Nicht mal 10 Prozent in Braunschweig „geboostert“

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Warteschlangen vor dem Impfzentrum Braunschweig. Die Stadt hat das Problem erkannt, tut aber nichts dagegen. Foto: Klaus Knodt

Stadt räumt „missverständliche Meldungen“ ein.

„1000 Impfungen pro Tag“ peilte Oberbürgermeister Dr. Kornblum am 23. November an, als er die Wiedereröffnung des Impfzentrums in der Stadthalle vorstellte (Bericht). Seither bekamen dort rund 18.000 Menschen ihre Spritze. Das sind heruntergerechnet pro Tag rund 900 Impfungen und etwa 8 % der BraunschweigerInnen. Etwa 5- bis 10 Prozent davon waren Erstimpfungen. Was läuft da schief?

„Ich habe für meine Booster-Impfung eine dreiviertel Stunde vor dem Impfzentrum in der Schlange angestanden, obwohl ich im Internet einen Termin vereinbart hatte“, erzählt uns die selbständig tätige U. (58, Name der Red. bekannt) aus dem Östlichen Ringgebiet. „Als ich dran kam, wurde ich am Eingang weggeschickt. Meine Zweitimpfung lag noch keine sechs Monate zurück. Man sagte mir, ich soll nach Weihnachten wiederkommen.“ Nun ist sie verzweifelt: „Ich will Weihnachten zu meiner Familie ins Ausland fliegen. Ohne Drittimpfung komme ich da nicht rein.“

Auch Selbständige kommen ohne Drittimpfung bei Kunden nicht mehr rein und ungeimpfte Kinder nicht mehr ins blau-gelbe Bälleparadies von Möbelhäusern. „Impfen und boostern“ dröhnt hingegen fraktionsübergreifend die Politik unter dem neuen Gesundheitsminister Karl Lauterbach.

Am Tag unserer Anfrage ist das Niedersächsische Gesundheitsministerium zurückgerudert und erklärt plötzlich: „Das Niedersächsische Gesundheitsministerium hat … gebeten, nicht starr an einem Abstand von sechs Monaten zwischen der Zweitimpfung und der Auffrischungsimpfung festzuhalten, wenn Menschen bereits lange Zeit in der Schlange eines Impfangebots gewartet haben“ (Mitteilung der Niedersächsischen Gesundheitsministerin Daniela Behrens vom 10. Dezember 2021). Welche Personen vor Ort eine Impfung erhalten, könne „durch das Land nicht vorgegeben werden, sondern ist immer eine ärztliche Einzelfallentscheidung“. Also auf keinen Fall eine Entscheidung des/der TürsteherIn eines Sicherheitsdienstes am Eingang der Braunschweiger Stadthalle, wie bis heute gehandhabt.

Tatsächlich hat seit der ministeriellen Weisung auch die Stadt Braunschweig an Erkenntnis hinzugewonnen. Verlautbarte sie noch am 10. Dezember um 09.32 Uhr, dass eine Booster-Impfung erst nach sechs Monaten erfolgen könne, erklärte Pressesprecher Rainer Keunecke mit Datum vom 13. Dezember: „Wer sich boostern lassen will, kann dies nach mindestens 5 Monaten tun.“ Meldungen, auf die früher „Bezug genommen“ wurde, seien „insofern möglicherweise missverständlich“. Man nehme inzwischen bis zu 2000 Impfungen pro Tag vor und mehr sei nicht leistbar.

Wer sich über das Impfportal Niedersachsen einen Termin sichert, kommt jetzt schneller an seine Spritze.
Foto: Klaus Knodt

Vor dem Impfzentrum Braunschweig sieht es am 14. Dezember anders aus. 80 Menschen stehen um 09.30 Uhr in der Schlange für Erst-, Zweit- und Booster-Impfungen ohne Termin an. „Ich warte jetzt 30 Minuten und kriege dann hoffentlich meinen dritten Pieks“, sagt Gernot R. (67) aus Stöckheim. Eine Einladung habe er nicht bekommen. Ein Schreiben von der Stadt auch nicht, obwohl er „sicher zu irgendeiner Risikogruppe“ gehöre. Schulterzucken, die Temperaturen liegen über Null, und die Schlange rückt weiter. Nach zehn Minuten verschwindet Gernot R. am Zerberus vorbei in die Heiligen Hallen, in denen man früher Karneval feierte und Bürgermeister proklamierte. Wer sich auf dem Impfportal des Landes registriert, bekommt inzwischen noch schneller seine Spritze ohne Anstehen in der Kälte im Sondereingang „mit Termin“.

Die stolz von der Stadt vermeldeten 18.000 Piekse seit November reichen hochgerechnet für 180.000 Piekse bis Oktober 2022. Dann wäre Braunschweigs Bevölkerung Ende nächsten Jahres immer noch nicht vollständig geimpft. Aber die Politik hat ja noch die „Arztpraxen“ als Impfstuben entdeckt.

„Wieviel Prozent der HausärztInnen in Niedersachsen haben seit dem 19. November Corona-Impfungen durchgeführt?“ wollte der braunschweig-spiegel von der Niedersächsischen Gesundheitsministerin Daniela Behrens (SPD) wissen. Doch in solchen Petitessen ist die Ministerin nicht informiert. Ihre Sprecherin Anne Hage: „Stellen Sie diese Frage bitte der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN)“.

