Von Heribert Prantl
Dieser Newsletter handelt vom Fall Assange, vom wichtigsten Kampf um Pressefreiheit, den es heute gibt. Julian Assange war der Gründer der Internet-Plattform Wikileaks. Er sitzt, nach einem siebenjährigen beengten, bedrängten und belauschten Asyl in der ecuadorianischen Botschaft in London krank an Leib und Seele im britischen Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh; er soll an die USA ausgeliefert werden, die ihn mit gierigem Ingrimm und wütender Nachhaltigkeit als Verbrecher verfolgen.
Sein angebliches Verbrechen besteht darin, dass er US-Kriegsverbrechen im Irak aufgedeckt hat. Ihm droht Haft wegen angeblicher Verschwörung und Spionage, ihm droht Haft bis zum Tod. Es gibt noch eine kleine, eine sehr kleine Hoffnung, dass der Supreme Court die Auslieferung verhindert. Es ist nicht nur der Mensch Assange in Gefahr. Es ist die Pressefreiheit in Gefahr, in höchster Gefahr. Wenn Assange an die USA ausgeliefert wird, bricht das dem globalen investigativen Journalismus das Rückgrat. Eine Auslieferung von Assange an die USA wird maximale abschreckende Kraft haben: Sie guillotiniert die Pressefreiheit.
Die Pressefreiheit heißt Pressefreiheit, weil die Presse Freiheit braucht, um die Grund- und Menschenrechte zu schützen. Das gilt auch und erst recht in Corona-Zeiten. Julian Assange steht für Aufdeckung und Aufklärung – und zwar gerade dann, wenn das dem Staat weh tut. Wenn Aufdeckung und Aufklärung auch in demokratischen Staaten zum Verbrechen wird, leiden Demokratie und Rechtsstaat. Dann hat nicht nur Assange verloren, dann hat die Demokratie verloren – dann lachen die Diktatoren der Welt, weil sie sich auf das schlechte Vorbild von demokratischen Staaten berufen können. Wenn Julian Assange ausgeliefert wird, dann ist die Pressefreiheit kein Leuchtturm-Grundrecht mehr. Dann ist der Leuchtturm abgeschaltet.
Es gibt schon heute so viele Staaten, in denen ist die Pressefreiheit nur so groß wie eine Gefängniszelle – China und Nordkorea mit an der Spitze; in der Türkei schränkt soeben Präsident Erdogan die Pressefreiheit weiter ein; „schädliche Medieninhalte“ werden unter Strafe gestellt. Es wäre unendlich bitter, wenn Erdogan & Co. sich künftig auf den Fall Assange berufen könnten. Es wäre unendlich bitter, wenn man künftig die USA und Großbritannien zu den Staaten zählen müsste, in denen die Quadratmeterzahl einer Einzelzelle der Maßstab für den Umfang der Pressefreiheit ist. Die grüne Außenministerin Annalena Baerbock hat vor einem halben Jahr noch die Regierung Merkel für deren Passivität im Fall Assange kritisiert. Sie hat damals gefordert, sich für dessen Freilassung einzusetzen. Jetzt hat sie selbst die Macht, das zu tun. Es geht nicht einfach nur um die Glaubwürdigkeit der Grünen, es geht um die Werte der Demokratie. Baerbock hat eine werteorientierte Außenpolitik versprochen. Am Fall Assange kann sie zeigen, dass es ihr damit ernst ist.
Heribert Prantl zu Julian Assange „Es gilt, für jemanden einzutreten, dem übelst mitgespielt wird“