen Original und Replik geben soll, die über das damit vorgezeichnete Maß hinausgehen würden. Einem solchen Leser vorzuwerfen, er interpretiere leichtfertig etwas in den Artikel hinein, was darin gar nicht gesagt sei, kommt der Aufforderung gleich, die Journalistenbranche pauschal als Trickbetrüger zu verunglimpfen, denen es nicht um Vermittlung von Wirklichkeit geht, sondern um die trickreiche Vermittlung von interessegeleiteten Trugbildern.
Der zweite Architektenartikel ist gleicher journalistischer Machart wie der erste und entsprechend zu bewerten. Hervorzuheben ist, wie noch besonders nachdrücklich um das Vertrauen der Leser geworben wird. Ralph-Herbert Meyer eröffnet den Artikel mit „Kein Zufall; keine bösen Überraschungen“; Herr Richi verspricht Offenheit und Transparenz und Meyer setzt dann alle ihm zu Gebote stehenden Mittel ein, Herrn Richi vertrauenswürdig erscheinen zu lassen. Um so schwerer wiegt Meyers Missbrauch des Leservertrauens.
Vom Standpunkt journalistischer Ethik ist es gleich zu bewerten, ob man Leser direkt belügt oder sie Falsches glauben macht, indem man die impliziten Regeln eines redlichen Spachgebrauchs missachtet. Weitgehend erfolgreich umgeht die Braunschweiger Zeitung so allerdings die Gefahr einer Presseratsrüge. Die Werkzeuge des Presserats sind zu stumpf, um den subtileren Methoden von Trickbetrügern der Kommunikation zu begegnen, wie sie Meyer in den Archtikten-Artikeln geradezu schulbuchmäßig anwendet.
Fazit – kurze Zusammenfassung:
Mit den beiden Architekten-Artikeln vom Frühjahr 2004 hat es Ralph-Herbert Meyer verstanden, ganz im Sinne von Oberbürgermeister Hoffmann in der Bevölkerung irreale Vorstellungen über eine angebliche Schlossrekonstruktion zu wecken.
Meyer erreicht dieses durch einige journalistische Kniffe.
– Was die BZ selbst nicht sagen könnte, ohne zu lügen, lässt er einfach die Architekten sagen. Die Zitate werden dabei von der BZ so behandelt, dass sie dem unbefangenen Leser als quasi-redaktionelle Beiträge nach den Regeln eines guten Journalismus auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft erscheinen müssen.
– Die Argumente der Kritiker werden absichtlich missverstanden und dann scheinbar widerlegt, denn widerlegt wird so nur, was gar nicht zum Vorwurf gemacht war.
– Es werden redaktionell so gut wie keine Aussagen -weder positive noch einschränkende- über den Rekonstruktionsgrad des „Schlosses“ jenseits der Schlossfassade gemacht. Um das Ob und das Wie der Rekonstruktion eines ganzen Schlosses geht es aber gerade.
– überoptimistischen Erwartungen, durch die pauschalen, unwidersprochenen Behauptungen der Architekten geweckt, dass das Schloss originalgetreu wiederaufgebaut wird, werden keine Grenzen gesetzt.
Zwei Nachbemerkungen im Zusammenhang mit den Arichtektenartikeln
a) Zu Ausagen über die Nutzung des „Schlosses“ in den Architektenartikeln:
Nicht verschwiegen sei, dass im Artikel „Kaffeetrinken…“ zur Nutzung des „Schlosses“ zu lesen ist:
Allerdings wird im zentralen Eingangsbereich Verkaufsfläche den Schlossgrundriss schneiden.
Auf behutsame leicht indirekte Weise wird hier dem Leser mitgeteilt, dass das „Schloss“ im Zentralbereich kommerzialisiert werden wird. Das beendet die bis dahin seitens der Stadt und der BZ genährte Hoffnung auf eine ausschließlich städtische Nutzung des „Schlosses“. Zugleich wird dank der diffusen Formulierung vermieden, Oberbürgermeister Hoffmann Lügen zu strafen, der zu diesem Zeitpunkt noch nicht zugeben wollte, dass der gesamte Bereich unmittelbar hinter dem Portikus Kaufhaus sein würde. Wenn man davon ausgeht, dass Ingenieur Opfermann die endgültigen Pläne vorgelegt hat, Meyer sie jedenfalls kannte, ist die Hoffmanns Glaubwürdigkeit schonende Diffusität der Aussage Meyers auch als Verneigung vor dem Oberbürgermeister zu werten, dessen „Image“ er sich offenbar stärker verpflichtet fühlt als der Wahrheit.
b) Zum Artikel „Braunschweig: Die Schloss-Pläne sind fertig“ auf Seite 1 des Hauptteils der BZ:
Die Architekten-Artikel von Ralph-Herbert Meyer erschienen im Lokalteil der Braunschweiger Zeitung. Am Erscheinungstag des ersten Architekten-Artikels war auf der Frontseite unter der Überschrift „Braunschweig: Die Schloss-Pläne sind fertig“ ein weiterer Artikel von Ralph-Herbert Meyer zu lesen, der hier im Folgenden -nur unwesentlich gekürzt- wiedergegeben wird:
Die Pläne für die Rekonstruktion des früheren Residenzschlosses in Braunschweig sind fertig. […] Das 1838 nach Plänen von Baumeister Carl Theodor Ottmer fertig gestellte und 1960 abgerissene Schloss soll im Zuge der Realisation eines Einkaufszentrums wieder erstehen. ‚Wir bauen es bis in Details originalgetreu wieder auf.’ erklärte Diplom-Bauingenieur Kent Opfermann. Der Schloss-Körper soll mit Standesamt, Kulturinstitut, Stadtarchiv und Stadtbibliothek kulturell genutzt werden. Wegen des Rechtsstreit zwischen der Bürgerinitiative für den Erhalt des Schlossparks und der Stadt gibt es noch keine endgültige Gewissheit über den Bau.
Das ist nach allem die Quintessenz dessen, was Meyer über das „Schloss“ zu sagen hat, dessen Pläne er nach eigenen Aussagen gerade hatte einsehen dürfen. Exemplarisch wird hier en miniature die dargestellte Strategie verfolgt, beim Leser falsche Vorstellungen zu wecken, ohne im strengen Sinn zu lügen:
– pauschale Aussagen werden getroffen: „Das […] Schloss soll […]wieder erstehen“;
– redaktionell eingebundenen Zitate verbreiten etwas, was man besser wissen muss und daher mit gutem Gewissen selbst nicht behaupten kann:
„Wir bauen es bis in Details originalgetreu wieder auf,“ erklärte Diplom-Bauingenieur Kent Opfermann;
– unverhältnismäßige Detailliertheit suggeriert, dass alles genau berichtet wird. Dabei wird aber Entscheidendes ausgeblendet: Sämtliche städtischen Einrichtungen, die im „Schloss“ untergebracht werden sollen, werden einzeln aufgezählt, verschwiegen wird aber, dass das Kaufhaus an entscheidender Stelle in das „Schloss“ drängt.