Die KVN antwortet bis heute auf dieselbe Frage nicht und zetert immer noch auf ihrer Website herum, dass demnächst wohl auch Tierärzte und Apotheker ihr schönes Exklusiv-Geschäft mit der Spritzerei beeinträchtigen könnten. Niedersachsens Gesundheitsministerin Behrens stellt die Einrichtung „von zusätzlichen Impfsprechstunden in rund 180 Arztpraxen“ niedersachsenweit in Aussicht und verweist für weitere Informationen, erneut, auf „die KollegInnen der KVN“. Da macht die BöckIn wohl rabiate HobbygolferInnen zu GreenkeeperInnen.

Die Stadt Braunschweig dümpelt derweil im Tümpel des „Wir-können-doch-nichts-tun“ und „Wir-müssen-doch-nichts-tun“ vor sich hin. Alles Sache des Landes, so Bürgermeister-Sprecher Keunecke: „Wir haben an allen Tagen mitunter relativ lange Warteschlangen vor der Stadthalle oder an den Orten, wo die mobilen Impfteams impfen. Sobald die Nachfrage es zulässt und Impfstoff verfügbar sein wird, werden wir den vorausgesetzten Impfabstand weiter verkürzen.“

Das klingt so einfallslos wie die behördliche Massgabe, das Braunschweiger Impfzentrum stur von Montag bis Freitag zwischen 09.00 und 16.00 Uhr zu öffnen. In exakt dieser Zeit arbeiten normale Menschen nämlich. Hallo Stadtverwaltung, kann man das Impfzentrum eventuell auch mal am Sonnabend öffnen und dafür beispielsweise am Mittwoch schliessen? Oder weint dann der Gesamtpersonalrat Krokodilstränen wegen der Zuschläge, die noch nicht ausverhandelt sind?

Woanders tobt die Pandemie. In Braunschweig brummt der glühweinselige Weihnachtsmarkt.
Foto: Klaus Knodt

Ähnlich dumpfbackig agiert das sogenannte „Stadtmarketing“. Statt ein paar Plakate mit Hinweisen zum Impfen kleistern zu lassen, bewirbt Geschäftsführer Gerold Leppa wie seit Jahrzehnten lieber den Kaufrausch beim „Adventslichterzauber“ und die glühwein-selige Sause „Weihnachtsmarkt“. Pandemietreiber sind natürlich alle anderen Events. Eintracht-Spiele und knüppelvolle Stadtbusse ausgenommen.

2 Kommentare

  1. Innenministerin Behrens sagte (BZ 16.12.21): In Niedersachsen. werden täglich 90 000 Erwachsene in Praxen und 40 000 Menschen in Impfstellen geboostert. Die Hauptimpfungen werden danach in den Praxen durchgeführt, nach den Angaben vor Frau Behrens 70%. Sind die Zahlen auf Braunschweig zu übertragen? Das wissen wir nicht genau. Aber: Wir wissen, dass die Wartezeiten in den Praxen auf einen Impftermin lang sind, obwohl in BS etwa 35 Arztpraxen impfen ( Angaben der Stadt ) und in jeder Praxis oft mehrere Ärzte arbeiten. Es wird also viel in den Praxen geimpft. Obwohl keine Zahlen vorliegen, wie viel Booster-Impfungen in den BS Praxen durchgeführt wurden, spricht aus eben genannten Gründen viel dafür, dass die niedersächsischen Zahlen auf BS zu übertragen sind. Das würde bedeuten, dass zu den Impfzahlen der Stadthalle mindestens das Doppelte dazu gezählt werden muss, damit man sich der Braunschweiger Wirklichkeit annähert, das wären dann 18 000 plus 36 000, also 54 000 oder 22% der Braunschweiger Bevölkerung. Vielleicht sind es aber auch mehr. Das RKI meldet für heute für Niedersachsen: 28,5% haben die Boosterung, da liegen die 22% schon dichter dran. Die RKI-Zahlen werden täglich aktualisiert.
    Wir kennen zwar derzeit nicht die genauen Zahlen wie viel Menschen in Braunschweig geboostert sind, aber sicher ist eins: „Nicht mal 10% in Braunschweig geboostert“ ist eine gewaltige Unterschätzung.

  2. Ständig gibt es neue Erkenntnisse und Zahlen. Im Covid-19-Statusbericht vom 15.12. veröffentlicht die Stadt, dass 23% der Braunschweiger den Impf-Booster erhalten haben. Leider liegt Braunschweig damit deutlich hinter dem niedersächsischen Schnitt zurück (28,5%). Das bedeutet, dass die BraunschweigerInnen einen Aufholbedarf haben. Die Schlangen an den Impfstellen werden lang bleiben, besonders deswegen, weil jetzt in der Stadthalle schon bei einem Abstand von 3 Monaten geboostert wird. Eine Ausdehnung der Impfzeiten über 16.00 Uhr hinaus wäre eine gute Maßnahme der Verwaltung.

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